PaläogenetikMilch verlieh Steppennomaden Energie für kräftezehrende Wanderungen
stsc, sda
15.9.2021 - 17:00
Die Wanderungen der Jamnaja-Kultur in Richtung Osten fielen mit dem Beginn des Milchkonsums zusammen. Der proteinreiche Durstlöscher dürfte den Steppennomaden die tausende Kilometer langen Märsche durch karge Landschaften ermöglicht haben, vermuten Forschende.
Keystone-SDA, stsc, sda
15.09.2021, 17:00
SDA
Vor rund 5000 Jahren löste ein aus der pontisch-kaspischen Steppe kommendes Volk weitreichende Veränderungen im bronzezeitlichen Norden Eurasiens aus. Die Fachwelt rätselt, wie es der nomadisch lebenden Jamnaja-Kultur gelang, die karge Landschaft der eurasischen Steppe gen Osten zu überwinden. Man vermutete, dass Reiten, der Transport mit grossen Wagen und die auf Fleisch und Milch basierende Ernährung diese Wanderungen ermöglicht haben könnten. Doch konkrete Hinweise fehlten bisher.
Nun wiesen die Forschenden um Shevan Wilkin von der Universität Zürich und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena einen bedeutenden Wandel in der Milchwirtschaft zu Beginn der Bronzezeit vor 5000 Jahren nach. Davon berichten sie im Fachmagazin «Nature».
Eine «Kulturrevolution»
Das internationale Team untersuchte in Zahnstein konservierte Proteine von 56 Individuen, die vor rund 7000 bis 4000 Jahren in der eurasischen Steppe lebten. Demnach wiesen mehr als 90 Prozent der Untersuchten, die kurz vor Beginn der Bronzezeit lebten, keinerlei Anzeichen für den Konsum von Milchprodukten auf. Anders die frühbronzezeitlichen Menschen, die zur Jamnaja-Kultur zählen: 94 Prozent seien eindeutig Milchtrinker gewesen, so die Forschenden.
Von einer Art Kulturrevolution spricht die Forscherin Wilkin. Zu diesem tiefgreifenden Wandel der Ernährungsgewohnheiten in der Jamnaja-Kultur dürfte ihr anatolisches Erbe beigetragen haben. Denn: «Im Erbgut der Menschen der Jamnaja-Kultur finden wir 10 bis 18 Prozent DNA, die von diesem Volk stammt», sagte sie im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Tatsächlich wird die früheste Form der Milchwirtschaft den anatolischen Hirtenvölkern zugeschrieben.
Die Forschenden vermuten, dass Milchprodukte eine bedeutende Quelle für Flüssigkeit, Proteine und andere Nährstoffe darstellten. Dies könnte den wandernden Jamnaja geholfen haben, in der trockenen und rauen Steppenlandschaft zu überleben.
Milch von Kühen, Schafen, Ziegen und Pferden
Auch liess sich anhand der Proteinanalysen ermitteln, welche Art von Milch die Menschen damals tranken. Demnach handelte es sich meistens um Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch. Aber auch um Milch von Pferden, was Wilkin zufolge eine «schockierende» Erkenntnis war. Denn bisher sei der Ursprung des Trinkens von Stutenmilch und die Domestikation von Pferden in der 3500 Jahre alten Stätte von Botai im Norden von Kasachstan vermutet worden. Dafür fanden die Forschenden jedoch keine Hinweise in zumindest zwei Zahnsteinproben.
Eine Hypothese der Forscherin Wilkin lautet, dass die im Nordkaukasus lebenden Menschen die Tradition in die Jamnaja-Kultur brachten. Das müsse aber noch detailliert untersucht werden. Allerdings: Das Stutenmilch-Trinken etablierte sich in der Jamnaja-Kultur nicht, sondern verschwand wieder und flammte erst rund 1500 Jahre später wieder auf.
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