Europäischer Gerichtshof Klage von Prostituiertenmörder gutgeheissen

SDA

30.4.2019 - 13:11

Der Prostituierten-Mörder von Aarau klagte in Strassburg auf Verletzung des Rechts auf Freiheit. (Symbolbild)
Der Prostituierten-Mörder von Aarau klagte in Strassburg auf Verletzung des Rechts auf Freiheit. (Symbolbild)
Source: KEYSTONE/WALTER BIERI

Für die fürsorgerische Unterbringung eines Aargauer Prostituiertenmörders bestand keine ausreichende gesetzliche Grundlage. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Klage des Mannes wegen Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit gutgeheissen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) hält in einem am Dienstag publizierten Urteil fest, der heute knapp 30-jährige Aargauer sei nur deshalb in der Sicherheitsabteilung des Gefängnisses untergebracht worden, weil er als Gefahr für Dritte betrachtet worden sei.

Dies allein reiche gemäss Bundesrat jedoch nicht aus, um eine fürsorgerische Unterbringung, wie sie im Schweizer Zivilgesetzbuch festgehalten sei, anzuordnen. Der EMRK führt weiter aus, dass der Schutz von Angehörigen und Dritten nach Ansicht des Bundesrates lediglich ein zusätzliches Element für die Unterbringung darstelle.

Das primäre Ziel der Unterbringung einer Person in einer geeigneten Einrichtung sei gemäss Zivilgesetzbuch die Behandlung einer psychischen Störung oder geistigen Behinderung, wenn dies nicht anders erfolgen könne. Insbesondere sei dies bei Selbstgefährdung der Fall. Es muss laut Gerichtshof demnach eine kausale Verbindung zwischen der Behandlung und der Unterbringung bestehen.

Neue Unterbringung

Die fürsorgerische Unterbringung basiere auf dem Kriterium einer persönlichen Hilfestellung für eine Person. Dies unterscheide sie von anderen behördlich angeordneten Platzierungen, die eine polizeiliche Massnahme darstellten und dem Schutz Dritter dienten.

Der Gerichtshof schreibt, aus den Akten gehe hervor, dass der Mann keine derart ernsthafte und akute Gefahr darstelle, um eine strafrechtliche Inhaftierung zu veranlassen. Die Unterbringung des Beschwerdeführers im Gefängnis sei folglich allein aus präventiven Gründen erfolgt. Seit September 2018 wohnt der Aargauer in einer Institution.

Der EMRK hat die Schweiz dazu verurteilt, dem Aargauer eine Genugtuung von 25'000 Euro zu bezahlen.

Gesetzeslücke schliessen

Das eidgenössische Parlament will unter anderem aufgrund des Falls des jungen Aargauers das Jugendstrafrecht revidieren. Der Nationalrat hatte im Herbst 2016 eine Motion von FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) oppositionslos an den Bundesrat überwiesen.

Heute enden alle Massnahmen des Jugendstrafrechts, wenn ein jugendlicher Täter das 25. Altersjahr erreicht. Nach altem Recht endeten die Massnahmen beim Erreichen des 22. Lebensjahrs. Diese Bestimmung galt noch für den Prostituiertenmörder.

Betroffene können so beispielsweise eine geschlossene Einrichtung verlassen. Neu sollen nicht nur für Täter, die sich selbst gefährden können oder an einer psychischen Störung leiden, weitere Massnahmen angeordnet werden können. Das Gesetz soll vielmehr so geändert werden, dass auch Massnahmen zum Schutz Dritter zulässig sind.

Brutaler Mord

Der Aargauer hatte 2008 als noch Minderjähriger eine Prostituierte brutal vergewaltigt und umgebracht. Er wurde deshalb wegen Mordes, sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu einem gemäss Jugendstrafgesetz maximalen Freiheitsentzug von vier Jahren verurteilt.

Das Jugendgericht ordnete die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt und eine ambulante Behandlung an. Auf das Ende der Strafverbüssung verfügte das Bezirksamt im Juni 2012 einen fürsorgerischen Freiheitsentzug an.

Die entsprechende Bestimmung änderte im Zivilgesetzbuch per Januar 2013. Das Bundesgericht bestätigte im November 2013 aber, dass die Bedingungen für die neu sogenannte fürsorgerische Unterbringung nach wie vor gegeben seien.

Gegen die Bestätigung der fürsorgerischen Unterbringung bis zur nächsten periodischen Überprüfung legte der Verurteilte Beschwerde ein. In seinem diesbezüglichen Urteil vom Juli 2014 trat das Bundesgericht nicht mehr auf die Rüge ein, wonach für den Freiheitsentzug keine gesetzliche Basis bestehe. Diese Frage erachtete es mit seinem Urteil vom November 2013 als rechtskräftig erledigt.

(Urteil Nummer 1760/15 vom 30.04.2019)

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