Wie entwickeln sich Pandemien und mit welchen Massnahmen lässt sich deren Verbreitung bremsen? Epidemiologische Modelle geben Antworten. Ob diese auch tatsächlich stimmen, will eine Evolutionsbiologin mit ungewöhnlichen Probanden überprüfen: sechsbeinigen Krabblern.
Mit einer kleinen Petrischale läuft die Evolutionsbiologin Yuko Ulrich in einen schwül-heissen Raum. Es herrschen 27 Grad Celsius und etwa sechzig Prozent Luftfeuchtigkeit. In der Schale tummeln sich sieben winzige Ameisen, bemalt mit blauen, pinken, grünen und orangenen Pünktchen. «Ihre Heimat sind die Tropen, sie brauchen diese Bedingungen», erklärt die 37-jährige Assistenzprofessorin von der ETH Zürich.
Sie steckt die Petrischalen-Kolonie in eine Beobachtungsbox, wo Kameras die Farbtupfer und die Position jeder Ameise mehrere Male pro Sekunde aufzeichnen, stundenlang. Mithilfe der hunderttausenden Datenpunkte und Hochleistungscomputern lassen sich Bewegungsprofile erstellen und das soziale Netzwerk der Kolonie vermessen.
Damit bildet die Ameisengemeinschaft ein ideales Modellsystem – eine Art Miniaturgesellschaft -, in der Ulrich untersuchen will, wie sich infektiöse Krankheiten ausbreiten und um die Aussagen von epidemiologischen Modellen zu überprüfen.
Quarantäne bei Ameisen
Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie berufen sich Fachleute auf epidemiologische Modelle, um abzuschätzen, wie eine Krankheitswelle durch die Bevölkerung fegt und welche Massnahmen bei der Eindämmung helfen könnten. Aber wie lässt sich kontrollieren, ob die Modelle verlässliche Daten ausspucken?
Ein Puzzlestück könnte das Forschungsobjekt von Yuko Ulrich sein, die sogenannte Clonal Raider Ant. Diese blinde Ameisenart kennt anders als Waldameisen keine Königin. Vielmehr übernimmt jede Ameise im Laufe ihres Lebens verschiedene Arbeiten: Die Jungen kümmern sich um die Larven im Nest, die Alten entsorgen Abfälle und suchen nach Futter.
Farbiger Look für tausende Ameisen
Um die Ameisen zu bemalen, greift Yuko Ulrich mit einer Pinzette eine der winzigen Krabbler aus einer Tupperdose und klemmt sie unter einen Nylonfaden, damit das Tierchen sich nicht mehr bewegen kann. Das Päckchen legt sie unters Mikroskop und bemalt mit ruhiger Hand den Rücken der Ameise mit zwei blauen Pünktchen. Tausenden Ameisen habe sie diesen farbigen Look – blaue, grüne, pinke, orange Tupfer – bereits verpasst, sagt sie.
So fand das Team um die junge Forscherin heraus, wie sich Kolonien schaffen lassen, die beispielsweise kleine untereinander agierende Gruppen bilden oder solche, die mit allen Artgenossen einer Kolonie in Berührung kommen.
Fluoreszierende Erreger
In einem nächsten Schritt wird Ulrich die Ameisen infizieren. Zum einen überträgt sie Pilzsporen auf die Tiere, zum anderen experimentiert sie mit Nematoden, die sich im Kopf von Ameisen einnisten.
Noch befindet sich dieser Teil des Projekts in der Experimentierphase: Die Evolutionsbiologin tüftelt beispielsweise daran, ob sich die Nematoden mit fluoreszierenden Substanzen sichtbar machen lassen, um deren Übertragung zu verfolgen.
Sie plant neben ihren eigenen Experimenten verschiedene Projekte mit theoretischen Epidemiologen. Zusammengenommen könnten die beiden Forschungsrichtungen neue Erkenntnisse liefern, wie sich Krankheitserreger eindämmen lassen.
Aber lassen sich Ameisenkolonien mit menschlichen Gemeinschaften vergleichen? Nicht direkt, sagt Ulrich. «Aber da Ameisen ebenso wie Menschen von Natur aus sehr sozial sind, können sie uns helfen, allgemeine Eigenschaften von sozialen Gruppen zu identifizieren, die uns vor Krankheiten schützen können.»
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