Revolutionäre Forschungen Träumen Tintenfische und Spinnen so wie wir? 

mmi

10.9.2023

Forscher haben herausgefunden, dass weit mehr Spezies träumen können, als bisher angenommen – wie etwa ein Tintenfisch.
Forscher haben herausgefunden, dass weit mehr Spezies träumen können, als bisher angenommen – wie etwa ein Tintenfisch.
Keystone/Zoo Basel

Tintenfische, Beuteltiere, Fliegen, Spinnen: Forscher haben herausgefunden, dass weitmehr Spezies die Fähigkeit zum Träumen haben könnten als bisher angenommen.

mmi

10.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Forscher rund um den Globus befassen sich mit der Frage, ob Tiere träumen können.
  • Bisher wurden REM-Phasen – also die Phase des Schlafs, in der der Mensch üblicherweise am meisten träumt – bei Säugetieren festgestellt.
  • Nun haben Forscher auch bei Tintenfischen, Spinnen, Zebrafischen, oder Fliegen Anzeichen für REM-Phasen gefunden.

Träumen - jede Nacht machen wir es, dennoch bleibt es diffus, schwer zu beschreiben. 

Schlägt man die Definition nach, kann man diese kurz unter «Erleben während des Schlafs» zusammenfassen. Dieser besondere Zustand des Bewusstseins galt lange Zeit nur als menschliche Fähigkeit. 

Bis jetzt.

Forscher haben herausgefunden, dass eine erstaundlich breite Palette von Spezies ebenfalls in der Lage sein könnten zu träumen.

So konnten jüngst die Verhaltensökologin Daniela Rössler und ihr Team von der Universität Konstanz in Deutschland bei Springspinnen beobachten, dass sich die Augen der schlafenden Tiere während der REM-Phase (Rapid Eye Movement) unvorhersehbar hin und her bewegen. 

Rössler und ihre Kollegen berichteten 2022 über die retinaschwenkenden Spinnen. Sie überwachten 34 Spinnen mit Kameras und stellten fest, dass die Tiere etwa alle 17 Minuten kurze REM-ähnliche Phasen hatten. Das Augenschwenkverhalten war spezifisch für diese Anfälle: Es trat nicht zu Zeiten in der Nacht auf, in denen sich die Springspinnen rührten, sich streckten, ihre Seidenfäden nachstellten oder sich mit einer Beinbürste reinigten.

REM-Phase

Menschen träumen während der REM-Phase am häufigsten und meistens am lebhaftesten. Nebst den schnellen Augenbewegungen, ist die Skelettmuskulatur vorübergehend gelähmt, der Körper zuckt zeitweise, das Gehirn wird aktiver, die Atmung und die Herzfrequenz werden schneller. Der REM-Schlaf wurde erstmals 1953 bei schlafenden Säuglingen beobachtet. Auch bei anderen Säugetieren konnte die REM-Phase festgestellt werden, wie Katzen, Mäusen, Pferden, Schafen, Opossums und Gürteltieren festgestellt.

Obwohl die Spinnen im Vorfeld dieser REM-ähnlichen Phasen bewegungslos sind, hat das Team noch nicht bewiesen, dass sie schlafen. Aber wenn sich herausstellt, dass sie es tun - und wenn das, was wie REM aussieht, tatsächlich REM ist - dann ist Träumen durchaus möglich, sagt Rössler. Sie kann sich gut vorstellen, dass Springspinnen als hochgradig visuelle Tiere von Träumen profitieren könnten, um die tagsüber aufgenommenen Informationen zu verarbeiten.

Rössler ist nicht die einzige Forscherin, die über solche Fragen bei Tieren nachdenkt, die weit von der menschlichen Spezies entfernt sind. Heute finden Wissenschaftler Anzeichen für den REM-Schlaf bei einer grösseren Anzahl von Tieren als je zuvor: bei Spinnen, Eidechsen, Tintenfischen und Zebrafischen. Die wachsende Zahl der Funde veranlasst einige Forscher zu der Frage, ob das Träumen, ein Zustand, von dem man einst annahm, dass er auf den Menschen beschränkt sei, weitaus verbreiteter ist, als bisher angenommen.

Klare Definition von REM-Phasen bei Tieren fehlt

Die Vorgänge im Gehirn während der REM-Phase sind, zumindest beim Menschen, gut charakterisiert. Hingegen bei Säugetieren sieht der REM-Schlaf nicht immer gleich aus und macht es für Wissenschaftler schwieriger, diesen zu charakterisieren. Beutelsäugetiere etwa zeigen Merkmale von REM- und Nicht-REM-Schlaf gleichzeitig. Berichte über Wale und Delfine legen nahe, dass sie möglicherweise überhaupt keinen REM-Schlaf erleben.

Vögel haben einen REM-Schlaf, der mit zuckenden Schnäbeln und Flügeln und einem Spannungsverlust in den Muskeln, die den Kopf hochhalten, einhergeht.

Und trotzdem beginnen die Forscher, ähnliche Schlafzustände in vielen Zweigen des tierischen Lebensbaums zu finden.

Im Jahr 2012 berichteten Forscher beispielsweise über einen schlafähnlichen Zustand bei Tintenfischen sowie über ein merkwürdiges, REM-ähnliches Verhalten während dieses vermeintlichen Schlafzustands: Die Tiere bewegten in regelmässigen Abständen ihre Augen schnell, zuckten mit den Armen und veränderten die Färbung ihres Körpers. Während eines Stipendiums am Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, untersuchte die Verhaltensbiologin Teresa Iglesias das Phänomen weiter und sammelte Terabytes an Videomaterial von einem halben Dutzend Tintenfischen.

Wenn Kraken und Tintenfische träumen, «dann reisst das die Mauern dessen ein, was wir über den Menschen denken, der so besonders ist», sagt Iglesias.

«Tiere können Dinge zun, die gleich aussehen»

Auch bei von Menschen weit entfernten, verwandten Spezies, konnten Forscher schlafähnliche Stadien nachweisen. Deren Anzeichen legen die Vermutung nahe, dass Tiere träumen könnte, wie etwa Baragamen (Fisch), Tauben, Mäuse, Ratten, Kraken, Tintenfische, Fliegen und Spinnen – um nur einige zu nennen.

Wenn Tintenfische, Spinnen und eine ganze Reihe anderer Tiere träumen, wirft das interessante Fragen darüber auf, was sie erleben, sagt David M. Peña-Guzmán, Philosoph an der San Francisco State University und Autor des Buches When Animals Dream: Die verborgene Welt des tierischen Bewusstseins. Da sich Träume aus der Perspektive des Betrachters entfalten, müssten träumende Tiere die Möglichkeit haben, die Welt aus ihrer Sicht zu sehen, meint er.

Doch es gibt auch Kritik. Nicht alle Wissenschaftler glauben, dass die Forscher REM sehen. Möglicherweise gehen sie einfach von der vorgefassten Meinung aus, dass alle Tiere zwei Schlafzustände haben, und interpretieren einen davon als REM, sagt Jerome Siegel, ein Neurowissenschaftler, der an der UCLA Schlafstudien betreibt. Einige dieser Tiere - wie z. B. die Spinnen - schlafen vielleicht gar nicht, argumentiert er. «Tiere können Dinge tun, die gleich aussehen, aber die Physiologie ist nicht unbedingt die gleiche», sagt er.