Zwangsheirat Kinderehe wird rechtskräftig, weil Behörden nicht handeln

tafu

7.11.2019

Immer mehr Minderjährigenehen in der Schweiz werden gültig, da die Betroffenen volljährig werden. (Symbolbild)
Immer mehr Minderjährigenehen in der Schweiz werden gültig, da die Betroffenen volljährig werden. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Die Fachstelle Zwangsheirat schlägt Alarm: Kinderehen, die im Ausland geschlossen wurden, gelten immer häufiger als rechtskräftig. Die Interessenabwägung der Behörden dauert so lange, dass die Betroffenen volljährig und die Ehe automatisch gültig wird. SVP und Grüne wollen nun handeln.

Als Nesrin (Name und Herkunft geändert) verheiratet wurde, war sie 14 Jahre alt. Damals lebte sie noch im Irak, mit 16 erhielt sie in der Schweiz Asyl. Nachdem die Asylbehörde von der Kinderehe erfahren hatte, leitete sie den Fall an das Gericht weiter, damit dieses entscheiden konnte, ob die Ehe weitergeführt werden könne.

Doch die Ehe wurde keineswegs annulliert. Eine Weiterführung müsse den «überwiegenden Interessen» des Mädchens entsprechen, was bedeutet, Nesrin müsste schwanger sein oder die Liebe zu ihrem Ehemann gegenüber den Schweizer Behörden und der Familie bestätigen. Beides war nicht der Fall – und trotzdem besteht die Ehe weiterhin. Der Grund dafür ist ein ganz einfacher: Das Gericht hatte schlicht keine Zeit, sich um den Fall zu kümmern. Das führt dazu, dass die Ehe in Kürze rechtskräftig wird, denn Nesrin wird in einem Monat 18 Jahre alt.

Der Fall von Nesrin ist nur einer von vielen, welche die Fachstelle Zwangsheirat, das Kompetenzzentrum des Bundes, bearbeiten muss. Wie «20 Minuten» berichtet, melden sich jede Woche bis zu elf Betroffene, jeder dritte davon sei noch minderjährig. Allein im Jahr 2018 betreute die Fachstelle 119 Fälle von Minderjährigenheiraten, wobei die meisten Kurden aus dem Irak oder Syrien sind oder sie stammen aus Afghanistan, der Türkei oder Somalia.

Kult um die Jungfräulichkeit

Warum verheiraten Familien ihre minderjährigen Kinder? «Der Hauptgrund dafür ist der Kult um die Jungfräulichkeit der Frau», erklärt Anu Sivaganesan, Präsidentin der Fachstelle Zwangsheirat, gegenüber «20 Minuten». In der Schweiz bestehe die Gefahr, dass die Tochter bereits vor der Ehe Geschlechtsverkehr haben könnte, denn hier leben Männer und Frauen nicht getrennt voneinander. Also werde, «um die Familienehre zu wahren», die Tochter im Ausland als Minderjährige verlobt oder verheiratet.

Aber wie kann es sein, dass die Schweizer Behörden diese Ehen anerkennen, ohne sie vorher zu prüfen? Grundsätzlich gelten Kinderehen hierzulande nicht als Zwangsehen und sind somit nicht in jedem Fall verboten. Allerdings steht die Prüfung der Ehen sehr in der Kritik. «Die Interessenabwägung dauert meist so lange, bis die betroffene Person volljährig und die Ehe automatisch auch in der Schweiz gültig wird», gibt Anu Sivaganesan zu bedenken.

SVP und Grüne wollen handeln

SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer sieht daher dringenden Handlungsbedarf. «Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei Verheiratungen von unter 16 Jährigen um eine Zwangsheirat handelt» erklärt sie und reichte Ende September eine entsprechende Motion ein. Auch die Fachstelle Zwangsheirat sieht das ähnlich und schlägt vor, dass Heiraten, welche vor dem 18. Lebensjahr im Ausland geschlossen wurden, in der Schweiz nicht anerkannt werden sollten.

Nationalrätin Sibel Arslan von den Grünen fordert ebenfalls im Hinblick auf Zwangsheiraten ein Umdenken. «Unsere heutige Handhabung bei Zwangsehen ist nicht haltbar. Es müssen neue Massnahmen getroffen werden, die wirklich greifen», sagt Arslan gegenüber «20 Minuten». Sie beauftragte den Bundesrat, das Zwangsehenverbot von 2013 auf seine Wirksamkeit zu überprüfen, mit besonderem Augenmerk auf die im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen. Der Bericht des Bundesrates sei bis kommenden Januar zu erwarten.

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