Ein Jahr danach «Waren es die Russen?» – Nowitschok-Opfer verlangt Antworten

tsha

21.6.2019

Im  vergangenen Juni wurde in der englischen Stadt Amesbury zwei Menschen vergiftet.
Im  vergangenen Juni wurde in der englischen Stadt Amesbury zwei Menschen vergiftet.
Bild: Keystone

Vor rund einem Jahr wurde Charlie Rowley mit Nowitschok vergiftet, seine Partnerin starb. Noch immer ist nicht klar, wer hinter dem Angriff steckt.

Im vergangenen Jahr machte die Welt erschreckende Bekanntschaft mit einem Nervengift, das auf den Namen Nowitschok hört: Im März 2018 wurden der Doppelagent Sergei Skripal und seine Tochter Julija im englischen Städtchen Salisbury mit Nowitschok vergiftet; einige Monate später kamen dann die britischen Bürger Dawn Sturgess und Charlie Rowley mit dem Gift in Kontakt – rein zufällig, wie es scheint. Dawn Sturgess starb wenige Tage später, Charlie Rowley überlebte. Heute, fast ein Jahr später, sind für ihn noch immer viele Fragen offen.

«Ich habe das Gefühl, man hält uns im Unklaren darüber, was wirklich geschehen ist», so Rowley gegenüber dem britischen «Guardian». «Natürlich will ich die Wahrheit herausfinden. Es gibt noch immer keine Antworten auf die entscheidenden Fragen.» Rowley hatte einen Parfumflakon, in dem sich das Nervengift befand, Mitte Juni in einer Tonne in einem Wohltätigkeitsladen in der Stadt Amesbury gefunden, unweit von Salisbury. Später gab er das Parfum seiner Partnerin Dawn Sturgess als Geschenk, die sich damit einsprühte und anschliessend erkrankte.

Rowley hatte seine verstorbene Partnerin Anfang 2018 in einer Unterkunft für Obdachlose kennengelernt. «Es war eine gute Zeit. Ich habe viele schöne Erinnerungen.» Das Parfum habe er ihr in seiner Wohnung geschenkt. Nachdem sie sich damit eingespührt hatte, habe sie sich unwohl gefühlt. «Fünf oder zehn Minuten war sie weg. Ich ging ins Badezimmer und fand sie in der Badewanne. Es war kein Wasser in der Wanne. Sie war vollständig angezogen und sah leblos aus.»

In dieser Parfumflasche befand sich das Nervengift.
In dieser Parfumflasche befand sich das Nervengift.
Bild: Keystone

«Ich würde den Russen gerne ins Gesicht blicken»

«Woher kam die Flasche?», fragt Rowley nun. «Waren es die Russen, oder waren sie es nicht? Wie kam sie auf die Strasse? Das ist noch nicht geklärt.» Rowley vermutet, dass es sich bei dem Parfumflakon nicht um dieselbe Flasche handelt, mit der die Skripals vergiftet wurden. «Die Tonnen werden regelmässig ausgeleert», sagt er. Die britischen Behörden machen Russland für die Angriffe auf Sergei und Julija Skripal verantwortlich.

Die Flasche, die er gefunden habe, sei versiegelt gewesen, sagt Rowley im «Guardian». Es müsse sich also um ein zweites Behältnis handeln. Der russische Botschafter in London, Alexander Yakovenko, habe geleugnet, dass sein Land hinter der Giftattacke stecke, so Rowley. Man habe ihm sogar angeboten, den russischen Präsidenten Putin in der Angelegenheit persönlich in Moskau zu sprechen. «Ich würde den Russen gerne ins Gesicht blicken und mir ihren Bullshit anhören», so Rowley. «Ich habe das Gefühl, dass ich es Dawn schuldig bin, Antworten zu erhalten.»

Die englischen Behörden hätten ihn eine Zeitlang wie einen Verdächtigen behandelt, behauptet Rowley. «Sie konzentrierten sich darauf, wo ich war, als die Skripals vergiftet wurden. Ich hatte das Gefühl, als würde ich befragt. Das tat weh, aber ich denke, sie mussten einfach ihren Job machen.» Er selbst leide noch immer unter den Nachwirkungen des Gifts. «Mein Auge und mein Gleichgewichtssinn spielen mit immer wieder Streiche», sagt Rowley. Ausserdem habe er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Vor allem aber machen ihm Schuldgefühle zu schaffen, weil er sich verantwortlich fühlt für den Tod seiner Partnerin.

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