Mobilität in der PandemieFlugzeuge und Züge sind wohl keine Virenschleudern
uri
14.9.2020
Aus Angst vor dem Coronavirus dürften viele Menschen Reisen im Zug oder Flugzeug meiden. Neue Studien zeigen aber, dass das Ansteckungsrisiko hier nicht besonders hoch ist – vorausgesetzt, man verhält sich richtig.
Wer eine längere Reise im Bus oder im Flugzeug unternehmen muss, dem wird bei der Aussicht, mit vielen Unbekannten über Stunden auf engem Raum zusammenzusitzen, womöglich etwas unwohl. Diese Sorge könnte jedoch unbegründet sein. So kommt eine bislang noch nicht abgeschlossene Studie der Charité Research Organisation GmbH zum Schluss, «dass die Züge keine Infektionshotspots sind».
Die Wissenschaftler der Tochtergesellschaft des Berliner Univärsitätsspitals hatten bei ihrer Untersuchung zwar nicht das Ziel, «das Infektionsrisiko in öffentlichen Transportmitteln zu bestimmen», wie sie betonen. Sie konnten dennoch anhand von Tests von 1'072 Mitarbeitern der Deutschen Bahn von Ende Juni und Anfang Juli aufzeigen, dass die Zugbegleiter an Bord lediglich zu 1,3 Prozent Antikörper gegen das Virus SARS-CoV.2 im Blut hatten. Bei den Vergleichsgruppen der Bahnmitarbeiter ohne Kundenkontakt wurden Antikörper hingegen bei rund doppelt so vielen nachgewiesen.
Zugbegleiter weisen selten Antikörper auf
Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn, Berthold Huber, schloss aus diesem Ergebnis, «dass Bahnfahren sicher ist», wie der «Spiegel» schreibt. Huber meinte demnach, neben der Maskenpflicht in den Zügen würden auch die Klimaanlagen gegen eine Ansteckung wirken, denn durch sie werde die Luft in den Waggons alle sieben Minuten ausgetauscht.
Ob man das Zugfahren so pauschal für sicher erklären kann, sei dahingestellt. Für die Forscher der Charité ist das Ergebnis in jedem Fall ein Hinweis darauf, dass die Züge keine Virenschleudern sind. Schliesslich müsste das Zugbegleitpersonal sonst stärker als der Bevölkerungsdurchschnitt Antikörper gegen das neue Coronavirus aufweisen. Auch stehe ihr Ergebnis, so die Wissenschaftler, «im Einklang mit Beobachtungen der Gesundheitsinstitute und anderer Studien, die weltweit eine geringe Anzahl an Infektionen in Zügen berichten.»
Zu ähnlich beruhigenden Ergebnissen kommen auch verschiedene Studien zum Flugverkehr. Wie der Sender CNN berichtet, kam es bislang lediglich auf einem Flug von Grossbritannien nach Vietnam am 2. März nachweislich zu einer Ansteckung von 14 Passagieren durch einen Infizierten an Bord.
Für eine Infektion an Bord muss einiges schiefgehen
Auch würden die Übertragungsraten in Flugzeugen in verschiedenen Studien bislang als sehr niedrig eingeschätzt, so der Sender. Eine Erklärung dafür sei unter anderem, dass die Luft in modernen Flugzeugkabinen alle zwei bis drei Minuten durch neue Frischluft ersetzt werde und die meisten Maschinen mit Luftfiltern ausgestattet seien, die 99,99 Prozent der Partikel in der Kabinenluft einfingen.
Maskentragepflicht, Temperaturmessung von Passagieren, intensivere Kabinenreinigung und eine eingeschränkte Bewegung an Bord seien weitere Massnahmen, um das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten.
Arnold Barnett, Professor für Statistik an der Sloan School of Management des renommierten Massachusetts Institute of Technology, untersuchte denn auch anhand aktueller Daten das Risiko einer Coronainfektion an Bord eines US-amerikanischen Kurzstreckenflugs.
Der Statistiker meint zwar, dass derzeit vieles und darunter auch das Fliegen «gefährlicher ist also noch vor Corona». Allerdings liege das Risiko, sich an Bord eines Flugzeugs mit dem Virus anzustecken, nach seinen Berechnungen bei einem zweistündigen und vollbesetzten Inlandsflug in den USA – immerhin das Land mit den derzeit meisten Infektionen – lediglich bei 1:4'300.
Generell, so der Statistiker, müssten in einem Flugzeug wohl drei Dinge schieflaufen, damit man sich anstecke: Erstens müsse sich eine infizierte Person an Bord befinden, die zu diesem Zeitpunkt auch infektiös sei. Zweitens müssten die Masken als Schutz versagen. Und drittens müsse man auch noch nahe an der infizierten Person sitzen.
Der Sitzplatz macht einen kleinen Unterschied
Natürlich, so Barnett, könne man das Infektionsrisiko in einem Flugzeug nicht pauschal erfassen. Bei einem Langstreckenflug steige es logischerweise an und andererseits werde es kleiner, wenn man in einer Weltregion mit weniger Fallzahlen unterwegs sei.
Geringe Unterschiede in Sachen Infektionsrisiko gebe es hinsichtlich des Sitzplatzes bei einem vollbesetzten Flug, so der Experte. Das geringste Ansteckungsrisiko bestehe an einem Fensterplatz, höher sei es auf dem Mittelplatz und vor allem am Gang, weil einem hier mehr Menschen nahe kämen. Gefährdet sei man an Bord vor allem durch die Sitznachbarn in der gleichen Reihe – und etwas weniger durch jene hinter und vor einem.
Einen evidenten Unterschied beim Infektionsrisiko dürfte laut Barnett hingegen machen, ob die Fluglinien es sich leisten können und wollen, den Mittelsitz freizuhalten. In diesem Fall liege das Ansteckungsrisiko bei einem vollbesetzten zweistündigen Flug in den USA nämlich nur noch bei 1:7'700. Barnett selbst würde zusätzlich zur Nase-Mund-Maske derzeit auch ein Gesichtsschild an Bord eines Flugzeuges tragen, um das persönliche Risiko zu minimieren, wie er CNN sagte. Die Maske verringere vor allem das Risiko, dass man andere anstecke, so der Statistiker, «ein Schild schützt Sie auch selbst».
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