Great Barrier Reef Vor 250 Jahren entdeckt – in 30 Jahren schon tot?

Von Gil Bieler

11.6.2020

Heute vor genau 250 Jahren hat Captain James Cook das Great Barrier Reef entdeckt. Um die Zukunft des Korallenriffs vor der australischen Ostküste steht es allerdings schlecht: Experten sind besorgt.

Es war eine Entdeckung durch Zufall – und mit beinahe tödlichem Ausgang: Am 11. Juni 1770 stiess der britische Berufsabenteurer James Cook auf das Great Barrier Reef – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Sein Schiff, die «HMS Endeavour», fuhr auf das riesige Korallenriff auf und blieb stecken. Erst nachdem die Crew rund 50 Tonnen Fracht über Bord geworfen hatte, kam das Schiff frei, und nach Reparaturen konnte die Expedition – es war die erste von Cooks Südseereisen – weitergehen.

Auch wenn sich diese Entdeckung für die westliche Welt heute zum 250. Mal jährt, so war das Korallenriff vor Australiens Ostküste natürlich schon weitaus früher da: Auf rund 600'000 Jahre beziffern Forscher sein Alter. Dass Cook und seine Mannschaft dort auf Grund fuhren, erstaunt auch nicht: Mit einer Fläche von 344'400 Quadratkilometer ist das Riff fast 8,5-mal so gross wie die Schweiz.

Über 30 Wal- und Delfinarten nennen es ihr Zuhause, ebenso 133 Haifisch- und 1'600 Fischarten, 3'000 Sorten Weichtiere und – Nomen est Omen – 600 Sorten Korallen. Streng genommen handelt es sich denn auch nicht um ein einziges Riff, sondern eine Ansammlung von 3’000 zusammenhängenden Korallenriffen.

Ein Regenwald unter Wasser

«Man kann das vergleichen mit einem tropischen Regenwald», sagt Michael Krützen, Biologe und Professor an der Universität Zürich, zu «Bluewin». Das Great Barrier Reef hat er in den Neunzigerjahren besucht und als «extrem eindrücklich» in Erinnerung. Auf relativ kleinem Raum gebe es eine immense Biodiversität – viele Arten seien endemisch, kommen also nur dort vor. «Für unzählige Arten ist dieser Lebensraum überlebenswichtig», sagt Krützen. «Wenn das Riff stirbt, sterben auch sie.»



Die Sorge um die Riffs ist berechtigt: Das UNO-Umweltprogramm (Unep) schätzt, dass bereits zwischen 25 und 50 Prozent der Korallenriffs weltweit zerstört sind, 60 Prozent sind bedroht. Vor allem der Klimawandel und die dadurch verursachte Erwärmung der Meere setzen den sensiblen Ökosystemen zu. Doch nicht nur: Gemäss Krützen trägt auch die Landwirtschaft in Australien dazu bei, ihretwegen gelangten zu viele Nährstoffe ins Meer.

Im April erklärte die für das Riff zuständige Great Barrier Reef Marine Park Authority, dass bereits die dritte Massenbleiche der Korallen innert fünf Jahren beobachtet worden sei. Eine solche Bleiche führt oftmals zum Absterben der Korallen. «Wir sind sehr besorgt», teilten die Australier mit.

Luftaufnahmen zeigten beispielsweise, dass Fälle von schwerer Bleiche weiter gestreut auftraten als in früheren Jahren – zum Beispiel in Gebieten im südlichen Riff, die zuvor relativ glimpflich davongekommen waren. «Deswegen ist das erneute Auftreten der Bleiche hier besonders alarmierend», sagt Corina Gyssler, Mediensprecherin beim WWF Schweiz, zu «Bluewin».

«Das sind Warnzeichen»

Diese Entwicklung beobachtet auch Krützen mit Sorge. Er selbst erforscht in Westaustralien Delfine und erkennt auch dort Folgen des Klimawandels. Nach einer Hitzewelle im Jahr 2011 etwa seien 60 Prozent des Seegrases weggefallen, auch die Population der Delfine sei markant getroffen worden. «Das sind Warnzeichen, und sie mehren sich in der jüngsten Zeit auffällig.» Die Frage sei, ob sich ein Ökosystem davon noch erholen könne.

Corina Gyssler vom WWF Schweiz hat diesbezüglich Bedenken: Selbst wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens – eine Begrenzung der Temperatur auf maximal zwei Grad – erreicht würden, «werden bis 2050 etwa 70 bis 90 Prozent der heutigen Verbreitung von Korallenriffen verschwinden».



Dass ein grosses Korallensterben direkte Auswirkungen für Herr und Frau Schweizer hätte, glaubt der Biologe Krutzen nicht. Trotzdem hält er fest: «Es ist unsere Pflicht, solche Lebensräume für künftige Generationen zu erhalten.» Die Uneso hat das Great Barrier Reef 1981 zum Weltnaturerbe erklärt.

«Am wichtigsten für das Überleben von Korallenriffen ist, dass wir die Klimaerwärmung reduzieren. Und da können Schweizerinnen und Schweizer viel tun», sagt WWF-Sprecherin Gyssler. Als praktische Beispiele nennt sie den Verzicht auf Flugreisen oder das Autofahren, auf fossile Energieträger oder tierische Produkte wie Fleisch, Eier und Milchprodukte.

Der WWF selbst setze sich zusammen mit Wissenschaftlern und anderen Organisationen in einer Initiative dafür ein, «jene Korallenriffe in ihrer Resilienz zu stärken, die die grössten Überlebenschancen haben».

Ob das Great Barrier Reef überleben wird? Oder werden es künftige Generationen von Schülerinnen und Schüler nur noch im Geschichtsunterricht kennenlernen, neben James Cook? Das wird sich weisen.

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