Glosse Warum Sie TV-Exzesse vergessen können, wenn Sie 50+ sind

Philipp Dahm

13.3.2019

Wie schnell verliert das Gehirn seine Erinnerungen, wenn man älter als 50 ist?
Wie schnell verliert das Gehirn seine Erinnerungen, wenn man älter als 50 ist?
Getty Images

Dass die Physiologie mit dem Alter nicht zunimmt – geschenkt. Ein Körperteil baut jedoch schneller ab, wenn man passionierter Zuschauer über 50 ist, so eine Studie. Unsere Diagnose: alles Kopfsache.

Sie sind Baujahr 1969 oder älter? Sie stehen auf Serien und Filme? So sehr, dass Sie viel Zeit in diese Liebe stecken? Dann müssen Sie jetzt ganz stark sein: Entweder Sie schlagen sich diese Sache aus Ihrem Kopf – oder die Sache schlägt es Ihnen aus dem Kopf. 

Schuld an diesem Umstand ist mal wieder die Wissenschaft. Immerhin geht es um eine Studie – was die Forschung also zum Überbringer dieser schlechten Nachricht macht, die fanatische Fans bewegter Bilder im fortgeschrittenen Alter nicht mögen werden: Ein Team um Dr. Daisy Fancourt vom University College London glaubt, dass längeres Glotzen dem Erinnerungsvermögen schadet, wenn man etwas betagter ist.

Die Fakten

Die Kernfrage von Fancourts Studie: Wie schnell verliert das Gehirn seine Erinnerungen, wenn man älter als 50 ist? Wissenschaftler haben 3'500 Personen dieser Altersgruppe nach ihrem TV-Konsum befragt. Das erste Mal von 2008 bis 2009, das zweite mal zwischen 2014 und 2015. Die Teilnehmer mussten sich beispielsweise eine Liste mit zehn Worten merken oder aber in einer Minute Begriffe aus bestimmten Bereichen assoziieren.

Das Ergebnis: Wer weniger als dreieinhalb Stunden täglich in die Röhre guckt, muss in dem verstrichenen Zeitraum einen altersbedingten Erinnerungsverlust von vier bis fünf Prozent hinnehmen. Bei denjenigen, die sich dagegen eine grössere TV-Dosis geben, ist das Minus doppelt so hoch, berichtet BBC.

Andere Fakten (ohne Übertreibung)

Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich: Ist das jetzt ein Tiefschlag für medial abgehängte Vorpensionäre, die immer noch lineares TV gucken? Für jene Altbauten, die jungen Kollegen mit verschwörerischem Lächeln zuraunen, sie seien just auf jene «verrückte Lehrer-Serie» gestossen, und ob man «Breaking Bad» denn auch kenne? Darf man dem Onkel oder der Grosi nun doch kein Testabo von Netflix schenken, wenn man nicht in Vergessenheit geraten will?

Wir wollen nicht übertreiben. Aber stellen wir uns mal vor, das Volk würde wegen dieser Erkenntnis – aus Angst ums Wissen – fordern, dass Bundesbern  jetzt ein- und durchgreift. Nehmen wir mal an, die Politik würde – aus kopfloser Panik heraus – zum Beispiel ein YouTube- und TV-Verbote für Alte beschliessen: Um die Ruhe in den eigenen vier Wänden wäre es trotz schweigendem Fernseher geschehen. 

Beispiel gefällig? Vielleicht hat der 50-jährige Zürcher Goldküsten-Frühpensionär gerade den Bootsschein gemacht und kann mit seinem Teakholzdampfer dann und wann auf grosse Fahrt gehen. Aber verbieten sie dem mal CNN nebst Börsenticker, wenn der wieder an Land ist. Dann klingts beim Captain aus, das ist sicher. Ein Dilemma für jeden von uns: Wir müssten uns mit den Altvorderen auseinandersetzen und möglicherweise sogar mit ihnen reden.

Argumente vorprogrammiert

Natürlich will niemand den Teufel an die Wand malen, doch in diesem Fall stünde nicht mehr bloss der Familienfrieden auf der Abschussliste – auch Profis kämen an ihre Grenzen: Es böte sich in unseren heimischen Betagten- und Pflegeheimen ein Bild des Grauens, weil der Gesprächsbedarf der dort Parkierten sprunghaft ansteigen würde. Und wer hat Zeit, sich anzuhören, was den Menschen in all ihren Jahren so passiert ist? Ein Kulturkampf wäre vorprogrammiert.

Passend zum Thema – dramatische Serien-Todesfälle:

Zwei gewichtige Argumente sprechen allerdings gegen diese an den Haaren herbeigezogenen Szenarien. Zum einen ist «vorprogrammiert» im Grunde eine unnötige Dopplung, weil man Dinge ja eigentlich immer VORHER programmieren muss, damit sie auch ablaufen können – das aber nur nebenbei. Zum anderen – und das ist ausschlaggebend – ist das Verbot bloss haltlose Spekulation – wenn nicht sogar blanker Unsinn.

Ausserdem führen die Autoren der Studie selbst genug Gründe ins Feld, die dem Ergebnis den Wind aus den Segeln nehmen. Es sei nicht klar, ob das TV Schuld am Erinnerungsverlust ist oder ob es daran liegt, dass andere Tätigkeiten unterbleiben. Und dann sagt ein beteiligter Professor auch noch, es könnte auch wichtig sein, ob man alleine guckt oder in Gesellschaft.

Michael Knight, sein «Kumpel» und ich

Weiterhin wissen die Wissenschaftler nicht wirklich, ob auch die Qualität der Sendungen einen Einfluss hat: Ist es nicht denkbar, dass ein Volksmusik-Marathon oder «Knight Rider»-Binge-Watching schlechter für die grauen Zellen ist als tägliches Opern-Anschauen oder der «Einstein»-Abend?

«Knight Rider»-Dialoge – noch Fragen?

Zum schlechten Schluss ist unsere anfangs so spannend tönende Meldung also auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Sie müssen TV-Exesse nicht zwangsläufig vergessen, wenn Sie 50+ sind – und wenn sie ohnehin immer zuhause und alleine stundenlang den dümmsten Schrott gucken sollten, sind Ihnen Ihre grauen Zellen eh egal.

Machen Sie am Besten, was Sie wollen. Nur eines dürfen Sie nicht tun: Trauen Sie keiner Forschungsmeldung, die Sie nicht selbst ad absurdum geführt haben. Am Ende des Tages ist alles bloss Kopfsache.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite