Wer ein Hirn-Aneurysma mit Gefässblutung überlebt hat, ist trotz aller ärztlichen Kunst weiterhin gefährdet. Ein Medikamenten-Implantat im Hirn könnte Betroffenen helfen.
Nach einem Hirn-Aneurysma kann zu einem Gefässkrampf kommen, der oftmals in einem Gehirnschlag endet. Die Zufuhr überlebenswichtiger Medikamente wird jedoch durch die Blut-Hirn-Schranke erschwert. Ein von einem Grazer Unternehmen entwickeltes stäbchenförmiges Medikamenten-Implantat könnte diese Schranke umgehen.
Hirn-Aneurysmen sind Aussackungen der Wände von Blutgefässen im Gehirn. Platzt eine solche Ausbeulung, kann es schnell lebensgefährlich werden: Jeder zweite Betroffene überlebt diesen Notfall nicht. Mithilfe des sogenannten «Clipping» kann das betroffene Gefäss zwar operativ mit einer kleinen Titanklemme verschlossen werden. Damit kommt der Blutfluss zum Erliegen.
«Nach dem Verschliessen des Aneurysmas kommt es jedoch in vielen Fällen nach einigen Tagen zu einem Gefässspasmus, der das Blutgefäss verengt und für eine Durchblutungsstörung verantwortlich ist», wie Jörg Breitenbach, Geschäftsführer der Grazer BIT Pharma gegenüber der Nachrichtenagentur APA erklärte. Bei mehr als 40 Prozent der operierten Patienten führe das zu schweren neurologische Folgeschäden bis hin zum Tod.
Kalziumkanalblocker können der Verengung entgegenwirken und das Gehirn vor einer unzureichenden Sauerstoffversorgung (Ischämie) schützen. Entsprechenden Wirkstoffen fällt es jedoch schwer die Blut-Hirn-Schranke – die verhindert, das fremde Substanzen aus dem Blut ins Hirngewebe übertreten – zu durchbrechen. Sie müssen aus diesem Grund hoch dosiert werden und führen daher oft zu schweren Nebenwirkungen.
Das Grazer Unternehmen hat einen neuen Ansatz gefunden: «Wir überwinden die Barriere, indem wir die Therapie direkt an das Gehirn liefern», schilderte der Unternehmensgründer, Miteigentümer und einer der Geschäftsführer des in Graz ansässigen Unternehmens. Es hat sich auf die Entwicklung und Nutzung von Wirkstoff-Trägersystemen für die Arzneimittelabgabe ins Zentralnervensystem, und hier speziell das Gehirn, spezialisiert.
Ohne systemische Nebenwirkungen
Laut Breitenbach sollen die bis zu zehn mal zwei Millimeter grossen Wirkstoffträger aus einem speziellen Bio-Polymer im Zuge der Clipping-Operation in direktem Kontakt mit den freiliegenden zerebralen Blutgefässwänden implantiert werden. «Das Medikament ist in der Matrix des Implantats wie Zucker in Wasser gelöst», schilderte der studierte Chemiker und Leiter des Grazer Start-ups. Von dort gibt es den Wirkstoff im Laufe der folgenden 14 Tage ab. Beim Wirkstoff handelt es sich um den Kalziumkanalblocker Nicardipin. «Wir haben den Wirkstoff in einer speziellen Zubereitung auf molekularer Ebene gelöst, so dass er besser von den Gefässen im Gehirn aufgenommen werden kann», führte Breitenbach weiter aus.
Gemäss den ersten Studien wird sowohl der Wirkstoff als auch die Matrix im Organismus verstoffwechselt. «In der Phase IIa der klinischen Prüfung wurde festgestellt, dass der Wirkstoff tatsächlich im Blutkreislauf fast nicht nachweisbar ist, also wahrscheinlich keine sogenannten systemischen Nebenwirkungen verursachen kann», erläuterte hierzu Peter Vajkoczy, Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Berliner Charite.
Milliarden können eingespart werden
Die Phase-IIb-Studie an den Kliniken in Innsbruck, Linz, Wien, Berlin, München und Göttingen wurde laut Breitenbach Anfang April 2020 gestartet. In «eineinhalb bis zwei Jahren» will man die Ergebnisse vorliegen haben. Von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wurde dem Medikamenten-Implantat der Status als «Orphan Medicinal Product (OMP)» verliehen. Dieser Status für Behandlungsmethoden seltener Krankheiten führt auch dazu, dass das Produkt eine Marktexklusivität von zehn Jahren erhält und ein leichterer Behördenzugang ermöglicht wird.
Laut Unternehmen werden derzeit jährlich rund 160'000 Patienten in den USA, Europa, Russland, Brasilien, Hongkong, Japan und Australien auf Intensivstationen zum Verschliessen der gerissenen Aneurysmen behandelt. Alleine in den EU-Gesundheitssystemen werden die Kosten auf mehr als drei Milliarden Euro geschätzt. Der Einsatz eines erfolgreich getesteten Produktes werde den Patienten nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität sondern auch einen signifikante Senkung der Nachbehandlungskosten bringen, zeigte man sich von Unternehmensseite überzeugt.
Parallel dazu werden vom Unternehmen mit derzeit fünf Mitarbeitern weitere Darreichungsformen zur lokalen Verabreichung am Gehirn entwickelt: «Insbesondere im Feld der Onkologie und Schmerztherapie, aber auch bei neurodegenerativen Krankheiten werden damit ganz neue Möglichkeiten eröffnet», schloss Breitenbach.
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