Doppelmutante Indische Coronavirus-Variante ist in Europa angekommen

uri

16.4.2021

Covid-19-Patienten liegen am 13. April 2021 in einem Spital in Neu-Delhi: Indien hat seit Januar eine eigene Virus-Variante – und verzeichnet derzeit einen extremen Anstieg bei den Corona-Fällen. 
Covid-19-Patienten liegen am 13. April 2021 in einem Spital in Neu-Delhi: Indien hat seit Januar eine eigene Virus-Variante – und verzeichnet derzeit einen extremen Anstieg bei den Corona-Fällen. 
Bild: Keystone

In Indien explodieren die Corona-Fallzahlen derzeit wie an keinem anderen Ort der Welt. Ursache ist womöglich auch eine dort auftretende Virus-Variante. In Grossbritannien ist sie bereits angekommen. Über ihre Gefährlichkeit wird noch spekuliert. 

Indien vermeldet heute einen Rekord bei den Covid-19-Fallzahlen: Das Land hat an einem Tag 217'000 Corona-Infektionen und 1185 Todesfälle im Zusammenhang mit der Seuche registriert, wie aus Zahlen des Gesundheitsministeriums hervorgeht. Zugleich wird aus mehreren Regionen berichtet, dass Betten auf Intensivstationen und medizinischer Sauerstoff knapp werden.

Ursächlich für die dramatische Entwicklung könnte neben prekären Lebensverhältnissen und einem überforderten Gesundheitssystem womöglich auch die Coronavirus-Doppelmutante B.1.617 sein, die erstmals am 19. Januar bei einer Stichprobe im indischen Bundesstaat Maharashtra nachgewiesen wurde und hier inzwischen bereits für über 60 Prozent aller neuen Covid-19-Infektionen verantwortlich gemacht wird. Laut dem «Indian Express» könnte B.1.617 auch der Grund dafür sein, dass in Neu-Delhi die Zahl der behandelnden Kinder zwischen einem und fünf Jahren deutlich zunimmt.



Wie die Zeitung berichtet, vereint die B.1.617-Variante die Mutationen E484Q und L452R, die bislang nur getrennt in Coronavirus-Varianten gefunden wurden. Die indische Variante verfüge damit sowohl über Eigenschaften der britischen Variante B.1.1.7 als auch der südafrikanischen Variante B.1.351. Sie könne damit bedeutend ansteckender sein als der Wildtyp und zudem Impfstoffe und die Immunantwort von bereits an Covid-19 Erkrankten unterlaufen.

Bereits 77 Fälle in England

Indische Spital-Ärzte berichteten der Zeitung, dass die Variante infektiöser sei und sich entsprechend schneller verbreite. Sie sei aber wohl nicht tödlicher als andere Varianten. «Die meisten Patienten sind asymptomatisch, und das ist eine gute Indikation», meinte dazu Shashank Joshi, Experte der Maharashtra Covid Task Force. Allerdings würden die vielen Fälle das Gesundheitssystem stark belasten.

Dr. Sujeet Singh, Direktor des Nationalen Zentrums für die Kontrolle von Krankheiten (NCDC), wies darauf hin, dass bislang nur sehr wenige Proben aus Maharashtra sequenziert wurden. Es sei deshalb noch zu früh, endgültige Schlussfolgerungen zur Verbreitung und anderen Eigenschaften der Doppelmutante zu ziehen.

Bekannt ist indes, dass die Variante schon in Europa angekommen ist. Der medizinische Informationsdienst der britischen Regierung Public Health England (PHE) meldete bis zum 15. April bereits 77 registrierte Fälle mit B.1.617 in England.

Beunruhigt zeigte sich darüber der Medizinprofessor Paul Hunter von der University of East Anglia. Zusammen könnten die beiden Fluchtmutationen bedeutend problematischer sein, mutmasst der Wissenschaftler im Gespräch mit dem «Guardian». Es sei möglich, dass die Variante weniger durch Impfstoffe kontrolliert werden könne als die brasilianische und die südafrikanische Variante.

Varianten könnte Impfung umgehen

Christina Pagel vom University College London meint dazu: «Wir wissen noch nicht, ob es bestehenden Impfstoffen entkommen kann, aber es hat besorgniserregende Mutationen.» Pagel empfahl Premier Boris Johnson deshalb auch via Twitter, eine Reise nach Indien abzusagen. «Es ist lächerlich, dass Indien noch nicht auf der roten Liste für Reisen steht, wie viele andere Länder auch, wenn es hier täglich zu 200'000 neuen Fällen kommt», sagte sie dem «Guardian».

Dass B.1.617 die Immunabwehr umgehen könne, sei naheliegend, vermutet auch Jörg Timm, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Düsseldorf im «Spiegel». Schliesslich seien die Mutationen im Spike-Protein von B.1.617 bereits von anderen Varianten bekannt. Er geht deshalb von vergleichbaren Effekten wie bei den Varianten aus Südafrika und Brasilien aus.

Es könne also auch bei einer Teilimmunität durch Impfung oder eine durchgemachte Covid-19-Erkrankung durchaus wieder zu einer Ansteckung kommen. «Schwere Verläufe bei bestehender Immunität oder nach Impfung sind aber wahrscheinlich eher selten», lautet die wiederum eher beruhigende Einschätzung des Virologen.

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