Die Unfallversicherung Helsana hat die Leistungen für einen bei einem Diebstahl schwer verletzten Mann zu Unrecht um die Hälfte gekürzt. Der Versicherer war der Ansicht, dass sich der Portugiese an einem Kampf beteiligt habe und deshalb mitschuldig sei.
Das Bundesgericht kam zu einem anderen Urteil und pfiff den Versicherer zurück, wie aus einem am Freitag publizierten Urteil hervorgeht. Der 56-jährige Portugiese lebt seit der Tat mit schweren Behinderungen in einem Heim.
Der Vorfall passierte 2013 in Genf. Der Mann wurde informiert, dass ein Dieb aus seinem Auto eine Jacke gestohlen hatte. Zusammen mit einem Freund wollte sich der Abwart dem Dieb in den Weg stellen und sich die Jacke zurückholen.
Als sie den Dieb zur Rede gestellt hatten, begann dieser die Jacke auszuziehen, die er unter einem weiteren Kleidungsstück versteckt hatte. Als der Bestohlene nach seiner Jacke greifen wollte, tickte der Dieb völlig aus.
Messerstiche in den Hals
Er fügte dem Begleiter des Abwarts, der sich einmischte, eine Messerwunde an der Hand zu. Als dieser sich entfernte, um die Polizei zu alarmieren, beobachtete er, wie sein Freund sich zu verteidigen versuchte, indem er ein Velo in Richtung des Angreifers warf und eine Eisenstange in den Händen hielt.
Der Angreifer stach den Hausmeister mehrmals mit einem Messer in den Hals und verletzte ihn schwer. Nach einem Spitalaufenthalt von eineinhalb Jahren musste das Opfer in ein Heim eingeliefert werden.
Helsana vertrat die Ansicht, dass ihr Versicherter sich bewusst in einen Kampf verwickelt habe und kürzte ihre Leistungen um die Hälfte. Der Dieb, ein psychisch gestörter Obdachloser, wurde anschliessend wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu sieben Jahren Gefängnis und einer Therapie verurteilt.
Der Portugiese wandte sich an das Bundesgericht, nachdem er bei der Genfer Justiz abgeblitzt war. Die Richter in Lausanne stiessen den Entscheid von Helsana in einem eindeutigen Urteil um und sprachen dem Kläger die volle Versicherungsleistung zu. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass die Leistungen der Unfallversicherung im Falle der Teilnahme an einer Schlägerei oder einem Kampf tatsächlich gekürzt werden könnten.
Es genüge, dass der Versicherte die Gefahrenzone betrete, aber es müsse ein kausaler Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und den erlittenen Verletzungen bestehen. Dieser Sachverhalt sei jedoch nicht gegeben, wenn das Verhalten eines der anderen Protagonisten so aussergewöhnlich sei, dass man es nicht hätte erwarten können.
Selbstverteidigung und Besitzesschutz
Die sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Luzern weist darauf hin, dass der Abwart laut Zeugen erst nachdem er schon mehrfach verwundet worden war, zum Velo und zur Eisenstange griff. Dieses Verhalten lasse sich eindeutig als Notwehr einordnen.
Eine mögliche Kürzung von Versicherungsleistungen dürfe Versicherte nicht daran hindern, die straf- und zivilrechtlichen Rechte wie Selbstverteidigung und Besitzesschutz auszuüben.
Schliesslich prüfte das Bundesgericht, ob der Kläger den Ausbruch von Gewalt ausgelöst hatte. Zeugenaussagen zufolge blieb der Dieb nach dem Zusammentreffen zunächst ruhig und versicherte, die Jacke zurückzugeben. Als der Abwart nach der Jacke griff, begann der Angreifer mit dem Messer zu fuchteln.
Psychische Störung
Ein psychiatrisches Gutachten ergab, dass der Dieb die Nähe des Abwarts als eine unmittelbare Bedrohung erachtete, die den Einsatz einer Waffe rechtfertigte. Das Verhalten nach der Tat sei typisch für eine psychische Störung.
Nachdem der Täter die beiden Männer verwundet hatte, hob er seine Sachen vom Boden auf und ging, als wie wenn nichts passiert wäre, von dannen. Unter diesen Umständen sei das Verhalten des Klägers nicht die Hauptursache für die von ihm erlittene Körperverletzung, urteilten die Richter. (Urteil 8C_193/2019 vom 1. Oktober 2019)
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