Alles halb so wild Rammsteins «Skandal»-Video – viel Lärm um nichts

tafi

29.3.2019

Als KZ-Häftlinge am Galgen: Dass Rammstein gerne provoziert, dass weiss man doch mittlerweile.
Als KZ-Häftlinge am Galgen: Dass Rammstein gerne provoziert, dass weiss man doch mittlerweile.
Screenshot Youtube

Die deutsche Band Rammstein kündigt ein Musikvideo und alle empören sich. Dabei sind die KZ-Szenen nur Teil einer grossangelegten Ironie.

«Rammstein schocken mit KZ-Clip» (Bluewin), «Entsetzen über neues Video von Rammstein» (Göttinger Tageblatt), «Rammstein werben mit KZ-Video für neue Single» (20 Minuten), «Rammstein schockt mit KZ-Video» (Bild), «Rammstein empört mit KZ-Anspielungen» (Basler Zeitung), «Metal-Band Rammstein sorgt für Aufruhr mit Video-Clip im KZ-Stil» (NZZ) – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Das Rauschen im Blätterwald ist weiterhin gross, seit die deutsche Metal-Band Rammstein einen Teaser zum Video ihrer neuen Single «Deutschland» bei YouTube veröffentlichten.

Diese 35 Sekunden reichten den Medien, um einen Skandal zu inszenieren.

Jedes Medium, ob seriös oder auf Krawall gebürstet, berichtete. Und da der Blätterwald im Jahr 2019 vor allem online spriesst, skandalisierten die Medienmacher gern die Provokation. Das bringt Klicks. Um sich zu legitimieren, wurden Zitate eingesammelt: vom Zentralrat der Juden in Deutschland und vom Antisemitismusbeauftragten der Regierung, von Politikern. Sie waren erwartbar empört, sprachen von roten Linien, die überschritten wurden, von Geschmacklosigkeit.



Die ganze Aufregung entzündete sich an einem Teaser, einer 35-sekündigen Vorschau des Videos, das seit gestern Abend in ganzer Länge bei YouTube zu sehen ist. Und ja, die KZ-Szenen, die vorab für so viel klickträchtige Empörung sorgten, sind darin enthalten. Sie machen allerdings nur einen kleinen Teil der Gesamtlaufzeit von 9:22 Minuten aus – und sie ergeben dramaturgisch Sinn. Die Band steht mit der Schlinge um den Hals am Galgen, bevor sie ein SS-Offizier baumeln lässt. Die KZ-Realität ist Teil der deutschen Vergangenheit, die sich nicht leugnen lässt, auch wenn das mittlerweile wieder stark in Mode ist. Es ist einfach nur beklemmend, wie diese Menschen ihres Todes harren.

«Deutschland, mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen» – der Song ist Rammsteins Nicht-Liebeserklärung an ihr Heimatland. Die Band absolviert im Video einen Parforceritt durch die deutsche Geschichte, angefangen bei der Schlacht im Teutoburger Wald, über die Ritter des deutschen Ordens, die Explosion des Zeppelins «Hindenburg», bis hin zu RAF, 1.-Mai-Krawallen, die DDR ... Gut kommt Deutschland nicht weg in der Rammstein-Geschichtsschreibung.

Das ist der ganze Clip.

«Übermächtig, überflüssig, Übermenschen überdrüssig», röhrt Sänger Till Lindemann zu den hochwertig produzierten Bildern, die – ganz postmodern –  vor allem von ikonischen Zitaten leben. Wie von der Band gewöhnt, gibt es viele Flammen, viel Blut, viel Splatter. YouTube fragt nach dem Alter und weist daraufhin, dass die Inhalte für machen Nutzer ungeeignet seien. Das ist nett, aber dass sich Kinder nicht unbedingt Rammstein-Videos ansehen sollten, ist nichts Neues.

Dass Rammstein neben der Musik und ihrer Inszenierung die Provokation selbst zur Kunstform erhoben haben, ist eigentlich bekannt. Dass die Band augerechnet die Holocaust-Szenen im Trailer zeigt, war nichts weiter als ein kalkulierter Tabubruch, den man natürlich hinterfragen darf. Dass er medial derart ausgeschlachtet wird, ohne den Kontext, also das gesamte Video, zu kennen, ist kein Ruhmesblatt für die Medienschaffenden und Medienkonsumierenden im Jahr 2019. Sie alle sind reingefallen und haben sich die herrlich ironische Pointe versaut, dass Rammstein die urdeutsche Germania von einer dunkelhäutigen Schauspielerin, Ruby Commey, spielen lässt.

Aber immerhin hat Rammstein erreicht, was die Band erreichen wollte.

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