Gaspreis fällt und fälltJe wärmer der Winter, desto wütender wird Putin
Von Philipp Dahm
27.10.2022
Talfahrt: Gaspreis fällt auf tiefsten Stand seit Juni
Der Preis für europäisches Erdgas ist am Montag kräftig gefallen und auf den tiefsten Stand seit Juni gesunken. Der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas um brach mehr als 13 Prozent auf 100,00 Euro je Megawattstunde ein. Der TTF-Kontrakt gilt als Richtschnur für das europäische Preisniveau.
27.10.2022
Wladimir Putin versucht, Europa über knappe Energie unter Druck zu setzen. Doch der Schuss geht nach hinten los: Die Gasspeicher sind voll, die Preise purzeln – und nun wird auch noch ein warmer Winter prognostiziert.
Von Philipp Dahm
27.10.2022, 16:54
28.10.2022, 09:10
Philipp Dahm
Die drohende Strommangellage, eine Raumtemperatur von maximal 19 Grad und Angst vor einem eiskalten Blackout: Wladimir Putins Krieg in der Ukraine hat das Thema Energiesicherheit ganz oben auf die europäische Agenda gehievt. Und erst schien es, als würde sein zynisches Kalkül aufgehen.
Nach dem Beginn der Invasion am 24. Februar schnellte der Preis für einen Kubikmeter Erdgas von unter vier auf weit über neun Dollar in die Höhe. Der Effekt: Moskau nahm dank der Verdopplung der Preise durch seine Gasverkäufe deutlich mehr ein, obwohl schnell Sanktionen eingeleitet wurden und deshalb weniger abgesetzt werden konnte.
Doch mit dem Geldsegen ist nun Schluss. Der Grund: Dem alten Kontinent ist es gelungen, die Gasreserven maximal aufzustocken. «Europa hat so viel Gas, dass es nicht weiss, wohin damit», schreibt CNN. Weil die Speicher voll sind, würden sich die Schiffe mit flüssigem Gas nun vor den Häfen stauen: In Deutschland sind sie zu satten 97,77 Prozent gefüllt.
Das hat spürbare Folgen für den Gas-Preis: Seit dem Preis-Gipfel im August sind die Kosten für den Kubikmeter um satte 70 Prozent gefallen. Alleine in der vergangenen Woche ist der entsprechende Wert um 20 Prozent gesunken. Im Vergleich zum Oktober 2021 liegt der Preis aber immer noch 126 Prozent höher.
Zehn Millionen Dollar verpuffen täglich
Schmerzhaft für Putin: Die EU hat ihre Abhängigkeit von russischem Gas von 40 Prozent im Januar dieses Jahres auf nun noch sieben Prozent gesenkt – und Brüssel hält seine Mitglieder dazu an, zwischen August 2022 und März 2023 weitere 15 Prozent einzusparen.
Problematisch für Russland ist dabei, dass im Gegensatz zum Öl die Pipelines fehlen, um das Gas anderweitig zu verkaufen – etwa an Indien oder China. Ohne diese Kapazitäten bleibt Moskau nichts anderes übrig, als vorhandenes Gas im grossen Stil abzufackeln. Zehn Millionen Dollar gehen deshalb jeden Tag in Rauch auf, berichtet BBC Ende August.
Russia's natural gas supply to Europe now seems permanently cut off on the NordStream pipeline (after 2 major explosions). This has not led to an increase in flow on the other 2 pipelines of Russian gas into Europe. Instead, Russia will flare off its gas, literally burning money. pic.twitter.com/3rthe1dGlF
Der Verlust der europäischen Kunden ist für Putin kurzfristig nicht zu ersetzen – und es kommt noch schlimmer für den 70-jährigen Autokraten: Experten des European Centre for Medium-Range Weather Forecasts (ECMWF) gehen nicht davon aus, dass das Wetter dem Kreml-Chef helfen wird.
«Wir sehen einen Winter, der wärmer wird als üblich»
«Wir sehen einen Winter, der wärmer wird als üblich», sagt Carlo Buontempo der Nachrichtenagentur AFP. Er ist Direktor des Copernicus Climate Change Service, der die Vorhersagen für das ECMWF verantwortet. Dennoch könne es zu windarmen Kälteperioden kommen, erklärte er: Der Ausfall an Windenergie müsste wiederum kompensiert werden.
Some people in Moscow want to use the winter as an instrument and agitate the European people with propaganda. They underestimate #Europe just as they underestimated #Ukraine. Same mistake. pic.twitter.com/Nt6UQfXctp
Im Moment sehe es so aus, als ob es erst im Dezember zu einer Kältewelle komme. Ein Grund für den insgesamt wärmeren Winter könne das Wetterphänomen La Niña sein. «In einem La-Niña-Jahr gibt es im späteren Winter in Europa häufig Wind aus dem Westen, also wird es warm und feucht», so Buontempo.
MeteoSchweiz will «Aussagen und Abschätzungen anderer Institutionen nicht beurteilen», schreibt Klimatologe Stephan Bader auf Anfrage von blue News. Der Grund: Langfristige Vorhersagen seien «mit einer hohen Unsicherheit behaftet».
Mildes Jahresende in der Schweiz in Sicht
«Obwohl in den letzten Jahren mit leistungsfähigen Computern und durchgeführten Modellsimulationen deutliche Fortschritte erzielt wurden, ist die Qualität von Langfristprognostik für Mitteleuropa und somit auch für die Schweiz nach wie vor begrenzt», erklärt Bader dazu.
Der Winterausblick, der von Dezember bis Februar eicht, werde erst Ende November zur Verfügung stehen. Aber: Auch MeteoSchweiz wagt einen Saisonausblick für das Jahresende. In der Nordostschweiz steht die Chance von 50 Prozent, dass der Zeitraum mit einer Durchschnittstemperatur von 6,1 Grad und mehr mild ausfallen wird.
Sollte der Winter doch noch knackig kalt werden, würden diese Monate aber aus der Reihe fallen. Lokal gesehen waren der Januar und März die sonnigsten überhaupt. Im März wie im Mai fiel so wenig Regen wie noch nie.
In diesem Stil ging es im Sommer weiter: «Im landesweiten Mittel wurde der zweitheisseste Juni, der viertheisseste Juli und schliesslich der drittheisseste August seit Messbeginn 1864 registriert. Dies nach dem zweitwärmsten Mai seit Messbeginn», schreibt Bader – mehr dazu hier.
EU-Gipfel einigt sich auf «Fahrplan» im Energiestreit
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