DesinformationImpfgegner in den USA machen auf Social Media mobil
AP/toko
13.3.2021
Die USA sind beim Impfen sehr erfolgreich — unterdessen machen Impfgegner in sozialen Medien gegen die Kampagne mobil.
KEYSTONE/EPA/Gary Coronado / POOL (Symbolbild)
Jahrelang wurde Falschinformation auf Plattformen wie Facebook geduldet. Seit Beginn der Coronakrise sind die Regeln etwas verschärft worden. Doch viele Verbreiter von irreführenden Inhalten sind inzwischen etabliert genug, um ihre Follower trotzdem zu erreichen.
13.03.2021, 14:08
13.03.2021, 14:18
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Die Impfkampagne in den USA ist in vollem Gange. Doch parallel werden viele Nutzer von sozialen Medien mit Nachrichten überflutet, die das Vertrauen in die eingesetzten Vakzine zu untergraben versuchen. Die Betreiber der grossen Plattformen versichern, sie würden entschieden gegen solche Propaganda vorgehen. Eine echte Lösung des Problems scheint aber fast unmöglich zu sein – auch weil die Internet-Konzerne aus kommerziellem Kalkül lange alles laufen liessen.
Digitale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter dienen Impfgegnern seit Jahren als effektive Sprachrohre. Weil der öffentlichen Druck wächst, haben die Unternehmen aus dem Silicon Valley inzwischen Instrumente wie Faktenchecks und Warnhinweise eingeführt. Ein kleiner Teil der kursierenden Falschinformationen wird damit identifiziert und gegebenenfalls geblockt – aber eben nur ein kleiner.
Der Kurznachrichtendienst Twitter etwa kündigte diesen Monat an, gefährliche Unwahrheiten bezüglich der Impfstoffe gegen das Coronavirus zu entfernen – ähnlich wie es bisher schon mit Verschwörungstheorien und anderen Irreführungen im Zusammenhang mit der Pandemie gemacht worden sei. Seit April 2020 sind tatsächlich insgesamt 8400 entsprechende Tweets gelöscht worden.
Impfgegner umgehen Hürden
Doch aus Sicht von Kritikern ist dies angesichts der gigantischen Menge an Falschnachrichten, die über Twitter tagtäglich Millionen Nutzer erreicht, viel zu wenig. «Während sie untätig bleiben, gehen Leben verloren», sagt Imran Ahmed, Leiter des Center for Countering Digital Hate, das sich gegen Hass und «Fake News» im Internet einsetzt. Im Dezember hatten Ahmed und seine Mitstreiter festgestellt, dass auf den grossen Social-Media-Plattformen insgesamt 59 Millionen Accounts Verbreitern von «Anti-Impf-Propaganda» folgen.
Wegen der grossen gesellschaftlichen Bedeutung von flächendeckenden Impfungen gegen das Coronavirus ist das Problem mehr in den Fokus gerückt. Wenn nun aber plötzlich eingeschränkt wird, was bisher stets geduldet wurde, führt dies oft zum Vorwurf der Zensur. Gleichzeitig finden die Impfgegner zunehmend Wege, die neuen Hürden zu umgehen.
«Es ist eine schwierige Situation, weil wir das so lange haben durchgehen lassen», sagt Jeanine Guidry, die sich an der Virginia Commonwealth University mit dem Zusammenspiel von Social Media und Gesundheitsinformationen beschäftigt. «Menschen, die soziale Medien nutzen, können seit fast einem Jahrzehnt wirklich teilen, was sie wollen.»
Eine der Facebook-Seiten, die von der Organisation Newsguard als «Superspreader» identifiziert worden sind, heisst «The Truth About Cancer» («Die Wahrheit über Krebs»). Sie hat mehr als eine Million Follower und verbreitet seit Jahren haltlose Behauptungen – etwa dass Impfstoffe Autismus verursachen könnten oder bei Kindern Hirnschäden drohten. Seit Kurzem werden hier aber nicht mehr direkt über die Facebook-Seite Posts veröffentlicht. Stattdessen werden Nutzer gebeten, einen Newsletter zu abonnieren oder eine zugehörige Website zu besuchen.
Facebook setzt laut eigenen Angaben inzwischen auf «offensive Schritte zur Bekämpfung von Falschinformationen». Seit Beginn der Pandemie seien «Millionen Beiträge zu Covid-19 und Impfstoffen» entfernt worden, heisst es in einer Stellungnahme. Zusätzlich seien 167 Millionen Beiträge mit Warnhinweisen versehen worden. Das Unternehmen hat ausserdem Werbeanzeigen verboten, die darauf abzielen, Menschen von einer Impfung abzuhalten.
Die Video-Plattform YouTube hat eigenen Angaben zufolge seit einem im Oktober verkündeten Verbot von falschen Behauptungen bezüglich Corona-Impfungen mehr als 30'000 Videos gelöscht. Seit Februar 2020 seien insgesamt sogar mehr als 800'000 Videos entfernt worden, die gefährliche oder irreführende Informationen über das Virus enthalten hätten, sagt die YouTube-Sprecherin Elena Hernandez.
WHO stösst auf taube Ohren
Vor Beginn der Pandemie hätten die Social-Media-Unternehmen jedoch kaum etwas gegen die Verbreitung von Falschinformation getan, sagt Andy Pattison, Manager für digitale Lösungen bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Während eines Masernausbruchs im Nordwesten der USA im Jahr 2019 habe er die Plattformen dringend gebeten, eine Verschärfung der Regeln in Erwägung zu ziehen – aber ohne Erfolg.
Das Ausmass der Corona-Krise hat hier nun immerhin etwas in Bewegung gebracht. Inzwischen trifft sich Pattison wöchentlich mit Vertretern von Facebook, Twitter und YouTube, um über Trends und mögliche Massnahmen zu sprechen. «Die wirklich frustrierende Sache im Zusammenhang mit Fehlinformationen zu Impfstoffen ist, dass sie schon seit Jahren im Umlauf sind», sagt der WHO-Experte.
Und die Akteure dahinter sind auch mit den verschärften Regeln nur schwer zu stoppen. Viele passen ihre Strategien einfach an. Um automatische Sperrungen zu verhindern, nutzen sie bewusst falsche Schreibweisen – anstatt des englischen «vaccine» («Impfstoff») etwa «vackseen» oder «v@x». Einige Seiten sind auf subtilere Formen der Meinungsmache umgestiegen und verbreiten eher Bilder oder sogenannte Memes.
Hindernis Falschinformation
Eine Umfrage von AP-Norc im Februar zeigte, dass etwa ein Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner sich nicht oder wahrscheinlich nicht impfen lassen will. Impfskepsis und Falschinformation könnten ein grosses Hindernis dabei sein, einen für die Beendigung der Krise ausreichenden Anteil der Bevölkerung zu impfen», sagt die Psychologin Lisa Fazio von der Vanderbilt University.
Einige Experten sehen die Ursache des Problems auch in den Geschäftsmodellen der Internet-Konzerne. Denn deren Werbeeinnahmen hängen stark von der Gesamtzahl der Nutzer ab – auch wenn einige dieser Nutzer fragwürdige Inhalte teilen. Ahmed, der Leiter des Center for Countering Digital Hate, beklagt ein «nahtloses Vermischen von Falschinformation und Information». Damit würden die Plattformen «weiterhin zulassen, dass Dinge zerfallen».