Angefeindet von der eigenen Familie Transgender im Iran haben es trotz liberaler Regeln schwer

Von Mehdi Fattahi und Nasser Karimi, AP

24.5.2018

Irans Kleriker stehen Transgendern erstaunlich offen gegenüber. Aber nicht die Gesellschaft. Verbale Anfeindungen sind gang und gäbe, und manchmal kommt es noch schlimmer.

Nahal steht auf dem Balkon der Wohnung ihrer Mutter in Teheran und raucht eine Zigarette. Es ist einer der wenigen Orte, an denen die 19-Jährige in ihrer Heimat Ruhe und Frieden findet. Nahal ist eine Transgender-Frau, hat es häufig mit Anfeindungen zu tun und manchmal sogar mit körperlicher Gewalt.

Das gehe schon seit Jahren so, erzählt sie und streicht sich mit der Hand - die Fingernägel pinkfarben lackiert - das lange braune Haar aus dem Gesicht. So war sie beispielsweise gezwungen, nach nur kurzer Zeit die Oberschule zu verlassen, weil ihre Klassenkameraden darauf bestanden, dass sie sich wie ein Junge kleidet. Sogar ihre eigene Familie hat Probleme damit, sie als Transgender zu akzeptieren. Mit vielen ihrer Verwandten kommt sie daher nicht mehr zusammen.

So sollte es Nahal in der Islamischen Republik Iran eigentlich nicht ergehen. Denn schliesslich ist es - was viele wahrscheinlich gar nicht wissen - ein Land, das Transgendern wohl so offen gegenüber steht wie kein anderes in der Nahostregion. Vor 30 Jahren erliess der damalige oberste Führer Ajatollah Ruhollah Chomeini ein religiöses Dekret oder Fatwa, das Respekt für Transgender gebietet und den Weg für staatliche Unterstützung von geschlechtsangleichenden Operationen öffnete.

50'000 Transgender

Dennoch haben viele Iraner weiter äusserst konservative Sichtweisen, was Sex- und Geschlechtsfragen betrifft, und wohl nur wenige wissen, was es bedeutet, ein Transgender zu sein. Diskriminierungen am Arbeitsplatz haben manche in die Prostitution gezwungen, andere sahen keinen anderen Weg mehr als sich das Leben zu nehmen.

Nahal selbst ist nach eigenen Angaben immer wieder Beleidigungen ausgesetzt. Menschen auf der Strasse fragten, ob sie ein Mann oder eine Frau sei, und manchmal sagten sie: «Möge Gott ihn kurieren.» Und nicht nur das. Nahal hat auch physische Angriffe erlebt. «Einige Leute haben mich geschlagen», schildert die Iranerin, die nur ihren Vornamen genannt haben möchte, um ihre Verwandten nicht noch mehr zu erzürnen.

Nach losen Schätzungen sind etwa 50'000 der 80 Millionen Menschen im Land Transgender, das heisst, Menschen, die sich nicht - oder nicht nur - mit dem Geschlecht identifizieren, das bei ihrer Geburt notiert wurde. Transgender im Iran können sich bei den Gerichten eine offizielle Erlaubnis zur Geschlechtsoperationen einholen, nachdem sie sich einer eingehenden medizinischen Untersuchung unterzogen haben und von einem Psychiater befragt worden sind. Danach können sie neue Personalausweise erhalten, und zur Finanzierung der Operation gewährt der Staat Darlehen in Höhe von umgerechnet etwa 1000 Euro.

Das ist nicht viel angesichts der üblichen Kosten für Eingriffe zur Geschlechtsangleichung, die zwischen 6000 bis 10'000 Euro liegen, aber immerhin etwas. Nach offiziellen Angaben haben in den vergangenen 15 Jahren etwa 3000 Menschen eine solche finanzielle Hilfe beantragt.

Relative Offenheit gegenüber Transgender

In den Augen der herrschenden Kleriker dienen die Operationen dem Ziel, eine «Krankheit» zu heilen und die Betroffenen in die anerkannten Kategorien von heterosexuellen Männern oder Frauen einzupassen. Wer sich gegen eine Operation und neue Ausweispapiere entscheidet, kann von der Polizei festgenommen werden: wegen Bekleidung, die dem offiziell notierten Geschlecht widerspricht.

Es ist also nur eine relative Offenheit gegenüber Transgendern, aber sie ist dennoch beachtlich - insbesondere angesichts der sonstigen Intoleranz der Geistlichen gegenüber geschlechtlicher Vielfalt. Homosexualität ist im Iran illegal. Schwulen kann die Todesstrafe drohen, Lesben nach drei Verurteilungen eine Auspeitschung und bei der vierten der Tod.

Dass Transgendern mehr Raum geboten wird, ist Marjam Chatunpur Molkara zu verdanken. Der Transgender-Frau gelang es seinerzeit, in Männerkleidung zu Chomeini vorgelassen zu werden. Bei dem Treffen schilderte sie dem obersten Führer dann ihre Gefühle als ein Mensch, der sich nicht mit seinem bei der Geburt festgehaltenen Geschlecht identifiziert. Chomeini beriet sich mit Ärzten und veröffentlichte dann sein bahnbrechendes Dekret.

Irans derzeitiger oberster Führer, Ajatollah Ali Chamenei, gab Molkara nach deren eigenen Angaben später einen schwarzen Schleier und erkannte sie damit offiziell als Frau an. «Dieser Augenblick war für mich wie das Paradies», beschrieb Molkara, die 2012 im Alter von 62 Jahren starb, einst diesen Tag.

Anfeindungen oft von der eigenen Familie

Aber für Nahal und andere ist das Leben als Transgender keineswegs paradiesisch. Dabei kommen die grössten Anfeindungen oft aus der eigenen Familie. So werden viele Transgender-Frauen aus dem Haus geworfen oder von Angehörigen bedroht. Manche Familien täten alles, was sie könnten, um ihr Mitglied an einer Operation zur Geschlechtsangleichung zu hindern, sagt Behnam Ohadi, ein Psychiater und Psychologe, der Transgender berät.

«Manche Familien drohen sogar mich zu töten, wenn ich ihnen sage, dass ihr Kind trans ist», sagt Ohadi. «Manchen wäre es lieber, ihr Kind hätte Krebs oder würde sterben.» Es komme auch vor, dass Familien in eine andere Stadt umzögen, um das Problem zu verheimlichen: «Diese Dinge werden in unserer Gesellschaft begraben.»

Nahal träumt davon, eines Tages eine Wohlfahrtseinrichtung zu öffnen, die andere Transgender unterstützt. «Ich möchte Menschen helfen, gut zu einander zu sein», sagt die junge Frau - auf dem Balkon.

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