Ärzte warnen eindringlich Gummibärli mit Schlafmittel für Kinder sind ein gefährlicher Trend

tafi/dpa

6.12.2023

Auf Social Media beworben: Das Hormon Melatonin sollte bei Kindern nicht als Einschlafhilfe verabreicht werden.
Auf Social Media beworben: Das Hormon Melatonin sollte bei Kindern nicht als Einschlafhilfe verabreicht werden.
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Bunte Gummibärchen mit Melatonin sollen Kindern einen schnellen Schlaf ermöglichen – und Eltern einen stressfreien Abend. Auf Social Media ist das Nahrungsergänzungsmittel ein Trend. Kinderärzte halten das für riskant.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Auf Social Media kursieren vermehrt Werbevideos für Süssigkeiten mit Melatonin: Gestresste Eltern verabreichen sie ihren Kindern, damit diese besser einschlafen.
  • Das ist ein gefährlicher Trend, warnen Kinderärzte. Die Wirkung des Nahrungsergänzungsmittels ist für Säuglinge und Kleinkinder nicht ausreichend erforscht.
  • In den USA gab es bereits erste Todesfälle von Kindern im Zusammenhang mit Melatonin.

Süsse Gummibärchen vor dem Einschlafen? Das haben Eltern ihren Kindern eigentlich immer untersagt. Auch wegen der Zähne. Doch was lange undenkbar war, ist mittlerweile ein Trend, ein riskanter dazu. Denn immer mehr gestresste Mamis und Papis geben ihren Kindern zur Bettzeit Gummibärchen mit Melatonin.

Und sie rühren für ihre Wundermittel auch kräftig die Werbetrommel in den Sozialen Medien. Da gibt es dann Videos zu sehen, in denen eine Frau heimlich Melatonin-Gummibärchen in eine Tüte mit Süssigkeiten mischt und sie ihrem Kind reicht. Dann ein Schnitt und die nächste Sequenz: Das Kind liegt im Bett und schläft tief und fest. Videos wie diese gibt es auf TikTok und Co. zuhauf, mit Titeln wie: «Wie du dein Kind in unter 5 Minuten zum Schlafen bringst».

Erste Melatonin-Todesfälle in den USA

Gefährlich, finden Kinderärzte und schlagen Alarm. Man wisse noch zu wenig über die Abbauwege von Melatonin bei Säuglingen und kleinen Kindern, sagt der Kinderarzt Ekkehart Paditz von der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (DGSM). Sicher sei, dass der Melatonin-Stoffwechsel bei ihnen langsamer laufe. Ausserdem gebe es bei den in Studien geprüften Nahrungsergänzungsmitteln erhebliche Konzentrationsschwankungen.

«Es wäre fatal,», so Padlitz, «wenn Eltern Geld für irgendwelche Tütchen ausgeben, die nicht über den Rezeptblock des Arztes oder über die Apotheke kommen.» In den USA hat es sogar schon erste Todesfälle im Zusammenhang mit Melatonin-Süssigkeiten gegeben. In einer Studie berichten Forscher unter anderem von einem Fall, in dem Eltern ihrem drei Monate alten Kind regelmässig zwischen acht und zehn Dosen eines hoch dosierten Melatonin-Produkts pro Tag gaben. Ob eine Überdosis des Hormons zum Tod des Kindes führte, konnte nicht endgültig geklärt werden.

Was ist eigentlich Melatonin?

Tatsächlich spielt Melatonin beim Einschlafen eine wesentliche Rolle. Das natürliche Hormon wird in der Zirbeldrüse im menschlichen Gehirn produziert und aktiviert, wenn es dunkel wird. «Vitamin D kennen alle, das ist das Hormon des Tages», erklärt Kinderarzt Ekkehart Paditz. «Melatonin ist der Gegenspieler, das ist das Hormon der Nacht.»

Im Internet und in Drogerien finden sich zahlreiche frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin, die meisten für Erwachsene. Sie versprechen schnelles Einschlafen und das Ende von Schlafstörungen. Es gibt sie in Form von Tabletten, Sprays, Tees, Tropfen und Gummibärchen.

Besser Uralt-Methoden als Trend-Medikamente

Für Kinder sind sie nicht geeignet und meistens auch gar nicht notwendig. «Behandlungsbedürftige Schlafstörungen kommen vor allem bei schwer chronisch kranken Kindern mit geistiger Behinderung vor, die in einem jungen Alter Einschlafschwierigkeiten haben», sagt der Kinderarzt Jakob Maske und warnt davor, Melatonin unkritisch einzusetzen.

Vielmehr sei wichtig, bei einem Arztbesuch herauszufinden, welche Ursache die Schlafstörung haben könne. Exzessive Handynutzung etwa, oder wenn man Filme vor dem Einschlafen schaut. «Meistens erledigen sich die Probleme, wenn die Eltern sich an die Tipps für die Einführung einer Schlafhygiene halten», sagt Maske.

Wichtig sei es daher Routinen zu entwickeln und vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen: Stress, Sorgen und Ängste spielen eine Rolle beim Einschlafen. Statt auf Melatonin sollten sich Eltern die nötige Zeit nehmen und auf uralte Methode vertrauen: ihren Kindern im Bett beruhigend den Kopf streicheln, ihnen ein Buch vorlesen oder ein Schlaflied singen.

«Wenn Kinder unter ernstzunehmenden Schlafstörungen litten, sollten Eltern sich nicht auf frei käufliche Mittelchen verlassen.»
«Wenn Kinder unter ernstzunehmenden Schlafstörungen litten, sollten Eltern sich nicht auf frei käufliche Mittelchen verlassen.»
Jan Woitas/dpa