Flat Earthers Menschen, die die Erde plattmachen – «Die Leute sind wie eine Familie»

Philipp Dahm

18.2.2019

«Die Nasa lügt»: Eine Teilnehmerin des ersten Treffens der Flat Earthers 2017.
«Die Nasa lügt»: Eine Teilnehmerin des ersten Treffens der Flat Earthers 2017.
Screenshot: YouTube

Überholtes Denken in modernen Zeiten: Noch immer glauben Menschen, die Erde sei flach und die Wissenschaft vertusche das Ganze. Eine Forscherin gibt nun YouTube eine Mitschuld an dem Irrglauben.

Mitte November 2018 in Denver, Colorados Hauptstadt: Die Menge im Crown Plaza Airport Convention Center wiederholt voller Überzeugung die vier Worte, die der Moderator vorgibt: «Ich schäme mich nicht.» Und weiter geht es im Chor, beschreibt die «Denver Post» die Szene: «Ich schäme mich nicht ob des Spotts. Ich schäme mich nicht ob des Hohns. Ich schäme mich nicht ob der Beleidigungen.»

Diese Gemeinschaft – das wird wohl jedem Zuschauer ziemlich schnell klar – muss sich sehr viel anhören und auch Einiges aushalten. Was sie wissen, denken oder denken zu wissen, ist nicht unumstritten. Der Widerstand gegen diese Gruppe manifestiert sich in ihrem «Glaubensbekenntnis»: Willkommen auf der Flat Earth International Conference 2018 – der Jahrestagung der Menschen, die meinen, die Erde sei eine Scheibe.

So sieht die Erde nach Glauben der Flat Earthers aus.
So sieht die Erde nach Glauben der Flat Earthers aus.
Bild: Gemeinfrei

Es ist das zweite Mal, dass diese Gemeinde zu einem solchen Anlass zusammenkommt – 2017 hatte es in Raleigh, North Carolina, die Premiere gegeben. Die Teilnehmer haben sich zum Ziel gesetzt, die «pseudo-wissenschaftlichen ‹Fakten› aufzudecken und zu entlarven, um gleichzeitig die wahren Beweise zu präsentieren, die auf schockierende Art auf unsere Existenz auf einer flachen, stationären Ebene hindeuten».

(Irr-)Glaube als Wurzel des Problems

Diese Menschen, die sich hier versammelt haben, sind wirklich davon überzeugt, dass «jedes jemals durchgeführte Experiment gescheitert ist, das auch nur die einfache Erd-Drehung nachweisen sollte». 650 von ihnen haben den Weg nach Colorado gefunden, meldet der «Guardian» – das sind 150 Gläubige mehr als im Vorjahr. Robbie Davidson sagt der britischen Zeitung: «Ich dachte, die Idee einer flachen Erde sei lächerlich.» Das ist deshalb bemerkenswert, weil der Mann die Konferenz in Denver – wie auch die davor – organisiert hat.

Das «Vice» Magzine besucht 2017 die erste Jahrestagung der Flat Earthers.

Was seine Meinung geändert hat? Die Bibel. «Ich habe ja alles andere geglaubt, dass die Erde in sechs Tagen geschaffen worden ist, aber was [bedeutet das für die These der flachen Erde]? Ich kann mir nicht die Rosinen rauspicken, wenn ich als Bibeltreuer eine Linie haben will.» Wie unser Heimatplanet beschaffen ist, erklärt quasi jeder Konferenz-Teilnehmer auf seine Art. Was sie eint, ist die Berufung auf die Heilige Schrift und die darin beschriebene Erschaffung der Welt – das Gros der Besucher in Denver ist evangelikal.

Dabei sind die «Flat Earthers» gar nicht so frei in ihrem Denken, wie sie vielleicht meinen. Das legt die Arbeit von Dr. Asheley Landrum nahe. Die Psychologin von der Texas Tech University hat an den beiden Jahrestagungen insgesamt 30 Interviews geführt und ein Muster bei den Teilnehmern feststellen können. Nicht so sehr die Bibel, sondern vielmehr YouTube sorgt dafür, dass der Glauben an eine flache Erde noch nicht ausgestorben ist.

Das YouTube-Öl im Flacherde-Feuer

Das Ergebnis hat die Forscherin selbst bei einer Jahrestagung vorgestellt – es war jene der American Association for the Advancement of Science: Die honore Wissenschaftsvereinigung zählt 120'000 Mitglieder, ist bereits 170 Jahre alt und im Prinzip so etwas wie der Gegenentwurf zum Stelldichein der «Flat Earthers». Der Stellenwert, den YouTube-Clips bei dieser Gruppierung haben, ist immens, weiss Dr. Landrum.

