Pfui Spinne Arachnophobie – warum kleine Tiere so grosse Angst machen

DPA/tafi

2.11.2019

Etliche Menschen sind von übergrosser Angst vor Spinnen betroffen – mit erheblichen Folgen für den Alltag. (Symbolbild)
Etliche Menschen sind von übergrosser Angst vor Spinnen betroffen – mit erheblichen Folgen für den Alltag. (Symbolbild)
AP Photo/Centralia Sentinel, Bryan Hunt

Sie knurren nicht, sie fletschen nicht die Zähne und springen einen nicht an – doch vergleichsweise kleine und unscheinbare Spinnen können bei etlichen Menschen wahre Angstattacken auslösen. Die Folgen für ihren Alltag sind erheblich.

Zurzeit kommt so mancher Spinnenphobiker aus dem Gruseln kaum mehr heraus: Überall hängen und sitzen Achtbeiner aus Plüsch oder Plastik noch als Überbleibsel der Halloween-Dekoration herum. «Etwa zehn Prozent der Bevölkerung leiden mindestens einmal im Leben unter einer Tierphobie, aber die Menschen mit Spinnenphobie bilden die weitaus grösste Gruppe», sagt Angstforscher Georg Alpers von der Universität Mannheim im deutschen Bundesland Baden-Württemberg.

Abscheu und Furcht vor den Achtbeinern gehen so weit, dass das Leben im Alltag beeinträchtigt wird. Diesen Zustand nennen Wissenschaftler Spinnenphobie. «Manche Betroffene trauen sich nicht alleine in den Keller, wollen das Auto nicht aus der Garage holen – aus Angst, einer Spinne zu begegnen», erläutert Alpers.

Enormer Leidensdruck

Spinnenphobiker untersuchen vorm Schlafengehen etliche Male ihr Bett, meiden Spaziergänge im Wald oder weigern sich, sich auf eine Wiese zu setzen – alles, um unliebsamen Begegnungen mit den Tierchen zu entgehen. «Da entsteht enormer Leidensdruck», sagt Psychologe Alpers. Angehörige sollten sich vor Sätzen wie «Jetzt reiss dich doch zusammen» hüten: «Die Betroffenen wissen selbst, dass ihr Verhalten nicht angemessen ist.» Trost und Unterstützung seien hilfreicher.



Mögliche Ursachen der krankhaften Angst gibt es mehrere. Menschen, die generell nervöser und leichter irritierbar sind oder die unter psychischer oder sozialer Belastung stehen, sind häufiger betroffen. Ausserdem übernehmen Alpers zufolge viele Kinder Angststörungen von ihren Eltern. Eigene erschreckende Erfahrungen mit Spinnen oder die anderer Menschen könnten ebenfalls eine Phobie auslösen.

Nur wenige Spinnenarten sind für Menschen gefährlich

Peter Jäger, Spinnenkundler vom Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt, sieht auch in der herkömmlichen Gruseldarstellung von Spinnen eine Ursache. «Durch Horrorfilme wie ‹Tarantula› und ‹Arachnophobia› und die immer weitere Entfernung von der Natur können Ängste bei Individuen gesteigert werden.» Dabei seien Spinnen «superwichtig», jagten sie doch Mücken, Asseln, Silberfischchen und Mehlmotten, die niemand gerne im Haus habe.



Der Arachnologe beziffert die Zahl bekannter Spinnenarten weltweit auf 48'000, von denen nur 20 bis 40 für Menschen so giftig seien, dass ein Biss starke Symptome hervorruft und im Extremfall tödliche Folgen haben kann. Von den rund 1000 Spinnenarten etwa in Deutschland sei nur der Ammen-Dornfinger giftig – «aber nicht wirklich gefährlich». 

Für Spinnenphobiker können selbst die als Halloween-Dekoration derzeit noch überall hängenden Plastik- und Plüschspinnen ein Graus sein.
Für Spinnenphobiker können selbst die als Halloween-Dekoration derzeit noch überall hängenden Plastik- und Plüschspinnen ein Graus sein.
Hauke-Christian Dittrich/dpa

Frauen haben häufiger Angst vor Spinnen

Frauen sind doppelt so häufig von Angststörungen jeglicher Art – also auch von pathologischer Spinnenangst – betroffen. «Und das ganz stabil in allen Kulturkreisen, die wir kennen», erläutert Alpers. Die Frage, warum das so ist, ist noch nicht gänzlich beantwortet. Alpers nennt genetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie unterschiedliche Lernerfahrungen. «Wenn Mädchen ihre Angst ausdrücken, wird das eher akzeptiert als bei Jungen, die angehalten werden, mutig zu sein.»



Spinnenphobiker entwickeln beim Anblick der Tiere Symptome wie ein 100-Meter-Läufer kurz vorm Start: Schweiss, Herzklopfen und Anspannung aller Sinne. Alpers erklärt: «Der Phobiker rechnet damit, sich jeden Augenblick verteidigen oder fliehen zu müssen, und bereitet sich automatisch darauf vor.» Das seien normale Reaktionen, doch beim Phobiker ohne realen Grund. «Diese Diskrepanz zwischen realer und wahrgenommener Bedrohung ist für die Betroffenen sehr unangenehm.»

Arachnophobie ist therapierbar

Die Wahrnehmung der Spinnenphobiker unterscheidet sich stark von der anderer Menschen: Sie berichten, überall Spinnen zu sehen, an sie zu denken, von ihnen zu träumen. Mit einem Experiment wiesen Alpers und sein Doktorand Ulrich Müller nach, dass die visuelle Wahrnehmung spinnenängstlicher Probanden tatsächlich eine andere ist.

Diese grundlegende Erkenntnis helfe beim Verständnis der pathologischen Angst und der ihr zugrundeliegenden Wahrnehmungsprozesse, die in der Regel gut therapierbar seien. Zwölf Sitzungen beim Psychologen mit verhaltenstherapeutischer Zusatzausbildung könnten schon helfen. Von Beruhigungsmedikamenten rät der Leiter einer psychologischen Ambulanz ab.

Verhaltensforscher Müller will das Experiment nun vor und nach einer einmaligen Therapie einsetzen, um herauszufinden, ob sich danach Erfolge zeigen. Dabei soll nach Absprache mit dem jeweiligen Patienten auch ein für viele besonders gruselig wirkendes Gruseltier zum Einsatz kommen: eine Vogelspinne.

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