Mit ihrem Debüt «Die Nachkommende» ist Ivna Žic für den Schweizer Buchpreis nominiert, der am 10. November verliehen wird. Fürs Theater indes schreibt und inszeniert die Autorin jedoch schon seit zehn Jahren.
Ihre Tage sind ausgefüllt – und das seit Wochen. Der Countdown für den Schweizer Buchpreis läuft, mit Lesungen, mit Interviews oder auch mal dem Einlesen einer Passage aus ihrem Buch fürs Radio. Hinzu kamen bis Anfang November Proben im Theater Neumarkt in Zürich für ein Stück, bei dem sie Regie führte.
Vielleicht ist das ganz gut so; die Inszenierung habe sie geerdet, sagt Ivna Žic. Sie sitzt in Zürich in einer stadtbekannten Bar mit Buchhandlung auf dem Weg zur Werdinsel.
Im Theaterbetrieb ist die heute 33-Jährige schon seit zehn Jahren aktiv, schreibt Stücke, inszeniert an Theatern in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, sitzt selbst in Jurys ein und hat viele Stipendien und Preise gewonnen.
Natürlich freut sie sich, dass sie mit ihrem ersten Roman «Die Nachkommende» für den wichtigsten Buchpreis in der Schweiz nominiert ist. Es ist eine grosse Anerkennung. Aber: «Beim nächsten Buch fängt man wieder von null an.» Mit dem Prozess des Schreibens hat der Preis nicht viel zu tun.
Die Autorin ist quirliger, als man sie sich beim Lesen ihres dichten Romans vorstellt, sie lacht viel und ausgiebig und spricht schnell und gestochen scharfes Züridütsch.
Bühne und Roman
Die letzten vier, fünf Jahre hat sie parallel zur Arbeit für die Bühne an ihrem Roman geschrieben. «Ich mag die Abwechslung», sagt sie. Den Unterschied mache vor allem das Setting. Beim Schreiben sei man für sich allein, in der Stille und hat mehr Zeit und Raum für den Text. Beim Inszenieren arbeitet man mit vielen Leuten zusammen, die Gedanken bilden sich anders, es ist ein gemeinschaftlicher Prozess. «Aber bei dem Theater, das ich mache, geht es wie beim Schreiben vor allem um die Sprache.»
Die Lust an der Sprache, die Faszination für den Klang, für Klangähnlichkeiten und Bedeutungsverschiebungen: Das war bei ihr schon immer da. «Als Kind habe ich die Buchstaben entdeckt und die Bewegung nachgezeichnet, so wie andere malen», erzählt sie. Heute geniesst sie das rhythmische Tippen auf dem Computer. Sprache geht bei ihr wie bei einem Instrument durch den Körper. Gerne hört sie beim Schreiben eine bestimmte Musik in der Endlosschlaufe, um, wie sie sagt, «einen Raum zu schaffen, der grösser ist als der Text». Bei ihrem Roman war es über weite Teile Tarantella – Musik, die sich nicht direkt, aber doch in der Musikalität des Textes niederschlägt.
Gesagtes und Ausgespartes
Sprache ist auch eines der grossen Themen des Romans, der von einer Liebe und einer Familie erzählt. Es geht um Vielsprachigkeit, um Gesagtes und Ausgespartes, um die magische Qualität von Sprache, wo Worte Wirklichkeit entstehen lassen. Darum, wie Kinder die Vieldeutigkeit der Wörter lernen. Oder, wie Sprache an einen bestimmten Ort gehört. Etwa, wenn die Erzählerin in «die nachkommende» in Zagreb aus dem Zug steigt, einen «slanac» kauft – etwas Alltägliches, wie hier ein «Gipfeli» – und dabei feststellt, wie sicher die Sprache an den Ort passt. «Das ist eine kleine Beobachtung», sagt Ivna Žic, «und doch sagt sie sehr viel aus».
Die Autorin stellt präzise verortete Geschichten und Erfahrungen aus drei Generationen nebeneinander und lässt diese in Dialog zueinander treten ohne einen Bezug festzuschreiben. Das hat etwas Performatives und erinnert durchaus ans Theater. Es ist das, was Literatur kann, sagt Ivna Žic: «Aus vielen Fragmenten etwas zusammenbauen und damit Räume auftun, die in der Familie, in der Gesellschaft oder in einem politischen System nicht geöffnet werden.»
Sprache und Perspektive
Politisch ist das durchaus. Nicht jedoch im Sinn einer «Migrationsliteratur», ein Etikett, das Ivna Žic und anderen Autoren, die wie sie als Kind aus dem Balkan zugewandert sind, gerne angehängt wird. Sie legt den Kopf schräg und fährt sich mit der Hand durch die wuscheligen schwarzen Locken. «Das ist eine Schubladisierung, die eindimensional, schwächer und kleiner macht, als das Leben ist», sagt sie. Man könne über Themen reden, die in ihrem Buch vorkommen, über Grenzen, Liebe, verheiratete Männer oder Grossmütter zum Beispiel. Aber: «Gegen Kategorisierungen habe ich mein ganzes Leben angeschrieben.»
Der Regisseur Jean-Luc Godard hat gesagt, man müsse nicht politische Filme machen, man müsse Filme politisch machen. Das gilt auch für die Literatur: Mit welcher Sprache, aus welcher Perspektive erzählt wird, das sind politische Entscheidungen bei einem Roman, sagt die Autorin. Ivna Žic gelingt es, in einem vielschichtigen, intimen Familienporträt ohne grosse Worte die grosse Zeitgeschichte anklingen zu lassen.*
*Dieser Text von Anne-Sophie Scholl, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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