Kontroverse über Nutzen Firmen in San Francisco sollen Obdachlosen-Steuer zahlen

AP/jfk

18.10.2018

Geschätzt 7500 Menschen leben in San Francisco ohne ein permanentes Dach über dem Kopf. Die Verwaltung bekommt das Problem nicht in den Griff.
Geschätzt 7500 Menschen leben in San Francisco ohne ein permanentes Dach über dem Kopf. Die Verwaltung bekommt das Problem nicht in den Griff.
Bild: Keystone

Vergeblich kämpft San Francisco gegen Verelendung und Obdachlosigkeit. Die Einwohner werden nun abstimmen, ob Firmen eine Zusatzsteuer zugunsten Bedürftiger entrichten sollen. Der grösste private Arbeitgeber befürwortet die Massnahme, Stadt und Handelskammer sind dagegen.

Namhafte Unternehmen wie Uber, Gap, Wells Fargo oder Twitter haben in San Francisco ihren Sitz – gleichzeitig ist die wohlhabende Stadt weltweit bekannt für aggressives Betteln, öffentlichen Drogenkonsum und ausgedehnte Obdachlosencamps. Wenn die Amerikaner am 6. November bei den US-Zwischenwahlen abstimmen, geht es in San Francisco auch um die Frage, ob die Stadt ihre reichsten Unternehmen zusätzlich besteuern soll, um Tausenden obdachlosen und psychisch kranken Einwohnern zu helfen.

Eine Gruppe von Aktivisten hat genügend Unterschriften gesammelt, um diese Abstimmung auf die Agenda zu heben. Ein ähnlicher Antrag war Anfang des Jahres in Seattle gescheitert. In San Francisco soll die Proposition C jährlich 300 Millionen Dollar einbringen und damit jene Summe verdoppeln, die die Stadt bereits im Kampf gegen Obdachlosigkeit ausgibt. Die Lage ist katastrophal: Manche Strassen sind derart verdreckt, dass die Behörden eigens eine «Kot-Patrouille» gegründet haben.

«So schlimm war es noch nie»

Ein junger Entwickler hat die App «Snapcrap» herausgebracht, mit der die Nutzer verschmutzte Ecken melden können. Jeden Morgen drücken sich Obdachlose in U-Bahn-Stationen an die Wände, während Pendler an ihnen vorbeieilen. Durch die heruntergekommene Innenstadt schieben sich die Schwachen und Gebrechlichen in Rollstühlen oder stolpern herum, mitunter nur halb bekleidet.

«So schlimm war es noch nie», sagt Marc Benioff, Gründer des Cloud-Computing-Anbieters Salesforce, dessen Familie in vierter Generation in San Francisco lebt. Benioff unterstützt die Proposition C, auch wenn sein Unternehmen jährlich zehn Millionen Dollar zusätzlich zahlen müsste, wenn der Antrag durchkommt. «Niemand sollte so leben müssen. Wir können das unter Kontrolle kriegen.»

Die Proposition C ist das jüngste Gefecht zwischen Vertretern der grossen Unternehmen und jenen Aktivisten, die von ihnen fordern, dass sie für die Ungerechtigkeiten zahlen, die durch ihren Erfolg entstanden sind. In San Francisco stehen sich dabei die kürzlich gewählte Bürgermeisterin London Breed, die zusammen mit der Handelskammer für das Nein-Lager wirbt, und der Wohltäter Benioff gegenüber, dessen Unternehmen mit 8400 Mitarbeitern der grösste Arbeitgeber der Stadt ist.

Ausgaben bereits erhöht

Breed hat den Antrag scharf kritisiert, es mangele an Zusammenarbeit, er könne Obdachlose aus der Umgebung anlocken und Arbeitsplätze im Einzelhandel und Dienstleistungsbereich kosten. Laut Breed hat San Francisco seine Ausgaben für Obdachlose bereits stark erhöht, jedoch ohne nennenswerte Erfolge. «Ich glaube nicht, dass es gutes Regieren ist, wenn wir unsere Ausgaben verdoppeln, ohne etwas dafür zu fordern. Wenn wir jetzt nicht mal das effizient ausgeben, was wir haben.»

Zwei Ladeninhaberinnen in San Francisco. Die geplante Steuer soll zumeist nach Umsatz statt nach Mitarbeiterzahl erhoben werden.
Zwei Ladeninhaberinnen in San Francisco. Die geplante Steuer soll zumeist nach Umsatz statt nach Mitarbeiterzahl erhoben werden.
Bild: Keystone

Entlang der gesamten Westküste kämpfen Städte gegen Obdachlosigkeit an, die zum Teil befördert wird von der wachsenden Zahl der lukrativen Jobs in der Tech-Branche. Die Besserverdiener haben auf dem angespannten Wohnungsmarkt mehr Chancen, wobei in San Francisco eine vierköpfige Familie bereits als Niedrigverdiener gilt, wenn sie im Jahr 117'000 Dollar an Einkommen zur Verfügung hat.

