Die Havarie ist vorbei, doch die «Ever Given» ist immer noch im Suezkanal gefangen: nun aber wegen eines Streits um den Schadenersatz. Es geht um 600 Millionen Dollar.
Keine Action, keine Helden und keine Schurken: Es war ein seltsam ereignisloses Drama, das sich im März im Suezkanal abspielte – und dennoch schaute die ganze Welt gebannt zu. Das 400 Meter lange Containerschiff «Ever Given» steckte quer in dem Nadelöhr fest und blockierte die Handelsroute zwischen Asien und Europa tagelang.
Bagger und Schlepper wurden aufgeboten, auch die Flut sollte helfen, um den mit über 18’000 Containern beladenen Koloss freizukriegen – was in den Morgenstunden des 29. März endlich auch gelang.
Die «Ever Given» hat wieder freie Fahrt – ein Happy End, sollte man meinen. Doch das Schiff steckt bis heute im Suezkanal fest. Bloss hindern es diesmal rechtliche Schwierigkeiten an der Weiterfahrt in Richtung Zielhafen in Rotterdam.
Ein Fall für die Justiz
Es geht ums Geld: Die ägyptische Suez Canal Authority (SCA), die den Suezkanal betreibt, fordert von den Schiffsbesitzern Schadenersatz – für die Bergungsarbeiten, aber auch für den «Reputationsverlust», der durch die Blockade entstanden sei. Ursprünglich verlangten die Ägypter 916 Millionen Dollar, mittlerweile haben sie diese Summe auf noch 600 Millionen Dollar gesenkt.
Bezahlen soll das Unternehmen Shoei Kisen Kaisha als Besitzer der «Ever Given», doch die Japaner finden diesen Betrag überrissen. Bis der Streit geklärt ist, wurde der Frachter in den Bitterseen – einer breiten Passage des Suezkanals – festgesetzt, wie SCA-Chef Admiral Osama Rabie am Wochenende laut «Egypt Today» bestätigte. Ein Gericht in der Stadt Ismailia wies einen Einspruch der Schiffseigner gegen die Beschlagnahmung bereits ab.
Die Japaner berufen sich inzwischen gemäss Seerecht auf eine «Havarie grosse», wie der «Spiegel» berichtet: In diesem Fall müssten sich die Käufer der Waren an Bord «an den Rettungskosten und weiteren entstandenen Schäden beteiligen – entsprechend dem Wert ihrer beförderten Güter».
Für grosse Firmen, die ihre vielen Container versichert hätten, sei das kein Problem, sagte der auf Schiffshandel spezialisierte Historiker Marc Levinson zu SRF. Doch kleine Firmen seien typischerweise nicht versichert und müssten selbst bezahlen – in der Regel zehn bis 20 Prozent des Warenwerts. «Das kann kleine Firmen in Not bringen.»
Grund der Havarie ist noch unbekannt
Im Falle der «Ever Given» müssen nun Tausende Kunden kontaktiert werden. Die Japaner haben dafür eine Anwaltskanzlei aus London beauftragt, bei den Betroffenen Sicherheitsleistungen einzutreiben.
Das dauert natürlich – weshalb sich das Drama um die «Ever Given» noch eine Weile hinziehen dürfte. Schliesslich ist noch nicht einmal der genaue Hergang der Havarie geklärt, die Untersuchungen der ägyptischen Behörden laufen. Als mögliche Gründe gelten starker Wind, menschliches oder technisches Versagen. Wie die NZZ berichtet, könnte auch ein physikalischer Effekt – der sogenannte «Bank Effect» – dazu geführt haben, dass die «Ever Given» vom Kanalrand regelrecht angesogen wurde.
Besonders bitter ist diese Hängepartie für die Crew an Bord des Riesenfrachters: Ägypten hat ihnen das Verlassen des Schiffs zwar nicht offiziell verboten, aber erklärt, es müssten immer genug Leute an Bord bleiben, um es einsatzbereit zu halten.
Feststeckende «Ever Given» sorgt für Mega-Stau vor dem Suezkanal
Seit drei Tagen blockiert das Containerschiff «Ever Given» den Suezkanal, die wichtigste Schiffsverbindung zwischen Asien und Europa. Eine Traffic-App für Seefahrer zeigt nun das Ausmass des Schiffsstaus.
26.03.2021