Theater Lukas Bärfuss dramatisiert Stendhal

SDA

15.1.2020 - 10:08

Als aktueller Träger des Büchner-Preises ist Lukas Bärfuss der deutschsprachige Autor der Stunde. Am Donnerstag wird am Theater Basel sein neues Stück uraufgeführt – eine Neudichtung von Stendhals Jahrhundertroman «Rot und Schwarz».

Warum Stendhal? Der französische Schriftsteller mit bürgerlichem Namen Marie-Henri Beyle (1783-1842) gilt zwar als einer der frühesten Vertreter des literarischen Realismus. In seinem epischen Roman «Rot und Schwarz» («Le Rouge et le Noir») beschreibt er 1830 die Zerrissenheit der nachrevolutionären Gesellschaft in Frankreich. Im Zentrum steht der Aufstieg und Fall eines jungen Emporkömmlings mit Namen Julien vom Nichts ins Bildungsbürgertum. Aber aktuell ist der Stoff nicht

Warum also dramatisiert Bärfuss, der sich vornehmlich mit Themen der Gegenwart befasst, einen fast 200 Jahre alten Roman? Er habe für die Bühne auch schon klassische Stoffe bearbeitet, korrigiert der Autor. Aber das mit einem Roman sei schon neu. «Stendhal ist unglaublich frisch geblieben in seiner Analyse, seinem Stil und Schwung. Von den grossen Romanen des 19. Jahrhunderts hat 'Rot und Schwarz' mich am meisten beeindruckt», sagt der Autor gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Interessiert habe ihn vor allem die Figur des Julien, ein Mensch, der im Nichts aufwachse, geschlagen und verkauft werde, dann in eine Welt hineingerate, die er nicht verstehe, in der er aber sehr erfolgreich ist. Und bevor man die entsprechende Frage stellen kann, gibt Bärfuss gleich selber zur Antwort: «Die Figur des Julien hat sehr viel mit mir zu tun.»

Parallelen von Bühnenfigur und Autor

Gewisse Parallelen fallen tatsächlich ins Auge: Bärfuss hat nach der Primarstufe seine Schullaufbahn abgebrochen, lebte in Thun auf der Strasse, bis es zur grossen Wende kam. Er wurde quasi aus dem Nichts zum Buchhändler und stieg langsam aber stetig zu einem der erfolgreichsten Autoren des deutschsprachigen Raums auf.

2014 erhielt er für seinen Roman «Koala» den Schweizer Buchpreis, seine Theaterstücke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und oft gespielt und 2019 folgte mit dem Büchner-Preis die höchste Auszeichnung, die ein Autor im deutschsprachigen Raum erhalten kann.

So konkret auf diese Parallele mag Bärfuss dann aber doch nicht eingehen. Ihm gehe es darum zu fragen, wie eine Gesellschaft funktioniere, wie man das Dasein in ihr erlerne. «Die Verbissenheit von Julien, alles perfekt zu machen, ist eine Form von Ehrgeiz, die ich auch von mir kenne.»

Die Roman- und jetzt auch Bühnenfigur Julien erlebt den Aufstieg und am Höhepunkt den Fall. Kann es sein, dass auch Bärfuss befürchtet, nach dem Zenit in der öffentlichen Wahrnehmung als Schriftsteller könnte ein tiefer Fall folgen? Der komme bestimmt, sagt er. «Die Vorstellung, dass es immer weiter aufwärts geht, ist absurd.»

Keine schöngeistige Literatur

So rasch wird Bärfuss aber nicht aus dem Fokus verschwinden. Dafür sind nicht zuletzt seine politischen Essays und Wortmeldungen in diversen Medien von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» bis zum «Sonntagsblick» verantwortlich, mit denen er immer wieder Staub aufzuwirbeln versteht. Die «Neue Zürcher Zeitung» führt eine Art Kleinkrieg gegen den gefeierten Autoren.

«Da wird ein Schriftsteller evoziert, der schöngeistige Literatur produziert, die mit der Gesellschaft nichts zu tun hat», sagt Bärfuss. Dabei sei es doch völlig normal, dass sich ein Autor zur Politik seiner Zeit äussere. «Nehmen wir Stendhal, er hat ein gesellschaftspolitisches Buch geschrieben», wie er, Bärfuss, es vor vielen, vielen Jahren noch als Mitglied der freien Truppe 400asa in Basel mit dem Theaterprojekt «Meienbergs Tod» ebenfalls gemacht habe.

Dem Theater ist Bärfuss auch nach seinen Erfolgen als Romancier immer und mit Leidenschaft treu geblieben. Obwohl es sich im Vergleich zum Romanschreiben um eine ganz andere Welt handle: «Im Theater kann man nicht blättern, Theater ist keine Fiktion, da geht es nicht um den Text, sondern um die Schauspieler», sagt er. Theater sei nicht kulturell, sondern anthropologisch.

Da stört es ihn auch nicht, dass er seinen Text für das «anthropologische» Endprodukt in die Hände anderer legen muss. Und dass er in Kauf nehmen muss, dass die Inszenierung ganz andere Bilder hervorbringe, als diejenigen, die er im Kopf hatte, als der den Text schrieb.

«Es wäre wunderbar, wenn es ganz anders rauskommen würde. Wie wundervoll wäre es, wenn ich ins Theater gehe und merke, ach, so habe ich mit das gar nicht ausgedacht. Das würde bedeuten, dass mein Text mehr ist, als was ich mir vorstellen konnte, eine grössere Fantasie ermöglicht», sagt er.

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