In Städten wie Seattle und Cupertino im Silicon Valley sind die Unternehmen verschont geblieben, nachdem sie sich gegen eine Zusatzsteuer pro Mitarbeiter zugunsten von Obdachlosen ausgesprochen hatten. In Seattle scheiterte die Abgabe, die insgesamt 50 Millionen Dollar jährlich eingebracht hätte, am Widerstand von Amazon und Starbucks. In Cupertino war der grösste Arbeitgeber Apple ausschlaggebend. Hingegen werden die Bewohner von Mountain View diesen Herbst über eine Steuer im Wert von sechs Millionen Dollar im Jahr für Verkehrsprojekte abstimmen, die vor allem Google treffen würde.

Halbes Prozent im Schnitt

Die Steuer in San Francisco soll zumeist nach Umsatz statt nach Mitarbeiterzahl erhoben werden. Das wäre im Schnitt ein halbes Prozent zusätzlich für alle Firmenumsätze von jährlich mehr als 50 Millionen Dollar. Zudem haben Bürger die Zusatzsteuer zur Abstimmung gebracht und keine gewählten Politiker. Bis zu 400 Unternehmen wären betroffen, wobei Internet- und Finanzdienstleister fast die Hälfte der Kosten tragen würden.

Die reiche Stadt San Francisco ist berüchtigt für aggressives Betteln, öffentlichen Drogenkonsum und weitläufige Obdachlosencamps.
Die reiche Stadt San Francisco ist berüchtigt für aggressives Betteln, öffentlichen Drogenkonsum und weitläufige Obdachlosencamps.
Bild: Keystone

Zu jenen, die am meisten zahlen würden, sollen die grössten Namen der wichtigen Branchen zählen. Weder Wells Fargo, Gap, noch Uber wollten das kommentieren. Der Onlinebezahldienst Stripe hat bereits Widerstand angekündigt und 420'000 Dollar an die Kampagne gegen Proposition C gespendet. Auch Twitter-Chef Jack Dorsey hofft per Tweet, die Stadt werde eine Lösung finden.

Die Gegner werden angeführt von der Handelskammer, in deren Vorstand auch Vertreter von Microsoft, LinkedIn und Oracle sitzen. «Jeder kann sich den Status quo ansehen und feststellen, dass es nicht funktioniert. Aber mehr Geld ist nicht die alleinige Lösung», sagt Jess Montejano, Sprecher der Gegenkampagne.

7'500 Obdachlose in San Francisco

Salesforce-Chef Benioff sieht das anders und sagt, er habe zusammen mit der Stadt eine zweijährige Initiative gestartet, bei der mit 37 Millionen Dollar fast 400 Familien eine subventionierte Wohnung bekommen hätten. Mehr als 11 Millionen habe er selbst beigesteuert. Für die jetzige Kampagne für eine Zusatzsteuer hat er mindestens 2 Millionen Dollar aus Unternehmen und Privatvermögen ausgegeben.

Geschätzt 7'500 Menschen leben in San Francisco ohne ein permanentes Dach über dem Kopf. Das hat die Zählung einer Nacht im Jahr 2017 ergeben. Mehr als die Hälfte der Obdachlosen hat zu dem Zeitpunkt mehr als zehn Jahre in der Stadt gewohnt. Zu ihnen gehört auch die 47-jährige Tracey Mixon, die mit ihrer Tochter Maliya (8) im berüchtigten Viertel Tenderloin lebt und arbeitet.

Tracey Mixon, eine alteingesessene Einwohnerin San Franciscos, wurde selbst trotz einer Anstellung zur Arbeitslosen.
Tracey Mixon, eine alteingesessene Einwohnerin San Franciscos, wurde selbst trotz einer Anstellung zur Arbeitslosen.
Bild: Keystone

Mixon und ihre Tochter mussten ihre Mietwohnung im Sommer verlassen, unter anderem weil die Hausverwaltungsfirma ihre staatliche Zulassung verlor. Einer der härtesten Tage war jener, als Mutter und Tochter morgens aus einer Notübernachtung für Obdachlose geworfen wurden: «Ich musste sie vor Drogenabhängigen schützen», sagt Mixon, «und vor Menschen, die aggressiv werden wollten.»

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