Psychiater zur Fixierung von «Carlos» «Etwas anderes wäre viel zu gefährlich gewesen»

SDA/lmy

28.10.2021 - 19:40

Im Alter von 15 Jahren wurde «Carlos» tagelang in der Psychiatrie an ein Bett gebunden. Dafür müssen sich die drei verantwortlichen Psychiater nun vor Obergericht verantworten. (Archivbild)
Im Alter von 15 Jahren wurde «Carlos» tagelang in der Psychiatrie an ein Bett gebunden. Dafür müssen sich die drei verantwortlichen Psychiater nun vor Obergericht verantworten. (Archivbild)
Keystone

Drei Psychiater müssen sich vor dem Obergericht dafür verantworten, dass «Carlos» 13 Tage lang ans Bett fixiert wurde. Sie sagen, dass es keine andere Möglichkeit gegeben habe.

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13 Tage lang ist der junge Straftäter Brian in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ans Bett fixiert gewesen: Eine andere Möglichkeit habe es nicht gegeben, sagten drei beschuldigte Fachärzte vor dem Zürcher Obergericht. Brians Verteidiger glaubt dies nicht und fordert ein neues Gutachten. Das Urteil folgt später.

Die Staatsanwaltschaft hatte drei Psychiatern ursprünglich Freiheitsberaubung beziehungsweise Gehilfenschaft dazu vorgeworfen. Das Bezirksgericht sprach sie im August 2020 frei. Diesen Freispruch ficht Brian nun vor dem Zürcher Obergericht an: «Es gab keinen Grund, mich zu fixieren», sagte er, der am Obergericht von sieben Polizisten begleitet wurde. «Ich habe niemanden bedroht, ich war nicht gewalttätig.»

Gehöre es in eine Klinik, dass ein 16-Jähriger während 13 Tagen mit einer Sieben-Punkt-Fixierung an ein Bett gefesselt werde, fragte dessen Anwalt rhetorisch. Aus den Gesetzen und Richtlinien ergebe sich, dass eine Fixation nur Stunden dauern sollte. Und angesichts des Alters seines Mandanten hätte den Fachärzten von Beginn an klar sein müssen, dass das Vorgehen nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Je länger die Massnahme dauerte, desto intensiver hätten zumindest Lockerungen ins Auge gefasst werden müssen, führte der Anwalt weiter aus. Spätestens als nach neun Tagen unter Begleitung der Polizei einstündige Spaziergänge möglich und problemlos durchgeführt werden konnten, hätten sich Handlungsalternativen aufgedrängt.

Zweite Einweisung

Dies sehen die beschuldigten Fachärzte anders: Als Brian im September 2011 in die Psychiatrische Universitätsklinik eingeliefert wurde, gingen sie Ärzte von einer akuten Selbstgefährdung aus. Er hatte in der Nacht zuvor in seiner Gefängniszelle unter anderem eine Akne-Lösung und Shampoo getrunken und einen Abschiedsbrief verfasst.

Von einer zwei Tage dauernden Einweisung im Juli 2011, nach einem ersten Suizidversuch, war Brian dem Personal bereits bekannt. Damals hatte er mit grosser Wucht auf die Türe in einem Isolierzimmer geschlagen. «Wir befürchteten, dass die Türe verkantet und sich nicht mehr öffnen lässt», hielt der Arzt fest.



Das sei gefährlich. Der Patient könnte sich anzünden oder den Kopf an die Wand schlagen, ohne dass das Personal eingreifen könnte. Deshalb sei damals die Polizei gerufen worden, und ein Einsatzkommando habe Brian dann überwältigt und fixiert.

Ärzte erreichten Brian nicht

Bei der zweiten Einweisung in die Universitätsklinik sei der 16-Jährige «aggressiv und nicht nahbar» gewesen, sagte der Facharzt. Bereits in den Wochen zuvor soll er sich zurückgezogen und wahnhafte Symptome gezeigt haben. «Es gab für uns keine Zweifel, dass eine akute, schwere Selbst- und Fremdgefährdung besteht.» Die Mitarbeitenden hätten Angst vor dem Patienten gehabt.

Sie hätten gehofft, dass sich der Patient – wie beim ersten Mal – rasch von der Gefährdung distanziere und er zurückverlegt werden könnte. «Das war nicht der Fall, wir konnten keinen Kontakt zu Brian herstellen.» Es sei alles probiert worden, um ihm den Aufenthalt so angenehm und so kurz wie möglich zu gestalten.

Darauf wiesen auch deren Verteidiger hin, die Freisprüche forderten. Es habe sich um eine absolute Ausnahmesituation gehandelt. Ein Verzicht auf die Fixation sei nicht möglich gewesen. Von Brian sei ein enormes Gewaltpotenzial ausgegangen, das plötzlich und aus nichtigem Anlass ausbrechen konnte. «Dann konnte ihn nichts stoppen.»

Neues Fachgutachten gefordert

Das Bezirksgericht hatte die Massnahmen deshalb als verhältnismässig taxiert. Dabei habe es sich aber auf die Aussagen der Beteiligten abgestützt, kritisierte Brians Anwalt. Er forderte am Donnerstag deshalb, dass nun zunächst ein Fachgutachten erstellt werden soll.

Denn bei der zweiten Einweisung sei sein Mandant deutlich kooperativer gewesen als bei der ersten, von aggressivem Verhalten und einer Fremdgefährdung sei in den Klinikunterlagen keine Rede. Das Gutachten soll deshalb unter anderem darüber Auskunft geben, ob die sofort angeordnete Fixation wirklich notwendig gewesen sei.

Das Obergericht hat sich zur Beratung zurückgezogen. Am Freitag will es bekanntgeben, ob ein neues Gutachten erforderlich ist. Zu einem späteren Zeitpunkt folgt das Urteil.