«Père Noël»Impfstoff statt Xbox: Weihnachtswünsche in Corona-Zeiten
AP/toko
28.11.2020
Tausende Briefe an den Weihnachtsmann bearbeiten die Mitarbeiter des Weihnachtspostamts im französischen Libourne täglich. Neben Geschenkewünschen spielt bei den Kindern in diesem Jahr die Corona-Pandemie eine grosse Rolle.
Jim aus Taiwan hat dem Weihnachtsmann eine Gesichtsmaske mitgeschickt, die zehnjährige Lola wünscht sich, dass das Coronavirus verschwindet. Die fünfjährige Alina bittet den Mann mit dem weissen Bart, bei seinem Besuch an Weihnachten die Vordertür zu benutzen — denn der hintere Eingang sei für Oma und Opa reserviert, um sie vor einer Infektion zu schützen. Der emotionale Tribut der Pandemie für Kinder spiegelt sich deutlich in den Briefen aus der ganzen Welt wider, die in diesem Jahr das Weihnachtspostamt im südwestfranzösischen Libourne erreichen.
Zu Tausenden gehen die Briefe, Notizen und Postkarten auch in diesem Jahr ein, manche mit einfachen Zeichnungen, andere mit aufwändigen Liebesbeweisen in allen möglichen Farben. Sie ermöglichen einen Einblick in die Gemüter der jungen Verfasser. Auch erwachsene Fans des Weihnachtsmanns bitten am Ende eines Jahres voller Krankheit und Tumult um eine Verschnaufpause und Glück.
Die junge Zoe beschränkt ihre Wünsche auf einen Musik-Player und Eintrittskarten für einen Vergnügungspark, weil «dieses Jahr wegen Covid-19 ganz anders war als andere», wie sie schreibt. «Deshalb bitte ich Dich nicht um viele Geschenke, um eine Ansteckung zu vermeiden.» Sie unterzeichnet mit einem «Merci!» und einem gemalten Herzen.
Theoretisch — und oft auch praktisch — findet jeder Brief, der an «Père Noël» (französisch für «Weihnachtsmann») gerichtet ist und in irgendeinen Briefkasten der Welt geworfen wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Weg in das Weihnachtspostamt bei Bordeaux. In der idyllisch in den Weinbergen gelegenen Sortierstelle wird seit 1962 Weihnachtspost bearbeitet und im Namen des Weihnachtsmanns beantwortet. Die Mitarbeiter, die sich selbst als «Elfen» bezeichnen, verbringen die Monate November und Dezember damit, mit Herzen, Stickern und bunten Farben verzierte Umschläge zu öffnen.
Corona in jedem dritten Brief
Als sie am 12. November die ersten Briefe lasen, wurde schnell deutlich, wie sehr die Pandemie Kinder belastet, wie Chef-«Elfin» Jamila Hajji erzählt. Neben den üblichen Wünschen nach Spielzeug und technischen Geräten baten die jungen Absender auch um Impfstoffe, Besuche von den Grosseltern und eine Rückkehr zum gewohnten Leben. In jedem dritten Brief spiele die Pandemie eine Rolle, sagt Hajji.
«Covid trifft die Kinder sehr, mehr als wir denken», erklärt sie. «Sie machen sich grosse Sorgen. Und was sie sich neben Geschenken am meisten wünschen, ist, ein normales Leben zu haben, das Ende von Covid, einen Impfstoff.» Die Briefe an den Weihnachtsmann seien eine Art von Erleichterung für die Jungen und Mädchen nach einem Jahr in Lockdowns, ohne Schule und ohne Grosseltern. «Die Kinder fassen alles in Worte, was sie in dieser Zeit empfunden haben», sagt Hajji. «Wir sind wie Therapie-Elfen.»
12'000 Briefe täglich
Das Team aus 60 Elfen beantwortet täglich 12'000 Briefe. Besonders bewegende oder herausragende Schreiben legen sie beiseite. Dazu gehört auch der Brief der zehnjährigen Lola mit ihrem Geständnis an den Weihnachtsmann, dass «ich in diesem Jahr mehr als sonst die Magie und den Glauben an Dich brauche». Die «Elfen» vermuten, dass die Kinder ihnen manchmal sogar Sorgen verraten, die sie womöglich nicht mit ihren Eltern geteilt haben.
In der Unsicherheit der Pandemiezeit ist für Kinder Weihnachten diesmal ein besonders wichtiger Anker, wie die Kinderpsychiaterin Emma Barron von der Robert-Debré-Kinderklinik in Paris erklärt. Wie andere bedeutsame Tage wie Geburtstage und Ferien biete auch das Weihnachtsfest in der Kindheit Struktur. «Kinder können sich an viele Dinge überraschend gut anpassen», erklärt Barron. «Aber Rhythmen, Rituale und solche Dinge sind ein wichtiger Bestandteil für die mentale Stabilität von Kindern.»
Die Briefe im Weihnachtspostamt machen deutlich, dass dies über die Kindheit hinaus gilt. Auch für Erwachsene erweist sich der Weihnachtsmann als Anker, manche schreiben ihm in diesem Jahr erstmals seit Kindertagen wieder. Einer bitte um eine «Pandemie der Liebe». Ein 77-Jähriger klagt: «Der Lockdown macht keinen Spass! Ich lebe allein.» Und ein Grosselternteil bittet den Weihnachtsmann, die beiden Enkelkinder zu grüssen, «die ich in diesem Jahr wegen der Gesundheitssituation nicht werde sehen können».
«Deine Mission wird in diesem Jahr schwierig sein», schreibt Anne-Marie, eine weitere erwachsene Absenderin. «Du wirst auf der ganzen Welt Sterne verteilen müssen, um jeden zu beruhigen und um unsere Kindheitsseelen wiederzubeleben, damit wir träumen und schliesslich loslassen können.»