Gefährliche Eingriffe Nach Tötung eines Missionars – indisches Urvolk ist Forschern ein Rätsel

AP

25.11.2018

Eigentlich schützt Indien auf der abgelegenen Insel North Sentinel ein Volk, das seine Lebensweise offenbar schon seit Jahrtausenden pflegt. Eine Gesetzesänderung hatte jetzt tödliche Folgen.

Der tödlich gescheiterte Missionierungsversuch eines US-Bürgers auf der Andamaneninsel North Sentinel dürfte nicht zuletzt an der Sprache gescheitert sein. «Es ist völlig offen, welche Sprache sie sprechen, wie alt sie ist», sagt die Wissenschaftlerin Anvita Abbi, die seit Jahrzehnten die Sprachen der Stämme Andamanen und Nikobaren erforscht.

Der 26-jährige US-Bürger hatte sich von Fischern heimlich in die Nähe von North Sentinel bringen lassen, offenbar weil er die dort völlig isoliert lebenden Menschen zum Christentum bekehren wollte. Schon bei seiner ersten Landung griffen ihn Einwohner an. Ihre Sprache bestehe aus vielen hellklingenden Tönen, schrieb er anschliessend. Beim zweiten Kontaktversuch wurde er getötet.

Das von der Aussenwelt isolierte indigene Volk der Sentinelesen reagiert aggressiv auf Eindringlinge.
Das von der Aussenwelt isolierte indigene Volk der Sentinelesen reagiert aggressiv auf Eindringlinge.
Screenshot Youtube

Forscher glauben, dass die Sentilenesen vor etwa 50'000 Jahren von Afrika auf die Insel ausgewandert sind. Diese gehört zu Indien, liegt aber näher an Myanmar als zum indischen Festland. Die Einwohner leben offenbar seit Jahrtausenden abgeschieden vom Rest der Welt auf der dichtbewaldeten Insel. Sie jagen mit Speeren, Pfeilen und Bogen und sammeln essbare Pflanzen und Früchte.

Viel mehr ist nicht bekannt, weil das Urvolk jeden angreift, der in seine Nähe kommt. Das haben jetzt auch indische Polizisten zu spüren bekommen, die nach der Tötung bis auf 400 Meter an die Insel heranfuhren, dann aber vorsichtshalber umkehrten.

Kaum Kontakt zur Insel-Bevölkerung

«Die Sentinelesen wollen alleine gelassen werden», sagt der Anthropologe Anup Kapur. Abbi ergänzt: «Wir wissen nicht einmal, wie viele sie sind. Niemand hat Zugang zu diesen Menschen.» Und so solle es auch bleiben. «Warum sollten wir nur wegen unserer Neugier einen Stamm stören, der es für Zehntausende von Jahren allein ausgehalten hat?», fragt sie. Vieles könne dann verloren gehen - die Menschen, ihre Sprache, ihr Frieden.

Über Generationen hinweg hat Indien Besuche auf North Sentinel strikt begrenzt. Sie beschränkten sich auf ein paar Geschenke - Kokosnüsse oder Bananen, die einige wenige Beamte den Inselbewohnern überliessen.
Wissenschaftler warnen, jeder Kontakt sei lebensgefährlich - vor allem für die Inselbewohner. Andere Stämme auf den Andamanen sind im Laufe des vergangenen Jahrhunderts von Krankheiten dahingerafft worden. Andere sind ausgewandert oder haben Auswärtige geheiratet.



«Wir sind sehr gefährliche Leute geworden»

«Selbst geringe Einflüsse können sie töten», sagt der Anthropologe P.C. Joshi von der Universität Delhi. «Wir sind sehr gefährliche Leute geworden.»
Abbi sagt, Forscher begrenzten ihre Besuche bei Ureinwohnern auf wenige Stunden pro Tag. Schon bei einer leichten Erkältung blieben die Wissenschaftler zu Hause.

Dem Missionar könnte auch eine Gesetzesänderung zum Verhängnis geworden sein. «Die Behörden haben eine der Beschränkungen aufgehoben, die die Inseln sentinelesischer Stämme vor ausländischen Besuchern geschützt haben», erklärt die Organisation Survival International.

Theoretisch sei es jetzt möglich, Teile der Andamanen zu besuchen, die zuvor völlig tabu waren. «Das war genau die falsche Botschaft, die zu diesem schrecklichen Ereignis beigetragen haben könnte.»

Zuflucht für eines der letzten noch untaktieren Völker: Die Insel North Sentinel der Inselgruppe der Andamanen und Nicobaren im Indischen Ozean.
Zuflucht für eines der letzten noch untaktieren Völker: Die Insel North Sentinel der Inselgruppe der Andamanen und Nicobaren im Indischen Ozean.
KEYSTONE/AP/GAUTAM SINGH
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