Volkswagen in der Krise Italiener tragen den «Mythos vom deutschen Auto» zu Grabe

Von Samuel Walder

3.10.2024

VW-E-Auto im Bau: Ob der Umstieg auf die Elektromobilität in Europa ein Erfolg wird, steht derzeit auf der Kippe. (Archivbild)
VW-E-Auto im Bau: Ob der Umstieg auf die Elektromobilität in Europa ein Erfolg wird, steht derzeit auf der Kippe. (Archivbild)
Bild: Keystone

Deutschlands Autoindustrie kämpft ums Überleben. Ausgerechnet eine grosse italienische Zeitung kritisiert die strukturellen Probleme deutscher Autobauer in ungewohnter Schärfe.

Von Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die italienische Zeitung «Corriere della Sera» kritisiert die deutsche Autoindustrie ungewohnt scharf. 
  • Ein Experte von KPMG schätzt die Krise in Europa ein.
  • Hohe Energiepreise und gestiegene Produktionskosten belasten die deutsche Autoindustrie, verstärkt durch den Ukraine-Krieg.
  • Deutsche Hersteller verlieren Marktanteile in China, da lokale Elektrofahrzeughersteller bevorzugt werden und die deutsche Elektrifizierung zu spät kam.
  • Überkapazitäten in deutschen Werken und der globale Wettbewerb, vor allem durch chinesische Elektroautos, verschärfen die Krise zusätzlich.

Der deutschen Autoindustrie geht es nicht gut. Seit Monaten drohen die Manager von Volkswagen mit Werksschliessungen und haben bereits Entlassungen beschlossen. Das wurde auch in Italien bemerkt. Die Zeitung «Corriere della Sera», die grösste Tageszeitung des Landes, kritisiert die deutsche Autoindustrie scharf und schreibt: «das Ende des Mythos vom deutschen Auto».

Konkret analysiert der verantwortliche Journalist die deutsche Autoindustrie in vier Punkten: 

1. Hohe Energiepreise

Die Energiekosten sind stark gestiegen. Der Grund: der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine. Ohne günstigeres Gas ist die Fertigung der Fahrzeuge deutlich teuer geworden.

2. Schwierigkeiten in China

Im wichtigsten chinesischen Markt ist der Absatz eingebrochen – und das, obwohl dort Elektroautos boomen. Die protektionistische Politik der chinesischen Regierung führt dazu, dass chinesische Hersteller bevorzugt werden. Dies erschwert es ausländischen Unternehmen, auf dem chinesischen Markt Fuss zu fassen.

3. Elektrifizierung verschlafen

Deutsche Automobilhersteller hätten den Trend zu Elektrofahrzeugen verschlafen. China dominiert den Markt für Batterien und Software, was zu internationalen Marktanteilsverlusten deutscher Unternehmen führt. Chinesische Hersteller setzen sich zunehmend global durch.

4. Überkapazitäten in den Werken

Die rückläufigen Absatzzahlen führen dazu, dass deutsche Werke ihre Produktionskapazitäten nicht mehr ausschöpfen können. Eine rechtzeitige Reaktion blieb aus. Im vergangenen Jahr wurden bei einer Gesamtkapazität von gut sechs Millionen Autos in Deutschland nur noch gut vier Millionen produziert.

Der Bericht aus Italien betont, dass die Probleme der deutschen Autobauer strukturell und nicht vorübergehend sind. VW-Finanzvorstand Arno Antlitz (54) erklärte kürzlich, man habe noch «höchstens zwei Jahre, um die Situation umzukehren.»

Experte schätzt die Lage in Europa ein

Roman Wenk ist Experte für die Automobilindustrie bei KPMG Schweiz. Er sagt: «Insbesondere gestiegene Kosten, intensiver Wettbewerb durch eine Welle von neuen Elektromodellen hauptsächlich aus China sowie die rückläufige Nachfrage setzen die Hersteller in Europa unter Druck.» Erste Preissenkungen und höhere Rabatte im Markt seien die Folge. 

Zudem werde diese Transformationsphase zu weiteren Zusammenschlüssen in der Branche führen. «Trotz der aktuell schwierigen Lage im europäischen Markt dürften die heute führenden Auto-Hersteller in Europa auch in zehn Jahren noch den Takt angeben», sagt Wenk. 

Die Frage bleibt: wie konnte es zu so einer Krise kommen? Wenk sagt: «Die Krise wurde ausgelöst durch die Corona-Pandemie und den Rückgang der Absatzzahlen. Zudem wurden die weltweit gut abgestimmten Lieferketten durcheinandergebracht, was sich beispielsweise in Lieferengpässen äusserte.»

China oder auch Südkorea wären aufgrund des hohen Wertschöpfungsanteils innerhalb des Landes weniger stark betroffen als Europa und hätten schneller wieder Fahrt aufgenommen. 

Das sind die Faktoren für die Krise

Dabei spielen einige Faktoren eine Rolle. Wenk erklärt: «Verschiedene Faktoren wirken sich negativ auf die Autoindustrie in Europa aus.» Einerseits sei das wirtschaftliche Umfeld aufgrund von geopolitischen Spannungen, Lohnsteigerungen und Inflation anspruchsvoll – mit negativen Effekten auf die Verkaufszahlen. 

Andererseits habe man die rasante Entwicklung in China mit dem klareren Fokus auf die Elektromobilität unterschätzt. «In Europa erfolgt der Umstieg langsamer und ist teurer als erwartet», sagt Wenk.

Das muss man unternehmen, damit sich was ändert

Thomas Rücker ist Direktor von auto-schweiz. Er weiss, was sich ändern muss: «Zahlreiche Massnahmen wurden von den Herstellern und Zulieferern bereits getroffen, um sich best- und schnellstmöglich an die neuen Herausforderungen anzupassen.» Doch die politischen Rahmenbedingungen stünden diesem enormen Wandel oft entgegen – in Europa genauso, wie in der Schweiz.

Hierzulande hat der Bundesrat auf Anfang 2024 die vierprozentige Automobilsteuer auf Elektroautos ausgeweitet, was diese künstlich verteuert. «Diese Massnahme kam aus unserer Sicht 5 bis 6 Jahre zu früh und sollte entsprechend rückgängig gemacht werden», erklärt Rücker. 

In Deutschland würde die Kaufprämie für Elektroautos, der sogenannte «Umweltbonus», aus finanziellen Gründen quasi über Nacht abgeschafft – seitdem seien die Neuzulassungen von E-Fahrzeugen in Deutschland teilweise um zwei Drittel eingebrochen. Weiter sagt Rücker: «Die Politik muss klare und langfristig planbare Entscheidungen treffen und keine kurzfristigen Manöver fahren, die den eigenen Klimazielen zuwiderlaufen.»

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