Drogenepidemie in den USA Überfüllte Gefängnisse: Immer mehr Frauen in den USA hinter Gitter

AP/Sharon Cohen

21.5.2018

Krystle Sweat spricht mit ihrem Sohn über eine Videoanlage. Frauen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in den US-Gefängnissen.
Krystle Sweat spricht mit ihrem Sohn über eine Videoanlage. Frauen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in den US-Gefängnissen.
Bild: David Goldman/AP/dpa

Die Zahl der weiblichen Häftlinge hat sich in den USA seit 1980 fast verzehnfacht. Besonders dramatisch ist die Situation in Campbell County in Tennessee. Der Bürgermeister dort macht für die Drogendelikte auch die Pharmaindustrie und Ärzte verantwortlich.

Mutter und Sohn plaudern über die Schule, Mädchen, Geburtstagsgeschenke - und über ihre gemeinsame Zukunft. Doch in der Gegenwart sind sie getrennt, können sich nur über eine Videoanlage sehen. Denn Krystle S. sitzt im Bezirksgefängnis von Campbell County. Es ist nicht ihre erste Gefängnisstrafe. Mehrfach sass sie schon hinter Gittern, wegen Raubes und anderer Verbrechen, fast alle im Zusammenhang mit ihrer Drogensucht.

«Hi Mami», sagt der zehnjährige Robby. Verlegen verlagert er sein Gewicht von einem Fuss auf den anderen und sagt, dass er ihr am Tag ihrer Freilassung zeigen werde, wie er freihändig Fahrradfahren kann. Seit Weihnachten 2015 hat er seine Mutter nicht mehr in den Arm nehmen können.

Die brauchte zum Schluss jeden Tag Schmerztabletten für rund 300 Dollar (über 250 Euro). Immer wieder habe sie versucht, von der Sucht loszukommen. Aber nichts habe funktioniert. Jetzt wolle sie einen Schlussstrich ziehen, wenn sie auf Bewährung freikomme. Das wird sie vielleicht im Sommer. «Ich bin fast 33 Jahre alt», sagt sie. «Ich will so nicht weiterleben. Ich will jemand sein, auf den meine Familie zählen kann.»

Viele weibliche Häftlinge sind abhängig

Eine Welle von Opioiden und Methamphetaminen überschwemmt seit Jahren die USA. Im Bezirksgefängnis von Campbell County werden auf erschreckende Weise die Folgen davon deutlich. Hier und im ganzen Land nimmt die Zahl der inhaftierten Frauen rasant zu, Familien werden auseinandergerissen und den Gemeinden fehlt das Geld für Behandlungsprogramme und dauerhafte Lösungen, um den Drehtüreffekt in den Gefängnissen zu stoppen.

Die USA sind fest im Griff von Drogen. Die Zunahme an weiblichen Abhängigen ist dramatisch.
Die USA sind fest im Griff von Drogen. Die Zunahme an weiblichen Abhängigen ist dramatisch.
Bild: GettyImages/Spencer Platt

Frauen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in den US-Gefängnissen. Sassen im Jahr 1980 noch 13 258 hinter Gittern, so waren es im Jahr 2016 laut Gefängnisbehörde 102 300. Die Zahl der Verhaftungen wegen Drogenbesitzes oder -gebrauchs verdoppelte sich bei den Männern zwischen 1980 und 2009, bei den Frauen verdreifachte sie sich.

Nach der Entlassung setzt sich der Teufelskreis meist fort

In Campbell County sassen vor zehn Jahren selten mehr als zehn Frauen in der Haftanstalt. Inzwischen sind es im Schnitt um die 60. Die meisten verbüssen eine Strafe wegen Drogendelikten. Viele sind selbst abhängig. Sie erhalten keine Therapien. Wenn sie entlassen werden, kehren sie meist in dasselbe Umfeld zurück, nehmen schnell wieder Drogen und der Teufelskreis setzt sich fort.

Sarai K. sitzt wegen Verstosses gegen die Bewährungsauflagen ein. Sie hatte Meth genommen und verkaufte selbst Drogen. Fast drei Jahre sass sie ein. Sie sehnt sich nach der Freiheit, fühlt sich aber auch unsicher. «Man hat Angst, dass man es wieder versaut», sagt sie.

Pharmaindustrie und Ärzte sind mitverantwortlich

Im Jahr 2015 wurde im Bezirk Campbell mit seinen 40 000 Einwohnern laut der US-Gesundheitsbehörde CDC die dritthöchste Menge Opioide pro Person aller Bezirke verschrieben. Das war mehr als fünfmal so viel wie der landesweite Durchschnitt. Bürgermeister E.L. Morton macht die Pharmaindustrie und die Ärzte mitverantwortlich. Zwei Prozesse des Bezirks gegen Opioid-Hersteller sind anhängig.

Seit Jahrzehnten hat das County Probleme. Die einst blühenden Tabak-Farmen und die Kohleindustrie sind verschwunden - und damit auch sichere Jobs und solide Einkommen. Jeder fünfte Mensch lebt unter der Armutsgrenze. Rund 90 Prozent der Verbrechen in der Region stehen laut Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Drogen.

Müssen Frauen wegen Drogenkonsums ins Gefängnis, werden oftmals ganze Familien auseinandergerissen.
Müssen Frauen wegen Drogenkonsums ins Gefängnis, werden oftmals ganze Familien auseinandergerissen.
Bild: GettyImages/Scott Olson

Es fehlt in Tennessee an Psychiatern, Sozialarbeitern, Beratern, Pflegern oder Anlaufstellen in ländlichen Regionen, wie Mary-Linden Salter sagt, Direktorin des lokalen Hilfsbundes für Probleme mit Alkohol, Drogen und andere Süchte. «Es ist unrealistisch, dass die Menschen mehr als 1000 Kilometer reisen, weil es dort einen freien Therapieplatz gibt», sagt sie.

Frauen sind erfahrungsgemäss schwerer therapiebar

Und sie verweist darauf, dass die Behandlung einer Drogenabhängigkeit bei Frauen oft teurer und schwieriger ist als bei Männern. Das habe damit zu tun, dass Frauen oft schwere Traumata und Missbrauch erfahren hätten und nur zögerlich Hilfe suchten, weil sie Angst hätten, ihre Kinder zu verlieren. «Frauen werden angeprangert, wenn sie sich nicht um ihre Kinder kümmern. Aber sie werden auch angeprangert, wenn sie sich nicht in Therapie begeben. Das ist eine schreckliche Wahlmöglichkeit.»

Doch es gibt Wege aus der Sucht. Ein Gericht für Drogendelikte, das bis zu zwei Jahre Supervision für die Delinquenten anbietet, hat eine Erfolgsrate von 70 Prozent. Und ein Programm, das vergangenes Jahr startete, sorgt dafür, dass Frauen mit Drogendelikten noch vor einer Verurteilung kurz- oder auch langzeitig in stationäre Behandlung kommen.

Krystle S. sagt, wenn sie auf Bewährung frei komme, werde sie ein christliches Rehabilitationsprogramm absolvieren. Ihre Eltern, die Robby großgezogen haben, seit er drei war, hätten ihr ebenfalls Hilfe versprochen.

Als Robby an diesem Tag geht, werfen sich Mutter und Sohn über die Videoanlage Küsschen zu. «Ich bin so dankbar, dass er mich noch liebt», sagt sie. «Ich weiss, dass er von mir enttäuscht ist. Er sagt das nicht. Aber ich weiss, dass er es ist.»

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