Polizei alarmiert Gefahr im Gotthard-Tunnel: Wenn das Navi-Gerät ein Wenden verlangt

Von Silvana Guanziroli

15.10.2019

Trotz doppelter Sicherheitslinie wendet dieser Autolenker im Gotthard-Strassentunnel, dem Nadelöhr der Schweizer Alpen. Der Lenker folgt, ohne nachzudenken, blind seinem Navigationssystem. 
Trotz doppelter Sicherheitslinie wendet dieser Autolenker im Gotthard-Strassentunnel, dem Nadelöhr der Schweizer Alpen. Der Lenker folgt, ohne nachzudenken, blind seinem Navigationssystem. 
Kantonspolizei Uri

Diese Bilder sind kein Fake. Im Gotthard-Strassentunnel kommt es monatlich bis zu vier Mal zu gefährlichen Wendemanövern. Der Grund: Die Autolenker folgen blind ihrem Navigationssystem.

Ein Auto steht quer über der doppelten Sicherheitslinie. Der Fahrer muss während des Wendemanövers mehrfach nachkorrigieren. In der nur 7,8 Meter breiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels reicht das einmalige Einschlagen nicht aus. Der Gegenverkehr rollt mit 80 km/h heran. Es ist eine Situation, die im Verkehrsnadelöhr der Schweizer Alpen schnell richtig brenzlig werden kann.

Und dennoch ist sie keine Seltenheit. «Durchschnittlich sind es drei bis vier Vorfälle pro Monat», bestätigt Sonja Aschwanden von der Medienstelle der Kantonspolizei Uri die «Bluewin»-Recherche. «In den Sommermonaten sind es wegen der höheren Fahrzeugfrequenz tendenziell mehr als in den Wintermonaten.»

In der Mehrheit der Fälle ist das Navi-System der Auslöser für das Fehlverhalten der Autolenker. Bei gewissen Geräten ertönt in Fahrtrichtung Süden auf den ersten drei Tunnel-Kilometern wieder die Ansage: «Bitte wenden! Bitte wenden!». Der Grund: Das Navi hat die Route über die Passstrasse berechnet. Doch um auf diese Strasse zu gelangen, muss man bei Göschenen UR die Autobahn verlassen. Zunächst verlaufen die beiden Strassen parallel zueinander. Sobald das aber nicht mehr der Fall ist, sind die Computer überfordert.

Autobahn und Passstrasse verlaufen am Gotthard-Nordportal über eine gewisse Länge parallel.
Autobahn und Passstrasse verlaufen am Gotthard-Nordportal über eine gewisse Länge parallel.
Keystone

Fehlende Ortskenntnis schützt nicht vor Strafe

Meist tappen ausländische und ortsunkundige Fahrzeuglenker in die Navi-Falle. Doch das Wenden im Tunnel ist streng verboten und das blinde Vertrauen auf die Technik schützt nicht vor einer Strafe. Im Gegenteil: Das illegale Wendemanöver ist richtig teuer. «Es ist eine schwere Verletzung der Strassenverkehrsregel», so Aschwanden. «Bei ausländischen Lenkern wird vor Ort eine Bussenkaution von 950 Franken abgenommen.» Die effektive Bussenhöhe legt dann die Staatsanwaltschaft fest, und diese wird aufgrund des Einkommens und des Vermögens des Lenkers berechnet. Inländische Autolenker müssen zudem mit einem dreimonatigen Ausweisentzug rechnen.

Anderes Fahrzeug gleiches Bild. Auch dieser Fahrer lässt sich durch die doppelte Sicherheitslinie nicht abschrecken. Bei diesem Bild handelt es sich um eine aktuelle Aufnahme der Gotthard-Strassentunnel-Überwachungskamera.
Anderes Fahrzeug gleiches Bild. Auch dieser Fahrer lässt sich durch die doppelte Sicherheitslinie nicht abschrecken. Bei diesem Bild handelt es sich um eine aktuelle Aufnahme der Gotthard-Strassentunnel-Überwachungskamera.
Kantonspolizei Uri

Die Kantonspolizei Uri geht scharf gegen die Verkehrssünder vor. Der Strassentunnel ist videoüberwacht, womit die Polizei die Nummernschilder der Lenker auf den Aufnahmen hat. Die Aufklärungsquote in diesen Fällen sei deshalb sehr hoch, wie es heisst.

Gotthard-Katastrophe 2001

Wie verheerend ein Unfall im Gotthard-Strassentunnel sein kann, erlebte die Schweiz 2001. Ein belgischer Lastwagen gerät einen Kilometer nach dem Südportal auf die Gegenfahrbahn. Er kracht in einen korrekt fahrenden Lastwagen. Beide Fahrzeuge gehen in Flammen auf, sofort entstehen giftige Gase. Für elf Menschen kommt jede Hilfe zu spät. Sie sterben.

