Weinstein-Prozess «Er hat das Leben von so vielen Frauen ruiniert»

AP/phi

11.2.2020

In New York haben zwei Frauen Ex-Filmproduzent Harvey Weinstein angeklagt – doch hinter ihnen stehen weitere mutmassliche Opfer, die dem Urteil entgegenfiebern.

Im 15. Stock eines Gerichtsgebäudes in New York wird über nur zwei Anschuldigungen gegen den Ex-Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein verhandelt. Aber es sind deutlich mehr Frauen, die dem Angeklagten sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben und sie alle warten mit Bangen auf ein Urteil.

Dabei stellen sie sich dieselben Fragen: Wie wird sich das Vermögen des einst einflussreichsten Produzenten der Traumfabrik auf die Entscheidung des Gerichts auswirken? Wird er ein gerechtes Urteil erfahren? Bekommt er womöglich die Chance, in seine alte Machtposition zurückzukehren?

Insgesamt haben mehr als 80 Frauen Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Die meisten der Vorfälle sind lange verjährt, darum geht es im aktuellen Prozess ausschliesslich um einen angeblichen sexuellen Übergriff auf eine Produktionsassistentin 2006 und die mutmassliche Vergewaltigung einer jungen Schauspielerin 2013.

«Viele, viele Frauen warten ab, was passiert»

Weinstein hat erklärt, alle sexuellen Handlungen seien einvernehmlich erfolgt. Die Verteidigung führt an, die Frauen seien willige Partnerinnen einer Transaktion gewesen: Weinstein habe Sex gewollt, während sie Karriere in Hollywood machen wollten. Unter dem Druck der Befragung brach vergangene Woche eine Frau im Zeugenstand zusammen und konnte ihre Aussage nicht fortsetzen.

Harvey Weinstein verlässt am 10. Februar den New Yorker Gerichtssaal.
Harvey Weinstein verlässt am 10. Februar den New Yorker Gerichtssaal.
Bild: Keystone

Einige der Frauen, die Weinstein sexueller Übergriffe beschuldigen, berichten der Nachrichtenagentur AP von gemischten Gefühlen: Hoffnung, dass der Mann bestraft wird; Angst, er könnte freigesprochen werden und wieder an Einfluss im Filmgeschäft gewinnen; Erleichterung, dass der Fall und die daraus entstandene #MeToo-Bewegung die Gesellschaft verändert haben.

Eine Zeugin scheint am 10. Februar den New Yorker Gerichtssaal gar nicht schnell genug verlassen zu können.
Eine Zeugin scheint am 10. Februar den New Yorker Gerichtssaal gar nicht schnell genug verlassen zu können.
Bild: Keystone

«Es sind viele, viele Frauen, die abwarten, was passiert», erklärt Erika Rosenbaum, die das Verfahren in Kanada verfolgt.

«Er muss zur Verantwortung gezogen werden»

Für Louisette Geiss kann nur ein einziger Ausgang des Prozesses einen Abschluss bringen: eine Haftstrafe. Andernfalls werde ein fatales Signal an Sexualstraftäter gesendet: «Ihr werdet damit davonkommen.»

Louisette Geiss (rechts) mit Anwältin Gloria Allred im Oktober 2017 in Los Angeles.
Louisette Geiss (rechts) mit Anwältin Gloria Allred im Oktober 2017 in Los Angeles.
Bild: Keystone

Katherine Kendall war 23 Jahre alt, als sie 1993 – wie sie es beschreibt – eine furchtbare Nacht in Weinsteins Wohnung in New York erlebte. Sie sagt, der Anblick Weinsteins vor Gericht sei schmerzhaft gewesen. «Er sieht so geschwächt aus», erklärt sie. «Und eine Minute lang hat mich das berührt. Aber was er allen angetan hat, berührt mich mehr. Er hat das Leben von so vielen Frauen ruiniert. Dafür muss er zur Verantwortung gezogen werden.»

Katherine Kendall im Januar 2020 in New York.
Katherine Kendall im Januar 2020 in New York.
Bild: Keystone

Daran kann Louise Godbold nicht wirklich glauben. Sie berichtet, Weinstein habe sie sexuell belästigt, als sie sich 1991 um ein Praktikum bei ihm beworben habe. Sicher ist sie sich nicht, dass das Rechtssystem Gerechtigkeit für die Opfer herstellen kann.

«Dass er zurück an die Arbeit geht, ist absurd»

Erika Rosenbaum befürchtet wie die anderen Frauen einen abschreckenden Effekt auf Opfer von sexueller Gewalt, sollte Weinstein freigesprochen werden. Die Menschen fragten sich schon jetzt: «Soll ich das melden?». «Wenn all diese Stimmen Weinstein nicht einen Tag ins Gefängnis bringen, dann könnten sie denken, warum sollte ich meinen Onkel, meinen Trainer oder den Lehrer melden, der mich belästigt hat?»

Jasmine Lobe befürchtet sogar, Weinstein könne zu seiner alten Stärke in der Filmbranche zurückkehren. Sie habe nicht nur Bedenken, dass er weiterhin über andere Frauen herfallen könnte, erklärt Lobe, eine Kolumnistin für den «Observer», die nach eigenen Angaben 2006 in einem Hotelzimmer Opfer eines Übergriffs durch Weinstein wurde.

Geiss teilt eine ihrer Sorgen. Eine Rückkehr Weinsteins in die Branche wäre ein Rückschlag nicht nur für die Frauen, die ihn beschuldigten, sondern für die nächste Generation Frauen in Hollywood. «Der Gedanke, dass er zurück an die Arbeit geht und eine zweite Chance bekommt, ist absurd.»

«Es gibt keinen Weg zurück»

Dennoch haben alle Frauen, mit denen die AP sprach, das Gefühl, dass der Prozess in New York und ein weiterer, der in Los Angeles aussteht, die Kultur nicht nur in Hollywood verändert haben. «Frauen haben ihre Stimme erhoben und werden weiterhin ihre Stimme erheben», sagt Rosenbaum in Montréal. «Ich glaube, es gibt keinen Weg zurück. Zu viele Menschen glauben an uns und an das, was wir tun.»

Geiss wäre bitter enttäuscht, sollte Weinstein freigesprochen werden, sagt sie. Aber sie fühlt sich auch «gesegnet, dass wir das Problem noch zu meinen Lebzeiten angehen». Sie sammelt Zeitungsartikel zum Fall und will damit mit ihren Töchtern, wenn sie alt genug sind, darüber sprechen. «Sie werden schockiert sein, dass wir all das durchmachen mussten.»

Dabei verlange sie doch gar nicht viel: «Ich bitte doch buchstäblich nur darum, keine sexuelle Handlung vornehmen zu müssen, um meine Karriere voranzubringen.»

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