«King Tides» Fotos von extremen Springfluten zeigen Gefahren des Klimawandels

AP

7.2.2020

Durch den Anstieg des Meeresspiegels kommt es deutlich öfter zu Hochwasser und Überschwemmungen — womöglich die Vorboten einer Entwicklung.
Durch den Anstieg des Meeresspiegels kommt es deutlich öfter zu Hochwasser und Überschwemmungen — womöglich die Vorboten einer Entwicklung.
Bild: Gillian Flaccus/AP/dpa

Die Tide kommt und geht. Das war schon immer so. Auch dass der Pegel zu bestimmten Zeiten etwas höher ausfällt, ist nichts Neues. Doch durch den Anstieg des Meeresspiegels kommt es dabei deutlich öfter zu Überschwemmungen — womöglich die Vorboten einer Entwicklung.

Touristen, Naturfreunde und Amateurforscher liegen mit ihren Kameras auf der Lauer. Sie wollen dokumentieren, was an vielen Küsten immer mehr zum Problem wird: Wenn die Gravitationskräfte der Himmelskörper eine Springflut erwarten lassen, steigt das Wasser oft stärker als noch vor wenigen Jahren. Die Fotos der Freiwilligen machen das Phänomen nicht nur «sichtbarer». Sie könnten auch dabei helfen, bessere Vorhersagen zu treffen.

Ob in Australien und Neuseeland oder in den USA - Küstenbewohner beobachten mit Sorge die zunehmende Zerstörungskraft des regelmässig wiederkehrenden Springhochwassers, das im englischsprachigen Raum auch als «King Tide» bekannt ist. Die Hobby-Fotografen stellen ihre Bilder ins Internet, oft in Kombination mit Geodaten. Dies veranschaulicht Auswirkungen an einzelnen Orten und ermöglicht zugleich eine Übersicht.

Forscher nutzen Bilder-Plattformen für Studien

Die Bilder-Plattformen sind gefragt. Wissenschaftler nutzen sie für Studien. Politiker, die auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam machen möchten, erhalten Informationen zu handfesten Beispielen. Stadtplaner können abschätzen, welche Risiken für eine Region bestehen und welche Schutzmassnahmen erforderlich sind — durch die Vielzahl von Fotos wird deutlich, wo etwa Strassen besonders oft unter Wasser stehen oder wo ein künftiges Baugebiet besser nicht allzu nah an eine Steilküste heranreichen sollte.

«Die «King Tides» geben uns einen Ausblick darauf, wo das Wasser etwa 2050 stehen wird», sagt Skip Stile, Leiter der Organisation Wetlands Watch, mit deren Hilfe in Norfolk im US-Staat Virginia 700 Freiwillige gefunden wurden, die im Jahr 2017 erstmals die Folgen des Phänomens vor Ort dokumentierten. Den bisherigen Erfahrungen nach übersteige der Pegel die normalen Wasserstände um ein bis anderthalb Fuss (30 bis 46 Zentimeter). Inzwischen hat die Organisation eine eigene App, die per «Crowdsourcing» Bilder und Daten zu aktuellen Springfluten zusammenstellt.

Kinder spielen auf einem vom Meerwasser überflutetem Platz in Funafuti, der Hauptstadt des pazifischen Inselstaats Tuvalu.
Kinder spielen auf einem vom Meerwasser überflutetem Platz in Funafuti, der Hauptstadt des pazifischen Inselstaats Tuvalu.
Bild: Kyodo/epa/dpa (Archivbild)

Das erste «King Tide»-Projekt, das wesentlich auf eine Beteiligung der Öffentlichkeit setzte, startete 2009 in Australien. Mittlerweile wird auch in mehr als einem Dutzend US-Staaten sowie unter anderem in Kanada, Neuseeland und Mauritius nach diesem Schema verfahren. «Wir stellen fest, dass es einen echten Hunger nach diesen Daten gibt», sagt Stile. Viele Regionen versuchten, sich für den Anstieg des Meeresspiegels zu rüsten, und riefen deswegen bei ihm an.

