Pharmakologie Blutkrebsmittel selber machen kommt billiger

SDA

26.6.2020 - 07:50

Mit der CAR-T-Zell-Therapie existiert eine Methode, Lebensqualität und -zeit von Leukämie-Patienten massgeblich zu verbessern. Nur verlangen Konzerne wie Novartis für die massgeschneiderte Lösung horrende Preise. Deutsche Forscher haben nun herausgefunden: Selbermachen ist 10 Mal billiger. (Archiv)
Mit der CAR-T-Zell-Therapie existiert eine Methode, Lebensqualität und -zeit von Leukämie-Patienten massgeblich zu verbessern. Nur verlangen Konzerne wie Novartis für die massgeschneiderte Lösung horrende Preise. Deutsche Forscher haben nun herausgefunden: Selbermachen ist 10 Mal billiger. (Archiv)
Source: Keystone/AP/ESTEBAN FELIX

Die CAR-T-Zell-Therapie ist eine neue Therapieform gegen Blutkrebs. Die Hersteller Novartis und Gilead verlangen bis zu 320'000 Euro pro Patient. Experten des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben nun errechnet, dass es auch fünf Mal billiger geht.

An wissenschaftlichen Einrichtungen liesse sich die Immuntherapie zu einem Bruchteil des Preises der Pharmakonzerne herstellen, argumentiert das DKFZ.

Seit einigen Jahren erzielen Ärzte mit einer neuartigen Form der Immuntherapie bei bestimmten Krebserkrankungen des Bluts und des Lymphsystems teilweise bedeutende Behandlungserfolge: Für diese Therapie werden dem Patienten zunächst körpereigene Abwehrzellen (T-Zellen) entnommen und ausserhalb des Körpers so verändert, dass sie effektiver gegen die bösartigen Leukämiezellen vorgehen können. Dazu statten Wissenschaftler die T-Zellen im Labor mit dem Gen für ein besonderes Rezeptorprotein aus», schrieb das angesehene DKFZ jetzt in einer Aussendung aus Anlass der Publikation der Berechnungen.

Dieser «chimäre» Antigenrezeptor (CAR) erkennt als Zielstruktur ein Proteinmolekül, das bei bestimmten Leukämieformen von jeder Krebszelle ausgebildet wird. Die CAR-T-Zellen werden anschliessend vermehrt und dem Patienten wieder übertragen – wo sie mit zum Teil spektakulären Erfolgen auf die Jagd nach bösartig veränderten Leukämiezellen gehen.

Teuer, weil massgeschneidert

«Zwei kommerzielle CAR-T-Zell-Produkte sind inzwischen zur Behandlung der akuten lymphoblastischen T-Zell Leukämie sowie von Non-Hodgkin-Lymphomen wie etwa diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphomen zugelassen. Sie werden nur eingesetzt, nachdem alle anderen Therapieoptionen versagt haben. Die Behandlungen schlagen oftmals gut an: Zwei Jahre nach der Therapie leben noch 40 bis 60 Prozent der Behandelten rückfallfrei», schrieb das DKFZ weiter.

Doch die aussichtsreiche und hoch individualisierte Therapie – jedes «Zell-Medikament» wird individuell für den jeweiligen Patienten hergestellt, hat ihren Preis: Die Produzenten «verlangen in Deutschland bis zu 320'000 Euro für die Produktion von CAR-T-Zellen für einen Patienten», so das DKFZ. Das ist offenbar der Listenpreis. In Österreich haben Spitäler beispielsweise erfolgsabhängige «Rabatte» ausverhandelt. Bei ausbleibendem Erfolg wird ein Teil des Listenpreises erlassen.

Eventuell auch gut gegen andere Krebsarten

«Noch kommt eine CAR-T-Zell-Therapie nur für wenige Krebspatienten infrage, aber es besteht die Hoffnung, dass dieser Behandlungsansatz auf andere Krebsarten ausgedehnt werden kann. Die Befürchtungen sind gross, dass unsere Gesundheitssysteme bei steigenden Patientenzahlen diese Kosten nicht mehr stemmen können», erklärte Michael Schlander, Gesundheitsökonom am Deutschen Krebsforschungszentrum.

Als Alternative zu den beiden Industrieprodukten setzen bereits viele Forschungseinrichtungen, darunter auch das DKFZ, auf eine hauseigene Herstellung der therapeutischen Zellen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern am DKFZ um den Ökonomen Schlander und den Immunologen Stefan Eichmüller hat laut dem DKFZ nun erstmals detailliert die Kosten aufgestellt, die einer akademischen Einrichtung bei der Herstellung von CAR-T-Zell-Therapien entstehen.

Sogar zehn Mal günstiger wäre möglich

«Die Einrichtung eines Reinraums, Labormaterialien, Geräteausstattung sowie sämtliche Lohn- und Lohnnebenkosten für das speziell ausgebildete Laborpersonal wurden in die Vollkostenrechnung aufgenommen. Naturgemäss waren die errechneten Kosten stark abhängig von der Auslastung des voll automatisierten Herstellungssystems für die Zellen. Hier legten die Forscher ihrer Rechnung unterschiedliche Szenarien zugrunde, darunter auch eine maximale jährliche Kapazitätsauslastung des Geräts mit 18 CAR-T-Zell-Produkten», hiess es in der Aussendung.

Fazit, laut den Fachleuten: «Unter dieser Bedingung könnte im DKFZ ein CAR-T-Zellprodukt zur Behandlung eines Patienten für weniger als 60'000 Euro hergestellt werden.» Studienautor Michael Schlander: «Damit würden wir bei nur etwa einem Fünftel des Preises liegen, den die Unternehmen verlangen. Und unsere Kosten lassen sich noch erheblich weiter senken.»

Die deutlichste Ersparnis liesse sich erreichen, wenn mehrere der automatisierten Herstellungsgeräte zugleich betrieben würden. Ein alternatives Verfahren zur Übertragung der Gene für den chimären Rezeptor könnte die Herstellungskosten weiter auf bis zu etwa 33'000 Euro oder ein Zehntel des derzeitigen kommerziellen Preises reduzieren.

Weiterer Pluspunkt: Kurze Lieferfrist

Auch die Patienten würden von einer dezentralen Herstellung der CAR-T-Zellen profitieren – ganz abgesehen von der unmittelbaren Kostenersparnis: «Dadurch, dass die Zeiten für den Versand des Patientenbluts sowie auch der fertigen Zelltherapie entfallen, können wir die Behandlung innerhalb von zwölf bis 14 Tagen zur Verfügung stellen – eine deutliche Verkürzung der drei- bis vierwöchigen Wartezeit, die bei den kommerziell angebotenen Produkten anfällt.

Die Patienten brauchen dann möglicherweise weniger Chemotherapien und hätten kürzere Spitalaufenthalte – was weitere Kosteneinsparungen mit sich bringt», wurde DKFZ-Immunologe Stefan Eichmüller zitiert. Nicht berücksichtigt wurden in der Analyse Kosten, die für Lizenzgebühren entstehen können.

Fachartikelnummer DOI: 10.1002/ijc.33156

Tao Ran, Stefan B. Eichmüller, Patrick Schmidt, Michael Schlander: Cost of decentralized CAR T cell production in an academic non-profit setting. International Journal of Cancer 2020.

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