Nebenwirkung der PandemieJapaner haben das Lächeln verlernt – Trainerin bringt's zurück
tgab
19.5.2023
Die Japaner nehmen nach drei Jahren Pandemie ihre Masken ab, und viele stellen fest: Ihr Lächeln ist erschlafft. Denn auch Gesichtsmuskeln möchten trainiert werden.
tgab
19.05.2023, 00:00
Gabriela Beck
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
In Japan fallen die Masken, und die Menschen müssen sich wieder an das Lächeln gewöhnen.
Dabei hilft ihnen Lächel-Trainerin Keiko Kawano.
Für umgerechnet etwa 580 Franken und nach einem Tag Schulung kann man selbst als Lächel-Trainer einsteigen.
Seit die japanische Regierung Covid-19 auf den gleichen Status wie andere häufig vorkommende Krankheiten herabgestuft und die offiziellen Maskenempfehlungen erheblich gelockert hat, hat Keiko Kawano einen vollen Terminkalender. Denn die Lächel-Trainerin hilft ihren Landsleuten dabei, durch das Maskentragen hervorgerufene Muskeldefizite auszugleichen.
«Menschen trainieren ihre Körpermuskulatur, aber nicht ihr Gesicht», sagt sie der «New York Times». «Die Leute heben unter einer Maske nicht ihre Mundwinkel.» Und so kommt es, dass so manches Lächeln anscheinend verblasst ist, die Gesichtsmuskeln wollen nicht mehr so recht gehorchen. Man könne diese Muskeln nicht einfach plötzlich wieder einsetzen, weiss die Lächel-Expertin. An einer Wiederbelebung des Lächelns müsse man arbeiten.
Starke Jochbeinmuskeln für ein schönes Lächeln
Bereits während ihrer Zeit als Radiomoderatorin beschäftigte sich Keiko Kawano regelmässig mit Artikulationsübungen. Und schon vor der Pandemie begann sie, Lächeln in einem Fitnessstudio zu trainieren. Hin und wieder suchten auch Einzelpersonen ihren Rat in der Hoffnung, ein schöneres Lächeln könne ihnen dabei helfen, bessere Jobs zu bekommen oder ihre Heiratsaussichten zu verbessern.
Heute unterrichtet die Lächel-Trainerin in einstündigen Sitzungen online oder während persönlichen Einzel-Sessions. Ihr Lehrplan stützt sich auf Yoga und legt den Schwerpunkt auf die Stärkung der Jochbeinmuskeln, die die Mundwinkel emporziehen. Auch die Muskeln direkt unter den Augen seien entscheidend.
Ein eingeübtes Lächeln erkennen die Mitmenschen
«Gesichtsmuskeln können wie andere Muskeln trainiert werden, obwohl ein solches Training aufgrund der grossen Unterschiede zwischen den einzelnen Personen eine Herausforderung darstellen kann», sagt Yael Hanein, die ein Labor für Neurotechnik an der Universität Tel Aviv in Israel leitet.
Ein mögliches Problem bei einem geübten oder falschen Lächeln bestehe aber darin, dass es von anderen Menschen als solches erkannt werden könne, fügt sie hinzu. Und: Ihr seien keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die die Auswirkungen einer Langzeitmaskierung auf die Gesichtsmuskulatur dokumentieren.
Lächel-Kurse gab es in Japan aber auch schon vor der Pandemie, meist für Einzelhandelsangestellte. Allerdings ist im gesellschaftlichen Kontext Lächeln weitaus weniger wichtig als sich zu verbeugen. Unter japanischen Frauen ist es darüber hinaus Usus, beim Essen oder Lachen den Mund zu bedecken. «Lächel-Lektionen wirken sehr westlich», bestätigt Tomohisa Sumida, Gastforscher an der Keio-Universität, der die Geschichte der Maskierung in Japan untersucht.
Keiko Kawano scheint mit ihrem Angebot jedoch einen Nerv getroffen zu haben. So bestätigte Miki Okamoto von IBM Japan, dass das Lächel-Training von den Mitarbeitenden «gut angenommen» würde. Und Katsuyo Iwahashi, eine Beamtin im Gesundheitssektor der Präfektur Kanagawa, bescheinigt den Erfolg der Sitzungen beim öffentlichen Seniorenprogramm. Nun soll ein ähnliches Training speziell für Mütter mit kleinen Kindern angeboten werden.
Trainer-Zertifikat nach einem Tag Schulung
Inzwischen führt Keiko Kawano auch eintägige Zertifizierungsschulungen für Menschen durch, die Lächeln lehren möchten – für umgerechnet etwa 580 Franken. Eine ihrer Schülerinnen, Rieko Mae, erzählt nun ihren eigenen Kunden, dass Lächelübungen auch für Menschen wichtig seien, die viel auf natürliche Weise lächeln. «Manchmal muss man ein nettes, professionelles Lächeln zeigen, und darüber wissen die Leute nicht viel», sagte die frisch gebackene Lächel-Trainerin.
Ein Lächel-Trainingskurs könne Menschen durchaus helfen, ihre Mimik zu verbessern und Selbstvertrauen aufzubauen, hat Masami Yamaguchi festgestellt. Die Psychologin untersucht an der Chuo-Universität, wie Babys auf die Mimik ihrer Mütter schauen. Der Trick beim Lächeln: Absichtliche Muskelbewegungen senden Signale an das Gehirn und erzeugen positive Gefühle, auch wenn man nicht glücklich ist. So fanden Forscher*innen der University of Kansas in einem Versuch heraus, dass Probanden mit einem Lächeln im Gesicht in Stresssituationen ruhiger blieben – dafür war es unerheblich, ob das Lachen echt war oder nicht.