Drogenkriminalität Panneneinsatz gegen «El Chapo»-Sohn legt Mexikos Schwächen offen

AP

3.11.2019

Standbild zur Inhaftierung von Ovidio Guzman, Sohn des früheren Drogenbosses «El Chapo».
Standbild zur Inhaftierung von Ovidio Guzman, Sohn des früheren Drogenbosses «El Chapo».
Bild: Uncredited/CEPROPIE/dpa (Archivbild)

Mit seinem Motto «Umarmungen statt Kugeln» bekommt der mexikanische Präsident López Obrador die Drogenkriminalität offenbar nicht in den Griff. Experten fordern einen Kurswechsel. Selbst aus den Reihen der Streitkräfte kommt Kritik an der Regierung.

Die gescheiterte Festnahme eines Sohns von Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán in Mexiko machte international Schlagzeilen. Nach Ansicht von Experten zeigt der stümperhafte Einsatz, dass der mexikanischen Regierung jegliche Sicherheitsstrategie fehlt.

Präsident Andrés Manuel López Obrador und sein Sicherheitskabinett haben ihre Taktik demnach bisher vor allem durch das definiert, was diese nicht ist. Mexiko kämpfe keinen Krieg mehr gegen Drogen, und strebe anders als frühere Regierungen nicht mehr die Festnahme oder Tötung von Drahtziehern der Kartelle an, hiess es von offizieller Seite.

Doch diese Aussagen standen offenbar im Widerspruch zur vermasselten Mission zur Festnahme von Ovidio Guzmán am 17. Oktober in der westmexikanischen Stadt Culiacán, dem Hinterhof des Sinaloa-Kartells. Der Einsatz löste eine Welle der Gewalt aus, die die Stadt wie ein Kriegsgebiet aussehen liess.

Auf die Frage nach seiner Strategie im Kampf gegen die hohe Mordrate und die Drogenkartelle antwortet López Obrador eher philosophisch. Häufig verweist er auf seine Sozialprogramme.

Am Donnerstag betonte der Präsident, seine Regierung werde sich nicht in einen Drogenkrieg zwingen lassen. Seine Taktik sei eine andere. «Nichts hat Mexiko mehr geschadet als die Unaufrichtigkeit der Regierenden», sagte er und deutete damit an, dass Korruption für die Unsicherheit, Gewalt und den Rauschgifthandel im Land verantwortlich sei.

Die Schuld für die verpfuschte Operation in Culiacan schien López Obrador jedem zu geben ausser den Drogenhändlern. Selbst der Presse hielt er «Revolverjournalismus» vor. Ihm gehe es darum, «das Land durch gewaltfreie Überzeugung zu befrieden, durch das Angebot von Wohlstand, durch alternative Optionen, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, durch die Stärkung von Werten», führte er aus. Im Wahlkampf hatte er diesen Kurs mit dem eingängigen Slogan «Umarmungen statt Kugeln» zusammengefasst.

Unter seiner Führung droht die Zahl der Morde in diesem Jahr allerdings auf mehr als 32 000 zu steigen. Die Bevölkerung musste gerade erst den Tod von 13 Menschen in den Strassen von Culiacán mitansehen, während eine Anti-Drogen-Spezialeinheit der Streitkräfte einen Drogenboss festnahm und dann zur Vermeidung von weiterem Blutvergiessen wieder freiliess.

«Er kann nicht weitermachen mit dieser Strategie von Frieden und Liebe gegenüber den Kriminellen und sagen, dass es keinen Krieg gibt», sagt der Sicherheitsexperte Raúl Benítez, Professor an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. «Die Verbrecher erklären der Regierung und dem Land, den Bürgern, dem Volk den Krieg.»

«Wir machen uns Sorgen um das heutige Mexiko»

Selbst aus den Reihen der Streitkräfte bekommt López Obrador gerade ungewöhnlichen Gegenwind zu spüren. Eine mexikanische Tageszeitung veröffentlichte in dieser Woche eine Rede des Generals Carlos Gaytán, die er nach dem Debakel von Culiacán hielt, dem eine Serie von Kartellangriffen gegen Sicherheitskräfte gefolgt war. Der Rückzug im Angesicht bewaffneter Kartellgangster verstärkte den Eindruck, dass die Regierung die Kontrolle über ganze Städte, Orte und Regionen schon seit längerem praktisch den Drogenkartellen überlassen hat.

«Wir machen uns Sorgen um das heutige Mexiko», sagte Gaytán vor anderen Offizieren. «Wir fühlen uns gekränkt als Mexikaner und angegriffen als Soldaten.»

López Obrador wischte Bedenken vor einer Spaltung innerhalb des Militärs beiseite. «Ich habe nicht das geringste Misstrauen gegenüber der Armee», sagte der Präsident, der die Streitkräfte mit mehr Macht und Ressourcen ausgestattet hatte. «Im Gegenteil geniesse ich die Unterstützung und Loyalität der Armee.»

Doch nach Ansicht von Experten zeichnen die steigenden Mordraten und die Unfähigkeit der Regierung, eine schlüssige Sicherheitsstrategie zu kommunizieren, kein optimistisches Bild für die verbleibenden fünf Amtsjahre von López Obrador. Bisher konnte er seine Vorgänger für geerbte Probleme verantwortlich machen. Aber an einem bestimmten Punkt werden die Wähler das nicht mehr akzeptieren.

Nationalgarde gegen Drogenbanden

Der Präsident stehe vor der Frage, wie seine «'humanistische' und 'progressive' Vision» verbunden werden könne «mit der unbestreitbaren Realität und der Notwendigkeit, nicht nur die Gruppen der Drogenhändler, sondern auch die normale kriminelle Gewalt einzudämmen», sagt Erubiel Tirado. Er ist Koordinator des Programms für Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte an der Iberoamerikamischen Universität in Mexiko-Stadt.

Das bislang sichtbarste Element einer Sicherheitsstrategie unter López Obrador war die Schaffung der Nationalgarde. Die neue Kampftruppe soll die Sicherheitslücke schliessen, die durch korrupte oder aufgelöste Polizeikräfte im ganzen Land entstand, und zugleich die Abhängigkeit der Innenpolitik vom Militär mindern.

Unter dem Druck wurde allerdings ein grosser Teil der Nationalgarde sofort für den Kampf gegen illegale Einwanderung abgezogen. Ohnehin sei die Truppe nicht professionell genug ausgebildet für Ermittlungen, Überwachungen und Festnahmen, beklagt der Mexiko-Experte Tony Payan von der Rice University im texanischen Houston.

Unklar bleibt auch, wie die Nationalgarde mit den Sozialprogrammen zusammenpassen soll, mit denen López Obrador nach eigenen Angaben die Wurzeln der Kriminalität im Land bekämpfen will. «Es scheint keinen integrierten Ansatz zu geben, die Programme zur Gewaltprävention, über die die Regierung viel spricht, mit der tatsächlichen Verfolgung des organisierten Verbrechens zu verbinden», sagt Duncan Wood, Direktor des Mexiko-Instituts am Wilson Center in Washington.


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