Ausstellung «Zeichnen war für Geta wie ein Tanz»

SDA

7.6.2020 - 10:48

Albert Kriemler hat die Kunst längst als Muse entdeckt. Die Arbeiten von Geta Brătescu inspirierten den Kreativdirektor des Schweizer Modehauses Akris zu einer Kollektion. Ab Dienstag sind die Werke der rumänischen Künstlerin im Kunstmuseum St. Gallen zu sehen.

Die Farben von Geta Brătescus (1926-2018) Arbeiten haben Albert Kriemler auf Anhieb fasziniert. «Ihre Farben haben eine grosse eigene Identität», sagt er. Ihr Pink sei eine gemalte Farbe. «Sie muss die Farbe selbst entworfen haben», betont der Designer und deutet auf eine Werkgruppe in der Ausstellung «L'art c'est un jeu sérieux». Das Kunstmuseum St. Gallen zeigt bis Mitte November als erstes Schweizer Museum eine retrospektive Ausstellung der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerin Rumäniens.

In der Schweiz war sie bislang einzig einem ausgewählten Kreis von Sammlern und Galeristen bekannt. Albert Kriemler beschäftigt sich seit Jahren mit Kunst und besucht viele Ausstellungen. 2017 präsentierte Geta Brătescu ihr Werk an der Documenta in Athen, welche auch der St. Galler besuchte: «Der Minimalismus ihrer sinnlichen Arbeiten hat eine immense Kraft.» Er habe erst nach einem genauen Blick auf die schwarzen Streifen in der Werkserie «Linia» gemerkt, dass sie nicht gemalt sind. Es waren ihre Coffee Sticks aus Holz, die sie bemalt hat.

Geta Brătescu liebte neben ihren «Objects trouvés» auch das Spiel mit der Linie, dem Kreis, der Form, die Räume öffnet, begrenzt, trennt oder umrundet. Klare Linien und eine schlichte Formensprache stehen auch für die Kreationen von Albert Kriemler: «Mich hat vor allem ihr Gefühl für Farben und Materialien interessiert.»

Die Avantgardistin war eine passionierte Papiersammlerin. Sie habe sogar ihre Teebeutel in ihre Arbeiten einbezogen, sagt Kriemler. In «Carpati» sind hunderte von abgebrannten Zigarettenpapieren zu einer Collage verwoben, die eine grosse textile Wirkung hat.

Es beginnt mit einem Kunstwerk

Der Modedesigner arbeitet immer wieder mit Künstlern, Architekten oder Kunsthandwerkern zusammen. «Es beginnt mit einem Kunstwerk, und ich setze dieses dann in Mode um», sagt Kriemler, der seit 2004 seine Kollektionen auf der Paris Fashion Week präsentiert.

Der Designer sucht den engen Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern. Das war auch beim Düsseldorfer Fotokünstler Thomas Ruff oder dem japanischen Architekten Sou Fujimoto so, als er mit ihnen zusammenarbeitete. Auch der kubanischen Künstlerin Carmen Herrera widmete er eine Kollektion.

Geta Brătescu besuchte er Anfang 2018 mehrmals in ihrem Studio in Bukarest. Es sei wunderbar gewesen, diese Frau zu treffen, so Kriemler: «Sie hatte leuchtende Augen und sie verströmte eine grosse Lebensfreude.» Sei cool und voller Schalk und Humor gewesen, was auch in vielen ihrer Arbeiten sichtbar werde. Während der Treffen habe die über 90-jährige Künstlerin ununterbrochen gearbeitet. «Zeichnen war für Geta wie ein Tanz.»

Sie sei sofort an einer Zusammenarbeit interessiert gewesen unter der Bedingung, die Kontrolle behalten zu können, sagt Albert Kriemler. Diese Klarheit – auch in der Kunst – habe ihn beeindruckt. «Schauen Sie diesen Fisch an. Er ist mit einem einzigen Markerstrich gezeichnet.»

«Der Raubfisch» floss 2019 in die Frühling/Sommer-Kollektion von Akris ein, genauso wie ein Vogelbild aus den Abendhandschuhen der Mutter der Künstlerin. «Sie stellte sich selbst häufig in der Figur des Vogels dar», erklärt der Designer. Geta Brătescu konnte die Präsentation der Kollektion nicht mehr selber miterleben. Zwei Wochen vor der Show in Paris starb sie.

Als Set-Design wählte Kriemler Magnete. Es sei ein Wunsch der verstorbenen Konzeptkünstlerin gewesen, dass er sich auch diesem Motiv widmete. «Geta fand, dass Magnete ein grossartiger Ausdruck menschlicher Beziehungen seien. Menschen fühlen sich voneinander angezogen wie Magnete – aber auch abgestossen», erklärt Kriemler die Symbolik.

Der Ort jeglichen Ursprungs

Bei Geta Brătescu habe ihn besonders die Breite und Vielschichtigkeit ihrer künstlerischen Arbeit fasziniert. Das eigene Ich, das Dasein als Frau, das Atelier als mythologischer Raum waren Themen, welche die Künstlerin in den über sechs Jahrzehnten ihres Schaffens immer wieder umkreiste.

Sie liess sich auch von der kommunistischen Diktatur nicht von ihrer Kunst abbringen. «Sie formulierte den Ort des Studios als absolute Freiheit für ihre Kreativität, wo alles möglich ist», sagt Kriemler, der darin Parallelen zu seinem eigenen Atelier in St. Gallen erkennt. Er habe während des Lockdowns die ganze Zeit gearbeitet. Solange am Stück sei er schon lange nicht mehr in der Ostschweiz gewesen. Das Atelier sei für ihn der Ort jeglichen Ursprungs. «Es gibt nichts Schöneres, als immer wieder eine neue Kollektion in Angriff zu nehmen.»

www.kunstmuseumsg.ch

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