Die «King Tides» treten zweimal im Jahr an vielen Küsten weltweit auf, wenn Sonne und Mond so ausgerichtet sind, dass die normalen Gezeiten verstärkt werden. Welche Folgen dies haben kann, zeigte sich im Januar im US-Staat Oregon. Durch Kombination mit einem Wintersturm erreichten die Wellen an der dortigen Pazifikküste ungewohnte Höhen von bis zu sechs Metern. Ein Mann und seine beiden Kinder wurden an einem Strand ins Meer hinausgezogen. Die Frau, die den Notruf wählte, hatte die Wellen für das Oregon King Tides Project fotografiert. Die Kinder im Alter von vier und sieben Jahren konnten nicht gerettet werden.

Die bisher nur bei «King Tides» auftretenden Überschwemmungen zeigten, was vielen Küstengebieten durch den Anstieg des Meeresspiegels bevorstehe, sagt Peter Ruggiero vom Oregon Climate Change Research Institute. Modellrechnungen liessen darauf schliessen, dass der Anstieg in dem Staat an der US-Westküste zwischen einem Fuss (30 Zentimeter) und sechs Fuss (1,8 Meter) liegen werde.

Einige der Projekte zum Thema, wie das in Oregon, werden von gemeinnützigen Organisationen getragen. Andere werden in Zusammenarbeit mit regionalen Behörden betrieben. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen ein Bewusstsein für das Problem schaffen und zugleich möglichst detaillierte Daten dazu liefern, wie der Klimawandel den Alltag vieler Menschen betreffen könnte.

Lokale Aspekte statt Eisbären

«Die Debatten zum Klimawandel drehten sich bisher oft um das, was weit entfernt passiert, und nicht um das, was die Menschen hautnah erleben werden», sagt Marina Psaros, die das California King Tides Project mitentwickelt hat. «Wir wollten mit unserem Projekt dazu beitragen, dass die Leute beim Klimawandel nicht nur an Eisbären denken, sondern mehr an lokale Aspekte.»

Auch in Georgia an der US-Ostküste kommt es verstärkt zu Überschwemmungen - dort und in anderen südlichen Staaten ist das Phänomen als «sunny day flooding» bekannt. Im Bezirk Chatham, in dem sich die tiefliegende Hafenstadt Savannah befindet, werden Dutzende Sensoren genutzt, um den Verlauf der Gezeiten zu messen und dies bei der künftigen Stadtplanung zu berücksichtigen. Ergänzend setzen die Behörden auch hier nun auf Hochwasser-Fotos aus der Bevölkerung. In der Summe ergebe sich eine gute Grundlage für bessere Budget-Entscheidungen, sagt Nick Deffley, der in der Stadtverwaltung von Savannah für das Thema Nachhaltigkeit zuständig ist.

In der neuseeländischen Metropole Auckland nutzten die Behörden Bürgerfotos von überfluteten Strassen und Parks, als ein Plan zur Verstärkung des Küstenschutzes erstellt wurde. Im vergangenen Jahr seien zudem Messgeräte installiert worden, die von Amateurforschern überwacht würden, sagt Ben Sheeran, Gründer des New Zealand King Tide Project.

Ein besonders guter Überblick ergibt sich bei Überschwemmungen oft aus der Luft. In Oregon steuerten zwei Freiwillige zuletzt auch Aufnahmen aus dieser Perspektive bei. Zu sehen waren im Wasser versunkene Farmen und Autobahnauffahrten sowie salzwassergetränktes Agrarland. «Das auf einer so grossen Fläche zu sehen, hat mir wirklich die Augen geöffnet», sagt Rena Olson, die gemeinsam mit Alex Derr fotografierte. «So etwas ist eindrucksvoll.»


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