ETH-Experte zur InflationHeizen höhere Löhne die Teuerung weiter an?
Von Oliver Kohlmaier
5.9.2022
Die Inflationsrate in der Schweiz ist so hoch wie seit rund 30 Jahren nicht mehr. Ein Experte erklärt, weshalb sich daran wohl auch auf lange Sicht nichts ändern dürfte.
Von Oliver Kohlmaier
05.09.2022, 06:55
05.09.2022, 06:59
Von Oliver Kohlmaier
Seit nunmehr einem Jahr steigt die Teuerung in der Schweiz an. Im August erreichte sie 3,5 Prozent und ist nun so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr.
Das bekommen die Menschen in der Schweiz beim Einkauf im Supermarkt ebenso zu spüren wie an der Zapfsäule. Dass die Preise für Benzin und Diesel zuletzt wieder etwas gesunken sind, dürfte dabei kaum eine Rolle spielen. Denn im Jahresvergleich sind sie dennoch um 26 und 32 Prozent höher als vor einem Jahr.
Die drastisch gestiegenen Energiepreise sind denn auch die Haupttreiber der Inflation in der Schweiz. So haben auf Jahressicht die Kosten für Heizöl um 86 Prozent und für Gas um 58 Prozent zugenommen. Dies wirkt sich selbst auf nachhaltige Energieträger aus: Holzpellets etwa haben sich um ganze 65 Prozent verteuert.
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An der erhöhten Teuerungsrate dürfte sich so bald auch nichts ändern: «Im Augenblick gehen wir davon aus, dass die Inflation sicherlich im nächsten Jahr noch erhöht bleibt, wenn auch tiefer als im aktuellen Jahr», schreibt Alexander Rathke von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich auf Anfrage von blue News.
Dazu trägt auch ein Schweizer Sondereffekt bei: Die Strompreise für Haushalte sind reguliert und können nur einmal im Jahr erhöht werde. Bis Ende August mussten die rund 630 Stromversorger die Branchenaufsicht und die Kunden über die neuen Tarife informieren. Die Strompreise legen zum Jahreswechsel einmal mehr kräftig zu und belasten damit die Inflationsrate erst verzögert im kommenden Jahr.
Auch langfristig gesehen macht Konjunkturforscher Alexander Rathke wenig Hoffnung auf jene Raten, an die sich die Schweizerinnen und Schweizer zuletzt gewohnt hatten: «Verschiedene Faktoren, etwa eine Entschleunigung der Globalisierung, führen dazu, dass auch nicht anzunehmen ist, dass wir in Zukunft wieder zu den ganz niedrigen Inflationsraten der letzten 15 Jahre zurückkehren werden.»
Höhere Lohnforderungen brauche es auch, um den Kaufkraftverlust auszugleichen, schreibt Rathke. Das müsse auch nicht gleich die von manchen befürchtete sogenannte Lohn-Preis-Spirale nach sich ziehen: «Grundsätzlich bedingt eine Spirale, dass höhere Löhne zu höheren Preisen führen und die Arbeitnehmenden dann noch höhere Preise erwarten und deswegen ihre Lohnforderungen schon prophylaktisch nach oben anpassen», erklärt der Konjunkturforscher.
Dies könne jedoch einmalig passieren, ohne eine Spirale in Gang zu setzen. Die eigentliche Gefahr bestehe im sogenannten «Entankern», also wenn sich längerfristige Inflationserwartungen nach oben verschieben und es dann zu einer solchen Spirale kommen könne. «Dies scheint im Augenblick aber nicht der Fall zu sein.»
Die Auswirkungen der Inflation für die Menschen in der Schweiz hängen Rathke zufolge stark davon ab, ob die derzeitigen Kaufkraftverluste auch durch Lohnerhöhungen ausgeglichen werden: «Wenn dies geschieht, dann stellt eine leicht höhere durchschnittliche Inflationsrate kein Problem dar.»
Könnte es mit der Inflation auch in die andere Richtung gehen? Schliesslich ist die derzeitige Teuerung zu grossen Teilen auf hohe Energiepreise zurückzuführen, die auch wieder fallen und somit die Lage entspannen könnten.
«Wenn die Preise für Energie sinken, dürfte auch die Teuerung wieder sinken», sagt Rathke. Im Augenblick sei dies aber nicht sehr wahrscheinlich. Mit anderen Worten: Solange Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fortsetzt, ist eine Entspannung auf dem Energiemarkt auszuschliessen.
ETH-Experte Rathke: «Ohne die Energiekrise wäre die Schweiz in einem Boom, befeuert von den Aufholeffekten nach der Corona-Krise.»