Drama um den Untergang «Anschluss» vor 80 Jahren - Nazis brauchten das Gold Österreichs

Von Matthias Röder, dpa

11.3.2018

Viele Österreicher feierten Adolf Hitler als «Retter» des Landes. Zehntausende wurden aber sofort zum Opfer der Nazis. Der «Anschluss» hat viele Facetten - und eine Lehre: Wehret den Anfängen.

Der letzte Akt im Drama um den Untergang Österreichs dauerte rund 24 Stunden. Am 11. März 1938 um 19.47 Uhr hielt Kanzler Kurt Schuschnigg unter dem immensen Druck der Nazis seine Abschiedsrede und schloss mit den denkwürdigen Worten: «Gott schütze Österreich». Im Morgengrauen des 12. März überschritten fünf deutsche Divisionen widerstandslos die Grenze. Der wegen Benzinmangels und schlechter Karten nicht pannenfreie Einmarsch rollte. Gegen 16 Uhr fuhr die Wagenkolonne Adolf Hitlers über Braunau nach Linz. Dort hielt er gegen 20 Uhr seine erste Rede. Unter dem Eindruck der begeisterten, fast rasenden Massen entschieden die Nazis spontan, Österreich als Staatsgebilde von der Landkarte zu tilgen.

«Es war zunächst daran gedacht, mit Hitler einen Regierungschef für zwei Länder zu installieren. Dann entwickelte sich unter dem Jubel der Massen aber eine Dynamik», so der Historiker Oliver Rathkolb von der Universität Wien. Hitler machte kurzen Prozess. «Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches», hiess es am 13. März im Gesetz über die Vereinigung. Der «Anschluss» war perfekt. Im Alltag hatte er auch zur Folge, dass sich die Österreicher vom Links- auf den Rechtsverkehr auf den Strassen umstellen mussten.

Hitlers Rede von der Terrasse der Wiener Hofburg am 15. März vor
250 000 Menschen bildete den vorläufigen Schlusspunkt: «Als Führer und Kanzler der Deutschen Nation und des Reichs melde ich vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich.» Die von den Nazis für den 10. April angesetzte Volksabstimmung zur nachträglichen Legalisierung des «Anschlusses» war nur Formsache.

Der schwere politische Fehler

Die Grossmächte, kaum alarmiert über die Expansion, hatten eine Lektion verpasst: «Das ist der schwere politische Fehler in Paris, London und Washington, nicht zu erkennen, Österreich ist nur das Vorspiel zur Aggression. Der Anschluss hätte ein Weckruf sein müssen», meint Rathkolb.

In der Tat führte der von Hitler geplante Krieg nur über Österreich und die Tschechoslowakei, in die er ein Jahr später einmarschieren liess. Die Alpenrepublik bot, was die Nazis wollten: Reichlich Gold und Devisen in den Tresoren der Nationalbank, viel Erz in den Bergen, Erdöl im Marchfeld, ein Heer arbeitsloser Facharbeiter im Flugzeug- und Automobilbau sowie Soldaten für mehrere Divisionen.

Fest entschlossen, jeden Widerstand zu brechen, begann eine Verhaftungswelle. Zwischen 50'000 und 80'000 politische Gegner kamen in den ersten Wochen unter Arrest. Der erste Zug mit 150 Österreichern von Wien ins Konzentrationslager Dachau fuhr am 1. April 1938. Darunter war auch der spätere Bundeskanzler Leopold Figl. «Die Gefängnisse waren überfüllt», sagt Ursula Schwarz vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Der jüdische Schriftsteller und Journalist Egon Friedell nahm sich kurz vor der Verhaftung mit einem Sprung aus dem dritten Stock das Leben.

Die Nazis hatten mit ihrer judenfeindlichen Politik in Österreich leichtes Spiel. Der Antisemitismus hatte in der Alpenrepublik tiefe Wurzeln. Nicht nur Nazis, sondern auch Nachbarn und Kollegen hätten bei «wilden Arisierungen» versucht, sich zu bereichern, sagt Rathkolb. «Da wurde der jahrhundertelang aufgestaute Hass rausgelassen.» Wiener Bürger beobachteten belustigt die Demütigung jüdischer Männer, die bei «Reibpartien» teils mit Zahnbürsten politische Slogans von den Strassen und Wänden kratzen mussten.

Die einzige Chance, sich gegen die Nazis zu wehren, wäre eine Redemokratisierung des autoritär geführten Österreich gewesen, ist Rathkolb überzeugt. Am 9. März wurde die Volksbefragung, mit der die Österreicher für ein eigenständiges Land und gegen jede Einmischung oder gar Annexion stimmen sollten, für den 13. März angekündigt. Schuschnigg habe sich nun gegenüber Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Kommunisten geöffnet, meint der Historiker. «Drei Tage lang konnte man das Gefühl haben, das Land ändert sich. Diese Drei-Tage-Demokratie ist ein vergessenes Kapitel in der österreichischen Geschichte.» Hitler habe verstanden, dass er sofort handeln musste, um seine Pläne nicht zu gefährden.

Das Ende Österreichs

Zu den Plänen Hitlers gehörte auch seine Vision für Linz. Hier war er zur Schule gegangen, hier wollte er sterben - und zuvor die Stadt umbauen. «Wie keine andere Stadt ausser Berlin sollte Linz mit Monumentalbauten verändert werden», sagt Kurator Peter März. Im Schlossmuseum der Industriestadt erinnert eine Ausstellung auch an die Tage des «Anschlusses». In einer der Vitrinen ist die Hakenkreuz-Fahne ausgestellt, die am 12. März abends am Balkon des Rathauses hing. Von dort - drei Tage vor seinem Auftritt in Wien - verkündete Hitler das Ende Österreichs.

Umgehend begannen die Nazis in Linz mit dem kriegswichtigen Bau der Hermann-Göring-Werke zur Stahlerzeugung, benannt nach dem Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe. Auf dem Schlossberg wollte Hitler seinen Alterssitz errichten. In der Stadt sollte ein grosses Führermuseum entstehen als Heimat für die oft von Juden geraubten Kunstwerke. «Hitler hatte eine starke Bindung zur Stadt», meint März. Auch hier setzte schnell die Verfolgung von Gegnern ein. Ins neu errichtete Konzentrationslager im nahen Mauthausen wurden schon im August die ersten Häftlinge verschleppt.

Nach Kriegsende stand die Frage nach der Mitverantwortung der Österreicher am NS-Regime im Raum. Waren die Menschen in der Alpenrepublik Täter oder Opfer? Jahrzehntelang flüchtete das Land trotz seiner vielen NSDAP-Mitglieder und der Rolle gebürtiger Österreicher im NS-Terrorapparat in die These, es sei das erste Opfer der Aggression des Diktators gewesen. «Die Opferthese war die Absolution per se. Da lauert der historische Selbstbetrug. Die Opferthese wirkte wie ein Schlussstrich, der Beteiligte und Parteien von jeder Schuld freisprach», so Rathkolb.

Aus seiner Sicht hat der aggressive Akt von damals eine grosse Bedeutung für heute. Demokratie müsse wehrhaft und damit auch militärisch gerüstet sein.

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