Streit auch innerhalb der Regierung Kopftuch-Debatte spaltet in Frankreich erneut die Gesellschaft

AP, Elaine Ganley / tasc

2.11.2019

Die Diskussion um das Tragen des muslimischen Kopftuches nimmt in Frankreich mitunter bizarre Züge an (Symbolbild).
Die Diskussion um das Tragen des muslimischen Kopftuches nimmt in Frankreich mitunter bizarre Züge an (Symbolbild).

Alle paar Jahre wieder: Beim Thema Integration streiten die Franzosen über ein Stück Stoff. Die einen sehen es als Symbol für Extremismus. Die anderen warnen vor Stigmatisierung. Auslöser war diesmal, dass eine verschleierte Frau eine Schulgruppe begleitet hatte.

Der Rechtspopulist berief sich auf «unsere säkularen Prinzipien» – er unterbrach die Sitzung des Regionalparlaments und forderte eine Muslimin im Saal zum Ablegen ihres Kopftuchs auf. Das Kind der Frau vergrub sich in ihren Schultern und weinte. Im ganzen Land wurde später über die Szene diskutiert. Oft wurde dabei vieles vermengt: Islam, Zuwanderung, Radikalisierung. Angeheizt wurde die Stimmung zusätzlich durch Verweise auf aktuelle Gewaltverbrechen.

In anderen Zeiten hätte der populistische Einwurf des Lokalpolitikers am 11. Oktober in Dijon vermutlich keine grossen Wellen geschlagen. Er wäre abgehakt worden als eine weitere Episode in der Jahrzehnte alten Debatte darüber, wie der in der Verfassung verankerte Laizismus in der Praxis umzusetzen sei. Dass der Fall nun derart schnell so weite Kreise zog, verweist auf eine brodelnde Unzufriedenheit in immer grösseren Teilen der französischen Gesellschaft.

Nicht nur am äussersten rechten Rand wird mit der Angst vor Überfremdung Politik gemacht. Der von den Konservativen dominierte Senat in Paris stimmte am Dienstag für ein Gesetz, laut dem es Müttern, die ihre Kinder bei Schulausflügen begleiten, verboten sein soll, ein Kopftuch zu tragen. Einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop zufolge denken acht von zehn Franzosen, dass der Säkularismus in Gefahr sei.

Das Kopftuch gelte als «das Symbol schlechthin für die Sichtbarkeit von Religion», sagt Nicolas Cadène von der «Laizismus-Beobachtungsstelle» der französischen Regierung. Einige Bürger sähen das Kopftuch zugleich als etwas, das irgendwie «mit Radikalisierung verbunden» sei. Im aktuellen gesellschaftlichen Klima würden sich dabei «Ängste, Emotionen und Instinkte» vermischen.

Nach dem jüngsten Anschlag in der Pariser Polizeipräfektur, bei dem ein muslimischer Mitarbeiter der Geheimdienste vier Kollegen tötete, wurde die Polarisierung der Gesellschaft laut Cadène sehr deutlich. Oft zeige sich in solchen Fällen aber auch eine grosse Verwirrung im Hinblick auf das 1905 eingeführte Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat, sagt er in einem Interview. Anders als von einigen Seiten suggeriert, gehe es in dem Gesetz nicht um den Schutz einer «mythischen Identität» einer weissen und katholischen Kultur.

Islam ist zweitgrösste Religion des Landes

Der Islam ist im noch immer katholisch geprägten Frankreich heute die zweitgrösste Religion. Der muslimische Teil der Bevölkerung hat seine Ursprünge überwiegend in den früheren Kolonien. Im rechten politischen Spektrum wird der Islam zunehmend als Bedrohung für den «französischen Lebensstil» dargestellt. Die rechtsextreme Front National, die 2018 in Rassemblement National umbenannt wurde, konnte mit entsprechenden Parolen zum Teil beachtliche Wahlerfolge erzielen. Doch auch in gemäßigteren Kreisen hat sich eine kritische Haltung gegenüber dem Islam etabliert.

Vor 15 Jahren wurde es Schülern verboten, in Klassenräumen «auffällige» religiöse Symbole wie das Kopftuch zu tragen. Sieben Jahre später wurden Schleier, die das Gesicht bedecken, per Gesetz von öffentlichen Strassen verbannt. In beiden Fällen sind formell zwar auch andere Kleidungsstücke bzw. Symbole verboten. Es wurde aber nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Regelungen vor allem auf Muslime abzielen.

Die Mutter, die in Dijon von dem zur Rassemblement National gehörenden Politiker Julien Odoul angefeindet wurde, hatte die Schulklasse ihres Sohnes zu der Sitzung begleitet. «Ich habe eine Ablehnung gespürt wie nie zuvor», sagte die nur als Fatima E. identifizierte Frau in einem von der Organisation Collectif contre l'islamophobie en France veröffentlichten Interview. «Inzwischen habe ich eine negative Einstellung zu dem, was als Republik bezeichnet wird.»

In fünf Monaten stehen in Frankreich Kommunalwahlen an. Und das trägt ganz wesentlich zur Verbissenheit der Debatten bei. Die Konservativen, die bei der jüngsten Parlamentswahl massive Verluste einstecken mussten, richten sich neu aus und setzen dabei auch auf einwanderungskritische Positionen. Das von ihnen im Senat vorangetriebene Gesetz dürfte allerdings im Unterhaus des Parlaments, das von der Partei von Präsident Emmanuel Macron kontrolliert wird, scheitern.

Kopftuch «nicht wünschenswert»

Doch auch innerhalb der Regierung von Macron offenbaren sich bei dem Thema Dissonanzen. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer erklärte, es sei «nicht wünschenswert», dass eine Mutter während eines Schulausflugs ein Kopftuch trage. Ministerpräsident Édouard Philippe hingegen sagte, dies sei in Ordnung – solange die Mutter nicht anfange zu missionieren.

Macron selbst gibt sich betont zurückhaltend. Entscheidend sei, dass die Muslime in Frankreich, die sich überwiegend gut integriert hätten, nicht stigmatisiert würden, sagte der Präsident vergangene Woche.

Rassemblement-National-Chefin Marine Le Pen bezeichnete das Kopftuch kürzlich als ein «ideologisches Symbol» und als «politische Waffe».
Vertreter der muslimischen Gemeinschaft wehren sich gegen solche Darstellungen – und sehen sie als mitverantwortlich für Angriffe wie den am Montag im Südwesten des Landes, bei dem ein 84-Jähriger vor einer Moschee zwei Menschen verletzte. Der prominente Lyoner Imam Kamel Kabtane kritisierte die «zänkische und gefährliche Medien- und Politik-Kampagne gegen Muslime und den Islam». Mit dieser würden «Franzosen gegen Franzosen» aufgewiegelt, sagte er.

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