Stickoxid-Belastung Niederlande startet Tempo 100 auf Autobahnen

dpa/toko

12.3.2020

Ein Verkehrsschild mit Tempo 100 ist an einer Autobahn in Meppel über einem Schild mit dem Tempolimit 120 angebracht, aber noch überklebt. Im Kampf gegen gefährliche Stickoxide beginnen die Niederlande mit der Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen.
Ein Verkehrsschild mit Tempo 100 ist an einer Autobahn in Meppel über einem Schild mit dem Tempolimit 120 angebracht, aber noch überklebt. Im Kampf gegen gefährliche Stickoxide beginnen die Niederlande mit der Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen.
Source: «wilbert Bijzitter»/ANP/dpa

Auf niederländischen Autobahnen soll es künftig gemächlicher zugehen als bisher. Der Umwelt zuliebe. Die Gründe für Tempo 100 sind handfest und durchaus besorgniserregend. Verstösse können teuer werden.

Nach der Grenze auf die Bremse. An allen Autobahnen der Niederlande werden seit Donnerstag Schilder aufgestellt – oder von Abdeckungen befreit -, die mit einer Zahl im roten Kreis ein neues Verbot verkünden: Nicht mehr als Tempo 100.

Darunter steht in einem schwarzen Rechteck «6-19h». Soll heissen: Tagsüber höchstens 100, von 19.00 Uhr bis 06.00 Uhr am Morgen die bisherigen Tempolimits. Also 120 oder – auf etwa der Hälfte aller Strecken – 130.

Der landesweite Stichtag für diese Massnahme zur Bekämpfung von vergleichsweise hohen Stickoxidemissionen ist der kommende Montag (16. März). Tagsüber 100 gilt jedoch sofort überall, wo die neuen Schilder sichtbar sind. Darauf machte Rijkswaterstaat – so heisst die ausführende Behörde des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt – aufmerksam.

Zugleich warnten die Verkehrsüberwacher, dass manche Navigationssysteme veraltete Tempolimits anzeigen könnten. «Wir raten deshalb: Achten Sie auf die Schilder», sagte ein Behördensprecher. Freitagmorgen könnten bereits viele der rund 4000 neuen Verkehrszeichen an den insgesamt rund 2440 niederländischen Autobahnkilometern sichtbar sein – und gültig. Anregungen von Abgeordneten, Überschreitungen des neuen Tempolimits erst nach dem Stichtag zu ahnden, wischte Justizminister Ferdinand Grapperhaus vom Tisch: «So funktioniert die Strassenverkehrsordnung, die Polizei wird kein Auge zudrücken.»

Wer zwischen Arnheim und Amsterdam oder Maastricht und Alkmar zu stark auf die Tube drückt, muss mit empfindlichen Geldbussen rechnen. 20 Stundenkilometer über dem Autobahn-Limit können laut ADAC 174 Euro (rund 184 Franken) kosten. Ab 50 km/h mehr werden hohe einkommensabhängige Strafzahlungen fällig.

Grund für die neue Tempo-Beschränkung sind hohe Emissionen von Stickoxiden, die gemessen an der Fläche des Landes EU-Grenzwerte erheblich übersteigen. Das höchste Beratungsgremium der Regierung und zugleich oberste Gericht für Verwaltungsrecht der Niederlande, der Raad van State, hatte angesichts dessen 2019 grosse Bauvorhaben gestoppt. Zudem wurde die Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte vor die Wahl gestellt, wirksamere Massnahmen zur Verminderung von Stickoxid zu ergreifen oder diese Projekte zu streichen – darunter Tausende von Wohnungen. Auch beim Bauen wird, etwa durch den Erdaushub, Stickstoff freigesetzt.

Da bleibe nichts weiter übrig, als Tempo 100 zu verordnen, befand Rutte. «Niemand findet das schön, aber es geht hier echt um höhere Interessen.» Dabei hatte seine konservativ-liberale Partei VVD vor einigen Jahren noch massgeblich dafür gesorgt, dass vielerorts das Autobahn-Tempolimit von 120 auf 130 erhöht wurde. Rutte verwies darauf, dass die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte für die Niederlande besonders schwierig sei.

«Das ist eine Krise für unser Land und für die Regierung von bislang nicht gekanntem Ausmass», sagte der Regierungschef. Zu den Ursachen gehört Experten zufolge, dass die Niederlande nach der Inselrepublik Malta der am dichtesten besiedelte Staat in der EU ist und nur über wenig natürliche Ausgleichsflächen oder grössere Naturschutzgebiete verfügt, in denen Stickoxid abgebaut wird.

Der «Stickstoffplan» der Regierung sieht neben Tempo 100 eine Reihe weiterer Massnahmen vor. Unter anderem soll in der Rinderhaltung mehr enzymreiches Futter verwendet werden, wodurch Kühe weniger Ammoniak abgeben sollen. Umweltorganisationen wie Greenpeace hatten auch eine Reduzierung des Nutztierbestandes gefordert, was zu massiven Protestaktionen von Bauern führte.


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