«Es geht darum, Frauen hinauszudrängen» Viele US-Forscherinnen sexuell belästigt 

Lauran Neergaard, AP

15.6.2018

Paula Johnson (l.), Präsidentin des Wellesley Colleges, mit Hillary Clinton (2017)
Paula Johnson (l.), Präsidentin des Wellesley Colleges, mit Hillary Clinton (2017)
Getty Images

Gehen Unis nicht strikt genug gegen sexuelle Belästigungen vor, schadet das der Forschung. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Expertenkommission. Viele Naturwissenschaftlerinnen werden demnach gemobbt - bis sie mitunter sogar ihre Karriere aufgeben.

In den USA zieht es Frauen zunehmend in die Naturwissenschaften, doch an Hochschulen und Universitäten ist sexuelle Belästigung nach wie vor weit verbreitet. Ein systemweiter Kulturwandel sei nötig, rät jetzt eine Expertengruppe der Nationalen Akademien der Wissenschaften. Sie warnt in einem neuen Bericht davor, die Errungenschaften von Frauen in der Forschung aufs Spiel zu setzen. Tatsächlich sei es an der Zeit, sexuelle Belästigung ebenso streng zu verfolgen wie wissenschaftliches Fehlverhalten, damit Frauen - ohnehin eine Minderheit - nicht aus der Forschungsarbeit gemobbt würden.

«Wenn wir in Naturwissenschaften, Technologie und Medizin Talente verlieren, dann schadet das nicht nur unserem Land, sondern offen gestanden der ganzen Welt», sagt Paula Johnson, Präsidentin des Wellesley Colleges, die den Bericht mitverantwortet. Darin heisst es, dass sexuelle Annäherungsversuche oder Übergriffe unter dem Hashtag #MeToo zwar Schlagzeilen machten, doch nicht die ganze Wahrheit erzählten.

Geschlechtsbezogene Belästigungen

Am üblichsten in den Wissenschaften sind demnach sogenannte geschlechtsbezogene Belästigungen: ein feindseliges Umfeld voller sexistischer Kommentare und grobem Verhalten, das nicht nur die Ausbildung und Karriere einer Frau beeinträchtigen könne, sondern auch ihre geistige und körperliche Gesundheit. «Selbst wenn die sexuelle Belästigung nichts anderes als eine Beleidigung ohne jegliche sexuelle Nachstellung ist, fordert sie ihren Tribut», sagt Lilia Cortina, Psychologie-Professorin an der Universität von Michigan und Mitglied der Kommission, die das Problem zwei Jahre lang untersucht hat. «Es geht darum, Frauen hinauszudrängen.»

Der Bericht führt mehrere Studien an, die Auskunft darüber geben, wie häufig sexuelle Belästigungen in der wissenschaftlichen Ausbildung sind. So hat die Universität von Texas herausgefunden, dass etwa jede fünfte ihrer Studentinnen in den Naturwissenschaften, mehr als ein Viertel der Technologiestudentinnen sowie mehr als 40 Prozent der Medizinstudentinnen angeben, sie seien von Lehrern oder Kollegen sexuell belästigt worden. In einer ähnlichen Studie an der Staatlichen Universität von Pennsylvania berichtet die Hälfte der befragten Medizinstudentinnen von solchen Vorfällen. Gehörten sie dazu einer Minderheit an, ergänzt Cortina, seien sie doppelt betroffen.

Die hierarchischen Strukturen in der Wissenschaft erschweren es, sexuelle Belästigungen aufzudecken und anzuzeigen. Nachwuchswissenschaftler sind oft von einem einzigen hochkarätigen Mentor abhängig, wenn es um Projektfinanzierung, Jobempfehlungen oder Feldforschung an abgelegenen Orten geht.

Um den Belästigungen zu entgehen, wechseln Frauen laut Cortina ihr Hauptfach, ihre Studienberater, Labore oder hören manchmal einfach ganz auf. Sexuelle Belästigungen in der Wissenschaft seien «lange ein offenes Geheimnis» gewesen, sagt auch die Raumfahrtforscherin Sheila Widnall, Professorin am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Mitverfasserin des Berichts.

In den vergangenen Jahren hat es zwar Versuche gegeben, die Belästigungen anzusprechen, doch die meisten akademischen Richtlinien und Weiterbildungen bestehen laut dem Bericht auf einer «symbolischen Zustimmung» zum Antidiskriminierungsgesetz, aus der aber wenig folge. Üblicherweise fordern solche Richtlinien, dass Frauen eine formale Beschwerde einreichen, bevor die Institution etwas unternimmt, um die Bedingungen bei der Arbeit und Ausbildung zu verbessern. In dem Expertenbericht heisst es jedoch weiter, dass Frauen solche Beschwerden nur selten einreichten, weil sie richtigerweise davon ausgingen, dafür in irgendeiner Weise büssen zu müssen.

Experten raten zu verschiedenen Massnahmen

Die Experten raten zu verschiedenen Massnahmen, um gegen sexuelle Belästigungen vorzugehen. Am wichtigsten sei dabei das Klima in einer Organisation, in dem ein solches Verhalten toleriert werde oder eben nicht. Hochschulen und Universitäten sollen demnach in Führungspositionen für mehr Gerechtigkeit bei Geschlechtern und Hautfarben sorgen. Ausserdem sollten sie ein vielfältiges, integratives und respektvolles Umfeld fördern. Die traditionellen Hierarchien müssten aufgelöst und etwa in Betreuernetzwerke umgewandelt werden, damit Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter nicht von einem Mentor abhingen. Wer belästigt werde und das öffentlich mache, müsse vor Vergeltung geschützt sein und sich sicher sein können, dass das Anzeigen eines solchen Verhaltens eine «ehrenhafte und mutige Tat» sei.

Weiter raten die Experten, dass Universitäten und Hochschulen sexuelle Belästigung konsequenter ahnden, dies aber in einer Untersuchung, die beide Seiten fair behandelt, statt sich auf die Verantwortlichkeit der jeweiligen Institution zu konzentrieren. Und schliesslich sollen dem Bericht nach die Gesetzgeber auf Landes wie auf Bundesstaatenebene prüfen, ob sie Vereinbarungen über Vertraulichkeit verbieten - oder andere Praktiken, die all jene schützen, die Frauen belästigen.

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