Kuba Morbide und zugleich äusserst lebendig: Havanna wird 500

AP

14.11.2019

Die Strandpromenade Malecon in Havanna.
Die Strandpromenade Malecon in Havanna.
Bild: Ramon Espinosa/AP/dpa

Die kubanische Hauptstadt wird von Touristen für ihre verfallende Schönheit gerühmt. Bewohner klagen über wirtschaftliche Stagnation und Probleme mit der Infrastruktur. Aber zum Jahrestag herrscht bei vielen trotz aller Probleme ein Gefühl vor: Zuneigung zu ihrer Stadt.

Havanna ist im Lauf seiner Geschichte von spanischen Kolonialgouverneuren, Machthabern unter dem Schutz der USA und kommunistischen Revolutionären regiert worden. Die Stadt ist ein architektonisches Schatzkästchen, in dem Gebäude mangels Instandhaltung einstürzen. Die am Wasser gelegene kubanische Hauptstadt blickt auf ein Meer, auf dem wegen US-Sanktionen und eigener Verbote fast keine Schiffe fahren. Und die Führung des Landes verurteilt den weltweiten Kapitalismus, während sie in Havanna neue Hotels für Touristen aus Miami, Mexiko-Stadt und Madrid bauen lässt.

Die Metropole voller Mysterien und Widersprüche feiert am Samstag den 500. Jahrestag ihrer Gründung. Heute steht sie vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen, vom Klimawandel über US-Sanktionen bis hin zu wirtschaftlicher Stagnation und der Abwanderung gut ausgebildeter Bewohner. Trotz der harten Zeiten plant die kubanische Regierung zur Jubiläumswoche zahlreiche Feiern mit Hunderten Veranstaltungen an restaurierten Monumenten und historischen Stätten. Die spanische Königsfamilie wird zu einem Besuch erwartet, über der Uferpromenade Malecón steigt ein Feuerwerk.

Die resignierte Stimmung, die unter den 2,1 Millionen Einwohnern häufig anzutreffen ist, hat sich etwas gelichtet. Viele Menschen bewundern mehr oder weniger abgeschlossene Restaurierungsarbeiten und geniessen Strassenfeste und Sonderausstellungen, die bereits vor den eigentlichen Feierlichkeiten zum Jahrestag begonnen haben.

Die frühere Staatsbedienstete María de los Ángeles Matamoros lebt in der Altstadt in einem Stadthaus aus dem 19. Jahrhundert, das in 20 kleine Wohnungen aufgeteilt wurde. Jahrzehntelang teilte sie sich ein Bad mit den Nachbarn und trug Wasser eimerweise vom einzigen funktionierenden Wasserhahn des Gebäudes in ihre Wohnung. «Ich würde nirgendwo anders in der Welt leben wollen. Es ist eine tiefe Liebe», sagt die Rentnerin. «Alt-Havanna, wo ich lebe, ist ein Teil von mir.»

Havanna: Metropole voller Mysterien und Widersprüche
Havanna: Metropole voller Mysterien und Widersprüche
Bild: Keystone/AP Lermin/Mark Lennihan (Symbolbild)

Kaum Neubauten nach der Revolution

Die meisten anderen ehemals spanischen Hauptstädte Lateinamerikas haben noch einen kolonialen Kern und bestehen ansonsten aus gläsernen Bürogebäuden, Betontürmen und modernen Einkaufsmeilen. In Havanna wurde nach der Revolution von 1959 kaum noch gebaut, abgesehen von Wohnblocks im Sowjetstil auf Freiflächen am Stadtrand. Touristen bietet sich daher ein einzigartiges Stadtbild. «In Chile ist unsere Architekturgeschichte verloren gegangen, sie wurde nicht bewahrt. Das ist in Havanna wirklich positiv zu sehen», sagt der chilenische Tourist Esteban Gajardo.

Eine Fahrt durch die Stadt führt heute vorbei an spanischen Plazas aus dem 16. Jahrhundert in Alt-Havanna, neobarocken Wohnhäusern und Art-déco-Theatern im Zentrum, Villen aus dem frühen 20. Jahrhundert im Stadtteil Vadado bis zu modernistischen Wohngebäuden in den fast schon vorstädtischen Bezirken Miramar und Siboney. «Havanna hat eine sehr klare urbane Struktur, die im Lauf der Zeit gewachsen ist und bewahrt wurde, aber die Entwicklung ist in den 60ern praktisch zum Stillstand gekommen», sagt Orlando Inclán, ein Fachmann für urbane Entwicklung beim Büro des Stadthistorikers von Havanna.

Jeder Bürger darf in Kuba zwei Wohnstätten besitzen, eine in der Stadt und eine auf dem Land. Sie können frei ge- und verkauft werden. Entsprechende Gesetze wurden nach dem Amtsantritt von Raúl Castro als Präsident 2008 erlassen. Er hatte eine ganze Reihe von Reformen angestossen. Viele Gebäude in Havanna und anderen kubanischen Grossstädten wurden in Renovierungswellen vor dem Verfall gerettet, veranlasst von der kleinen oberen Mittelschicht des Landes, Betreibern privater Geschäfte oder Menschen mit Zugang zu ausländischem Kapital.

Hunderttausende andere Kubaner müssen mit dem staatlichen Salär von umgerechnet knapp 30 Euro im Monat auskommen und leben in Häusern in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Dieser wird vom Klimawandel beschleunigt, besonders in Ufernähe. Die Häuser dort leiden unter Überschwemmungen, Meeresgischt, Hurrikanen und Tropenstürmen. Entlang des Malecóns sind 70 Prozent der Gebäude in einem solch schlechten Zustand, dass sie ganz oder teilweise abgerissen werden sollen.

«Riesiger Rückstand an Arbeit»

Bewohner der Stadt klagen zudem häufig über unregelmässige Müllabfuhr und den Abfall, der sich an vielen Strassenecken sammelt. Auch der öffentliche Nahverkehr ist schlecht, so dass selbst kurze Busstrecken zur stundenlangen Odyssee werden können. Den Besitz eines Autos können sich die meisten Bewohner Havannas nicht leisten, deshalb sind sie auf Busse oder jahrzehntealte amerikanische Strassenkreuzer angewiesen, die zu Gruppentaxis für Kurzstrecken umfunktioniert wurden. «Die Stadt hat auf den Gebieten Wohnungswesen, Infrastruktur und Dienstleistungen einen riesigen Rückstand an Arbeit aufzuholen», sagt der kubanische Architekt Rolando Lloga.

Raúl Castros Reformen sind in den vergangenen Jahren weitgehend zum Erliegen gekommen. Viele Kubaner blicken deshalb pessimistisch in die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Hinzu kommt, dass US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen die Karibikinsel verschärft hat. Ziel ist vor allem, ihre Einnahmen aus dem Tourismus zum Versiegen zu bringen.

Die Sekretärin Iris Flores sagt, der Verfall von Häusern und der Infrastruktur, unsoziales Verhalten junger Leute, unhygienische Bedingungen und Müllhaufen machten sie traurig. Trotzdem gehe nichts über einen Ausflug quer über die Hafenbucht zur Festung El Morro, von wo sich ein herrlicher Blick auf den gegenüberliegenden Malecón bietet. «Ich bin hier geboren», sagt die 57-Jährige. «Und in Havanna werde ich sterben.»


Bilder des Tages

Zurück zur Startseite