Rettung vor 46 Jahren«Wunder der Anden» – So überlebten die Passagiere von Flug 571
gusi
18.12.2018
Das Flugzeug verschwindet 1972 über den Anden. Die Hoffnung auf Überlebende schwindet schnell, die Suche nach dem Wrack wird nach nur acht Tagen eingestellt. Für einen Teil der Insassen ist das der Beginn eines monatelangen Martyriums.
Die Gesichter sind abgemagert, die Körper von den Strapazen der letzten Wochen gezeichnet. Das Bild der Überlebenden von Flug 571 ging an Weihnachten 1972 rund um die Welt.
Mehr als zwei Monaten hatten 16 Insassen auf über 4000 Metern ausgeharrt. Im ewigen Eis, bei Temperaturen von minus 30 Grad. Gerettet hat sie die Wärme, die sie sich gegenseitig spendeten und ein grausiger Entscheid: Die Männer ernährten sich vom gefrorenen Fleisch der verstorbenen Passagiere. Am Tag an dem dieses Bild entstand, fand das Leiden der 16 Männer ein Ende. Am 23. Dezember vor 46 Jahren befreiten sie Retter aus der weissen Hölle.
Wie aber kam es zur Katastrophe? Wochen zuvor, am 13. Oktober, kämpft sich der Flieger der uruguayischen Luftwaffe des Typs Turboprop bei Orkanböen und eisigem Schneeschauer durch die Anden. An Bord sind zu diesem Zeitpunkt 45 Passagiere aus Uruguay. Es sind Mitglieder, Betreuer und Angehörige der Rugbymannschaft des Old Christian's Club, die für ein Freundschaftsspiel nach Chile reisen.
Die Wetterbedingungen sind prekär und während die Flugzeugcrew umkehren will, drängt die Mannschaft zum Weiterflug. Wegen der schlechten Sicht zerschellt das Flugzeug in 4000 Metern Höhe an einem Berghang. Von den Insassen stirbt ein Dutzend bereits beim Aufprall. «Ich schaute auf den Boden und sah Leute, die schon tot waren», erinnert sich ein Überlebender. «Wir wussten nicht, was von nun an geschehen würde. Wir hatten in einem komfortablen Flugzeug gesessen, waren unbekümmert, und auf einen Schlag waren wir im Schnee, in den Bergen. Du weisst nicht, wo du bist. Du zitterst vor Kälte, viele Freunde sind tot.»
Für die zunächst 24 Überlebenden kommt es noch schlimmer. Am achten Tag hören sie in einem kleinen Radio, dass die Suche nach ihnen eingestellt wird und sie offiziell für tot erklärt werden. Ohne ausreichende Kleidung und ohne Nahrung wird der Zustand der Passagiere daraufhin von Tag zu Tag kritischer.
Die knappen Nahrungsvorräte – einige Tafeln Schokolade, ein paar Kekse, ein paar Flaschen Wein – sind schnell aufgebraucht. Und andere Nahrungsquellen sind nicht in Sicht. In der Umgebung gibt es keine Vegetation und schon gar keine Tiere, die sie hätten jagen können. Das ist der Moment, in dem sich die Männer zum Kannibalismus entscheiden.
Die kleine Gruppe weiss genau, was sie tut, berichtet sie später. Sie entnehmen den Toten gezielt die nährstoffreichsten Körperteile, aus Knochen lösen sie Kalzium, das sie mit der vitamin- und proteinreichen Leber mischen. Gezielt werden Vorräte angelegt, immer mit dem Ziel vor Augen, zu überleben.
Lawine tötet acht weitere Passagiere
Und dennoch schaffen es nicht alle bis zur Rettung. Die Überlebenden verbringen die Nacht jeweils im Wrack der Maschine. Nach einigen Wochen werden sie von einer Lawine aus dem Schlaf gerissen, die Schneemassen dringen ins Flugzeug ein und töten acht weitere Männer.
Nach über 60 Tagen im ewigen Eis entschliesst sich die Gruppe, das Unmögliche zu wagen. Sie wollen sich auf eigene Faust durchschlagen und Hilfe holen. Die zwei Kräftigsten werden ausgewählt, Strümpfe dienen als Proviantbehälter. Dann geht es los.
Sie kämpfen sich eine Woche unter unvorstellbaren Strapazen durch die Bergwelt und erreichen schliesslich die schneefreie Zone. Nach drei weiteren Tagen treffen sie auf einen Hirten. Er führt sie in ein Dorf, wo sie endlich Alarm schlagen können.
Nur einen Tag später retten Hubschrauber der chilenischen Luftwaffe die 14 übrigen Männer vom Berg. «Als wir die Hubschrauber hörten, die kamen, um uns zu retten, kam auf einmal auch die Gesellschaft zurück mit ihren Tabus und allem was damit zusammenhing», erzählte damals ein Überlebender. Lange plagte die überlebenden Männer Schuldgefühle, wenn sie an die Zeit in der weissen Hölle zurückdenken. Doch ihre Rettung gilt bis heute als das «Wunder der Anden».