29 der 30 von ihr Befragten geben zu, dass Videos ihre Meinung geändert hätten. «Der Einzige, der das nicht gesagt hat, war mit Tochter und Schwiegersohn da – und die haben ein YouTube-Video gesehen und ihm davon erzählt», verdeutlicht die Psychologin nun im «Guardian».

Bei Anhängern das beliebteste Video zum Thema: «200 Beweise dafür, dass die Erde kein sich drehender Ball ist».

Die Forscherin will YouTube keine irreführende Absicht unterstellen. «Ihre Algorithmen machen es einem einfach, sich in [seiner Filterblase zu verlieren], indem sie Leuten, die anfällig dafür sein werden, [entsprechende] Informationen präsentieren. An sich ist der Gedanke, dass die Erde flach ist, nichts Schädliches, aber er geht in der Regel mit einem Misstrauen gegenüber Institutionen und Autoritäten einher. Wir wollen, dass die Leute die Informationen, die sie bekommen, kritisch hinterfragen, aber dann muss das Ganze auch ausgeglichen sein.»

Unverstandene Flat Earthers «sind wie eine Familie»

Auch Charles Whitehead hat sich diverse Videos angeschaut, als er 2016 mit der These konfrontiert wird. Ein amerikanischer Rapper bringt ihn auf die Idee: Bobby Ray Simmons alias B.o.B. ist einer der prominenteren Jünger der Flacherde-Theorie. Nachdem Charles' Neugier geweckt ist, kann der Mann aus New Jersey keine Gegenstimmen zu den YouTube-Clips finden, denen er doch eigentlich glauben möchte. Als er seiner Familie von seinen Überlegungen erzählt, leiden die Beziehungen.

«Sie machen sich über mich lustig und sagen, ich sei dumm oder verrückt», gesteht Charles der «Denver Post». Auf der Konferenz fühlt er sich hingegen verstanden. «Die Leute sind wie eine Familie.» Wie sagt der Volksmund – seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen? Offenbar doch.

Wer sich von Rapper B.o.B nicht beeindrucken lässt, kann sich allenfalls an anderen Prominenten wie Footballer Kyrie Irving oder dem MTV-Sternchen Tila Tequila orientieren. Oder an einem Social-Media-Star wie Logan Paul: Der YouTuber mit 18 Millionen Abonnenten outet sich in Denver ebenfalls als Freund der Flacherde-Fabel.

«ABC News» bei der zweiten Flat Earth International Conference in Denver.

Wenn man zu denjenigen gehört, die verstanden haben wollen, wie sich die Welt dreht, sucht man ohnehin nicht nach Gegenargumenten, sondern eher nach Bestätigung. «Es ist sehr kathartisch, unter [Glaubensgenossen] zu sein», findet dann auch Robbie Davidson, der Organisator des Treffens. «Das ist so wichtig, denn wir sind isoliert und missbraucht worden. Und jetzt können wir atmen, persönliche Beziehungen zu Gleichgesinnten haben und uns mit ihnen verbinden.»

Fake News mit besseren Infos kontern

Bisher sei ohnehin erst die Spitze des Eisberges zu sehen: «Ich würde sagen, dass erst 20 Prozent ihr Coming-out hatten. Was Sie jetzt sehen, ist bloss die erste Welle.» Die Ärztin Landrum sieht das naturgemäss anders. «Es wird immer eine kleine Prozentzahl von Leuten geben, die alles ablehnen, was Forscher veröffentlichen.» Was könnte die Lösung dieses Dilemmas sein? Landrum sieht bloss eine Strategie, die hilft: «Das einzige Mittel, mit dem wir solche Fehlinformationen bekämpfen können, ist zu versuchen, sie mit besseren Informationen zu überwältigen.»

Informationen könnten theroretisch die Teilnehmer der nächsten Jahrestagung aus einer Zwickmühle befreien, die sich ihnen auftut: 2019, spätestens aber 2020 soll die Flat Earth International Conference auf einem Kreuzfahrtschiff stattfinden. Diese Boote navigieren mit GPS: Bis zu 24 Satelliten sind nötig, um die Position exakt zu bestimmen – notabene wegen der Erdkrümmung.

Abschied von «Kepler»-Teleskop:

Doch auch das wird die Gläubigen nicht zweifeln lassen. Nicht einmal Angst kann man ihnen machen: Ihr Schiff kann trotz flachen Weltbildes nicht vom Planeten fallen – dank einer Art von Leitplanke: «Das gängigste Modell unserer Erde ist das einer Kreisscheibe, auf der die Antartkis als Eis-Barriere dient.»

So müssen die beiden Lager am Ende des Tages wohl akzeptieren, dass sie von unterschiedlichen Welten kommen. Wie hat es die tschechisch-österreichische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach so klug gesagt?

«Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.»

Die Bilder des Tages

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