Energie Wie die Energiewende in der Schweiz gelingen kann

stsc, sda

1.9.2021 - 12:00

Will die Schweiz aus der Kernenergie aussteigen und ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null senken, braucht es einen tiefgreifenden Wandel in der Energiebereitstellung. Technologisch lassen sich die Ziele erreichen. Doch die Erneuerbaren schaffen es nicht allein.

Keystone-SDA, stsc, sda

So lautet ein Fazit des Schweizerischen Kompetenzzentrum für Energieforschung im Bereich Strombereitstellung (SCCER-SoE). Geophysiker, Geologinnen und Ingenieure untersuchten während sieben Jahren, wie sich künftig der Stromverbrauch decken lässt, wenn die Schweiz aus der Kernenergie aussteigt und die Ziele des Pariser Klimaabkommens erfüllt. Die Resultate präsentierten die Forschenden an einem Medienanlass am Mittwoch.

Damit die Schweiz ihren Teil zur Erreichung des Klimaziels – die Erderwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen – beitragen kann, ist es demnach notwendig, Fotovoltaik, Elektroautos sowie Wasserstofffahrzeuge für den Frachtverkehr, Wärmepumpen und Energiesparmassnahmen in viel grösserem Umfang und schneller voranzutreiben als heute.

Abhängigkeit wird abnehmen

Im Zuge der Elektrifizierung insbesondere des Verkehrs und des Heizens wird die Stromnachfrage bis 2050 um 30 bis 50 Prozent steigen, von 60 Terawattstunden auf 80 bis 90 Terawattstunden pro Jahr. Vor allem ein massiver Ausbau der Fotovoltaik mit dem grösste Potential in der Schweiz, aber auch mehr Windkraftanlagen könnten hier einen Teil der Lücke schliessen – allerdings gebe es dabei Hürden hinsichtlich der sozialen Akzeptanz.

Und: «Dies wird nicht reichen, um gerade im Winter den erhöhten Strombedarf zu decken», sagte der Ingenieur Gianfranco Guidati von der ETH Zürich und Manager des SCCER-SoE im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Auch, weil ein signifikanter Ausbau der Wasserkraft unrealistisch ist.

So brauche es zusätzlich thermische Kraftwerke, die etwa Biomasse oder Erdgas verbrennen sowie Speicherkapazitäten, etwa durch eine Erhöhung von Talsperren – wobei es hier gemäss dem ETH-Forscher eine sorgfältige Abwägung mit dem Naturschutz brauche. Und: «Ganz ohne Stromimporte wird es nicht funktionieren.» Aber die Abhängigkeit vom Ausland werde sich «drastisch reduzieren», insbesondere, weil der Import von Erdöl grösstenteils wegfalle.

Geothermie als wichtige Säule

Umsonst wird der Umstieg auf Netto-Null micht zu bekommen sein, die Schätzungen der Expertinnen und Experten liegen bei jährlichen Mehrkosten von 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Nachhaltige Stromerzeugung habe ihren Preis, doch die Schweiz als reiches Land könne sich das leisten, sagte Peter Burgherr vom Paul Scherrer Institut (PSI) vor den Medien. Zudem gebe es positive Faktoren wie eine Verbesserung der Luftqualität, die nicht zu beziffern seien.

Obwohl Geothermie-Projekte hierzulande ein ums andere Mal gestoppt wurden, sehen die Forschenden in der Erdwärme aus der Tiefe nach wie vor ein hohes Potential. Denn: «In den letzten Jahren fand ein Umdenken der Fachwelt in der Schweiz statt», sagte Guidati.

Während beispielsweise in Basel und St. Gallen auf die tiefe Geothermie für die Stromerzeugung gesetzt wurde, soll sie künftig in erster Linie direkt Wärme liefern, für Wärmenetze und Industrieprozesse. In diesem Fall müsse man anstatt fünf Kilometer nur noch zwei bis drei Kilometer in die Tiefe bohren, was das Risiko von Erdbeben reduziere.

«Wir sind spät dran»

Die Frage, die der ETH-Professor Domenico Giardini, Leiter des SCCER-SoE, abschliessend rhetorisch stellte: «Schaffen wir es noch bis 2050?» Während der Projektdauer sei viel erreicht worden, doch man sehe nun auch die Herausforderungen und Probleme viel klarer, sagte er. Und: «Wir sind spät dran.» Es brauche nun eine koordinierte Strategie. Die Schweiz gehöre aber zu den Ländern, die hinsichtlich einer nachhaltigen Energieversorgung vorangehen könne.

Beteiligt an den von Innosuisse geförderten Forschungsprogrammen waren 25 Schweizer Forschungseinrichtungen, Industrieunternehmen sowie Bundesbehörden. Die Energieforschung wird unter der Ägide des Bundesamts für Energie (BFE) in einem neuen Programm mit dem Namen «Sweet» weitergeführt.