Tanz «Leonce und Lena» werden in Bern getanzt

SDA

22.1.2020 - 11:04

«Leonce und Lena» von Georg Büchner ist ein Lustspiel für das Schauspiel; in Bern kommt es nun als Tanzstück auf die Bühne. Choreograph Felix Landerer stellt, anders als Büchner, Lena als starke Frau in den Vordergrund und hat gute Argumente dafür.

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere am 25. Januar. Im taghelll erleuchteten Probensaal in den Berner Vidmarhallen üben 15 Tänzerinnen und Tänzer, unprätentiös in Trainerhosen und T-Shirt, ohne Kulissen oder Requisiten. Die Mitglieder der Truppe stammen offensichtlich aus aller Herren Länder; die Bewegungsabläufe lassen sofort auf modernes Tanztheater schliessen; die elektronische Musik ist zumeist rhythmusbetont.

Resolute, zornige Frau

Im Zentrum stehen Leonce (Andrey Alves) und Lena (Momoko Higuchi). Mimik, Gestik und Bewegungsabläufe zeigen einen hadernden, gelangweilten jungen Mann und eine resolute, zornige junge Frau. Diese Lena ist weit von der literarischen Vorlage von Georg Büchner entfernt.

Bei Büchner, dem Dichter des frühen 19. Jahrhunderts, spielt Prinzessin Lena im Vergleich zu Prinz Leonce eine untergeordnete Rolle. Das Paar ist einander zur Ehe versprochen, ohne dass sie sich kennen; beide wollen sich auf das Arrangement, das über ihre Köpfe hinweg getroffen wurde, nicht einlassen; unabhängig voneinander fliehen sie vor den Verhältnissen, lernen einander per Zufall kennen, verlieben sich und beschliessen zu heiraten – das die Geschichte. Dabei zeichnet Büchner Leonce als von den Verhältnissen am väterlichen Hof gelangweilten und übersättigten, indifferenten jungen Prinzen; Lena ist eine romantisch veranlagte Klischee-Prinzessin.

Mit dieser Vorlage ist Konzert Theater Bern an den Choreographen Felix Landerer aus dem deutschen Hannover herangetreten. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA räumt Landerer freimütig ein, dass er zu Beginn Schwierigkeiten hatte, einen Zugang zu dem Stück zu finden. «Ich kann weder Büchner eins zu eins erzählen, noch will ich Lena als Prinzessin des 19. Jahrhunderts darstellen.»

Büchner war indes kein Romantiker, der in der Waldeinsamkeit die ideale Liebe besungen hätte; vielmehr hatte der Dichter des sogenannten Vormärz ein konkretes gesellschaftspolitisches, ja revolutionäres Anliegen, weshalb er in seiner Heimat Darmstadt verfolgt wurde und 1836 nach Zürich flüchtete. Diese Haltung scheint in seinem «Lustspiel» durch, in der Darstellung der Verhältnisse am Hof: ein völlig inkompetenter König, ein willfähriger Hofstaat und ein Volk, dass am Strassenrand winken muss, wenn am Hof Hochzeit gefeiert wird.

Hier hat Landerer seinen Ansatz für seine Bühnenversion von «Leonce und Lena» gefunden. «Büchner beschreibt eine Elite, der es nur um den Erhalt der eigenen Macht geht, die satt ist und an der eigenen Langeweile zu ersticken droht», sagt Landerer und zieht die Parallele zu aktuellen Verhältnissen. «Das ist wie in der Schweiz oder in Deutschland heute: eine träge, satte Gesellschaft, die nicht nachdenken soll und eine heuchlerische Elite.» Dazu soll Landerers Lena das Gegenbeispiel sein. Sie steht für Veränderung und Glaubwürdigkeit: «Die Tänzern Higuchi soll eine Lena verkörpern, die Haltung zeigt und nicht korrumpierbar ist», erklärt der Choreograph. «Büchner würde diese Lena mögen.»

Nebeneinander von Sprache und Tanz

Darüber hinaus will Landerer keine patriarchalische Gesellschaft zeigen. Deshalb wurde aus König Peter bei Büchner in der Berner Fassung eine Königin. Die Hochzeit, die bei Büchner am Schluss nur in Aussicht steht, wird in Bern gefeiert. Am weitesten entfernt sich Landerer von der literarischen Vorlage, indem er eine Erzählerfigur einführt. Dieser Erzähler (Winston Ricardo Arnon) spricht englisch und ist auf der Bühne präsent. «Damit möchte ich ein Nebeneinander herstellen von Sprache, dem Medium der Vernunft, und der Körperlichkeit des Tanzes», erklärt Landerer.

Eine weitere Ebene bietet im Tanzstück die Musik, eigens komponiert von Christof Littmann. Er und Landerer arbeiten bereits seit Jahren zusammen, so auch für die Tanzversion von Max Frischs Roman «Homo Faber», die 2014 auf der Berner Bühne zu erleben war. Die gemeinsame Arbeit beschreibt Landerer als Zusammenspiel: Littmann suche nach Klängen – «etwa, wie klingt Monotonie» – Probenvideos gingen hin und her, die Musik entstehe in dem gleichen Prozess, wie auch die Tänzerinnen und Tänzer ihre eigenen Ausdrucksformen entwickeln. Die moderne, elektronische Musik «lenkt das Stück in eine andere Richtung und bietet so eine weitere Verständnisebene,» sagt Landerer.

Der Choreograph hat zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern die geschriebene nuancierte Sprache Büchners in die abstrakte emotionale Ausdrucksweise des Tanzes übersetzt. «Wir haben die massive Gesellschaftskritik, auch die Bitterkeit Büchners in ein Tanzstück verwandelt.» Dabei lasse sich über Geschmack und Ästhetik nicht streiten. Wichtig ist Landerer vielmehr, dass seine Zuschauer das Handwerk hinter seiner Kunst wahrnehmen: «Kunst wird dann spannend, wenn wir uns mit dem Handwerk dahinter auseinandersetzen.»

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