Mit gutem Grund: Der Gotthard-Tunnel ist nicht nur die Hauptverkehrsachse der Schweiz. Er gilt wegen seiner Enge und dem Gegenverkehr als neuralgischer Punkt auf der nationalen Verkehrsgefahrenkarte. Das zeigte die Gotthard-Katastrophe von 2001 deutlich.

Gemäss Kantonspolizei kam es aufgrund eines Navi-Fehlmanövers im Tunnel bisher zu keinem Unfall. Ein solcher ereignete sich im Herbst 2018 aber nur 15 Kilometer weiter nördlich bei Amsteg UR. Ein Autolenker fuhr, gelenkt von seinem Gerät, als «Geisterfahrer» auf der A2. Er knallte in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. 

Doch nicht nur im Kanton Uri kommt es zu Navi-Fehlleitungen. Google Maps und Co. verlieren immer mal wieder die Orientierung. Auch der SRF-«Kassensturz» greift heute das Thema in der Sendung auf. 

Schräge GPS-Pannen rund um den Globus

USA 2008: Mit dem Jeep bis zum Abgrund

Beinahe tödliche Folgen hatte dieser Ausflug in die US-Wildnis. Eine 25-köpfige Gruppe wollte mit ihren Jeeps vom Bryce Canyon im Bundesstaat Utah zum Grand Canyon. Das erste Fahrzeug führte die Wagenkolonne an, und der Fahrer verliess sich voll und ganz auf sein Navi-Gerät.

Es ging über Stock und Stein, erst als es dunkel war, wurde gestoppt und das Lager aufgeschlagen. Keiner ahnte, in welcher Gefahr die Gruppe sich befunden hatte, wie Teilnehmer später dem TV-Sender CBS schilderten. Bei Tageslicht sahen sie, dass sie nur wenige Schritte vor einem tödlichen Abgrund haltgemacht hatten, am Rande eines Cliffs.

Australien 2012: Mit dem Auto zur Insel

Drei japanische Touristen wollten in ihrem gemieteten Hyundai einen Ausflug nach North Stradbroke Island machen, im Süden des Staates Queensland. Dabei handelt es sich um eine Insel. 

Doch ein Schiff wollten die drei Männer wohl nicht nehmen. Sie folgten der Stimme des Navigationssystems durch die Bucht. Anfangs sei ihnen das nicht ungewöhnlich vorgekommen, es war ja Ebbe, wie sie später den Medien erzählten. Doch 45 Meter vom Ufer entfernt war Schluss. Sie blieben mit den Rädern im schlammigen Sand stecken.

Schweiz 2013: Irrfahrt ins falsche Dorf

Ein deutsches Ehepaar wollte eigentlich in St. Gallen seine Ferien verbringen. Vor der Abfahrt gab der Mann aber Sankt Gallen ins Navigationssystem ein. Und das führte ihn nicht in die Schweiz, sondern in die österreichische Steiermark. Dort angekommen, suchte das Ehepaar dann vergeblich nach seiner Ferienwohnung.

Österreich 2015: Touristen aus Graben geborgen

Eine Touristengruppe aus Malaysia liess sich in Koppl bei Salzburg in die Irre führen. Das Navigationsgerät führte sie auf einen steilabfallenden Schotterweg. Der Kleinbus geriet dort ins Schleudern und landete im Graben. 

Die Polizei und Feuerwehr musste den Kleinbus schliesslich auf die Strasse zurückziehen. Die Beamten hatte sich nach den Touristen auf die Suche gemacht, weil sie der besorgte Hotelier alarmiert hatte, nachdem die Gruppe nach Mitternacht noch immer nicht in die Herberge zurückgekehrt war.

Deutschland 1998: «Brücke» entpuppt sich als Fährverbindung

Ein relativ früher Fall von blindem Navi-Vertrauen ereignete sich zu Weihnachten 1998 in Caputh bei Berlin. Damals rauschte ein 57-Jähriger mit seinem neuen und luxuriösen BMW direkt über die Fährrampe in den Fluss Havel. Das Navi hatte damals statt einer Fährverbindung eine Brücke angezeigt.

Der Lenker und seine Beifahrerin blieben unverletzt. Die Bilder von der Bergung des Autos mittels einer Seilwinde gingen jedoch um die Welt. Wie der «Tagesspiegel» berichtete, tauchte später ein Fernsehteam aus Japan mit Schauspielern auf, «um die Orientierungstragödie nachzustellen.»


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