Todesfalle Nordsee Niederländer stoppen Windräder zum Schutz von Zugvögeln

sda/afp/tgab

16.5.2023 - 14:36

Nicht alle Zugvögel weichen Offshore-Windanlagen aus. Das kann fatal enden, da sie oft in Höhe der Rotorblätter fliegen.
Nicht alle Zugvögel weichen Offshore-Windanlagen aus. Das kann fatal enden, da sie oft in Höhe der Rotorblätter fliegen.
Ashley Cooper/IMAGO/Nature Picture Library

Zweimal im Jahr überqueren Millionen Zugvögel die Nordsee. Zu deren Schutz haben die Niederlande erstmals Windräder in ihren Windparks vor der Küste gestoppt – eine internationale Premiere.

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  • Zum Schutz der Zugvögel haben die Niederlande am vergangenen Wochenende die Windräder in der Nordsee gedrosselt.
  • Damit beginnt eine Pilotphase, bevor die Massnahme regelmässig zu den Zugzeiten der Vögel im Herbst und Frühling aktiviert werden soll.
  • Das funktioniert nur, weil Experten den Durchzug der Vögel zwei Tage im Voraus vorhersagen können, was dem Netzbetreiber Zeit gibt, die Stabilität des Hochspannungsnetzes zu gewährleisten.

Im Frühjahr und im Herbst ziehen in manchen Nächten Millionen von Vögeln über die Nord- und Ostsee. Wegen der zunehmenden Zahl von Windparks dort steigt die Gefahr von tödlichen Kollisionen mit den Rotorblättern. Denn nicht alle Zugvögel weichen den Windrädern aus, haben Forscher der Christian-Albrecht-Universität Kiel in einer internationalen Studie herausgefunden. Und: Rund 90 Prozent der Tiere fliegen in Höhe der Windräder.

Landwirtschaft dezimiert Vogelbestände in Europa
01.05.2023, Baden-Württemberg, Riedlingen: Ein Landwirt bearbeitet sein Feld, während zahlreiche Störche, Tauben und Krähen auf dem Feld nach Nahrung suchen. Foto: Thomas Warnack/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Thomas Warnack)
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Die Zahl der Vögel in Europa ist in den letzten 40 Jahren um rund ein Viertel zurückgegangen. Hauptursache ist laut einer Studie die intensive Landwirtschaft. Demnach reduzieren Pestizide und Düngemittel Vogelnahrung wie Insekten und Würmer. Auch in der Schweiz besteht Handlungsbedarf. So könnten etwa Buntbrachen – Streifen mit einheimischen Wildkräutern im Ackerland – vielen Brutvögeln neue Chancen bieten.

Zum Schutz der Zugvögel haben die Niederlande am vergangenen Wochenende die Windräder in der Nordsee gedrosselt. Wegen des erwarteten Durchzugs von Millionen Zugvögeln am Samstag hörten die Windräder in den Windparks Borssele und Egmond aan Zee vier Stunden lang praktisch auf sich zu drehen. «Das ist eine Weltpremiere», stellt der niederländische Energieminister Rob Jetten fest.

Mit dem erstmaligen Stopp der Windräder beginnt eine Pilotphase, bevor die Massnahme ab Herbst zu den Zugzeiten der Vogelschwärme regelmässig stattfinden soll. Dann müssen die Betreiber der Windparks die Rotorblätter auf maximal zwei Umdrehungen pro Minute drosseln. Diese sehr langsame Geschwindigkeit sei «für uns und die Vögel» fast wie ein völliger Stillstand, erklärte Pieter ten Bruggencate, Sprecher des Wirtschafts- und Klimaministeriums der Niederlande.

Zugvögel mit GPS-Sendern getrackt

Für die internationale Zugvogel-Studie fingen die Forscher aus Kiel 143 Brachvögel, 30 Ringelgänse und 87 Nonnengänse ein und versahen sie mit kleinen Sendern. Sechs Jahre lang lieferten die GPS-Geräte Bewegungsdaten, wie Studienleiter Philipp Schwemmer am Dienstag auf dem Meeresumwelt-Symposium des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg berichtete.

Die Aufzeichnungen ergaben, dass nur etwa 70 Prozent der Brachvögel vor den Turbinen aufstiegen oder ihren Kurs änderten und so den Anlagen auswichen. Bei den Meeresgänsen zeigten die Daten einen klar definierten Zugkorridor zwischen der deutschen Ostsee, Südschweden und dem Finnischen Meerbusen, den die Tiere an nur wenigen Tagen im Jahr auf ihrem Weg nach Nordsibirien nutzen. Ob Meeresgänse den Windparks ausweichen, ist noch unklar.

«Man kann von einer Gefährdung ausgehen»

Der Flug kleinerer Vögel über die Meere kann mit der GPS-Trackingmethode hingegen nicht so leicht verfolgt werden, weil die Sender für sie meist zu schwer sind. Auch Beobachtungen sind schwierig, weil zwei Drittel aller ziehenden Vogelarten nachts die Meere überfliegen.

Niederländische Forscher haben nun eine Methode entwickelt, kleine Vögel und Insekten auf Radarkarten sichtbar zu machen. Die Wissenschaftler können darauf zwar nicht die Art der Vögel erkennen, aber feststellen, wie viele Tiere sich wie schnell in welche Richtung bewegen. Wie viele Vögel dabei mit Windrädern kollidieren, konnten die Forscher nicht sagen. Klar sei aber, dass die Vögel bei schlechtem Wetter niedriger flögen und von Licht angezogen werden. «Da kann man von einer Gefährdung ausgehen», sagt Biologe Ommo Hüppop, der mehr als 20 Jahre lang die Vogelwarte auf Helgoland leitete.

Grundlage für diese Art Vogelschutz ist ein Vorhersagemodell, das ein Doktorand der Universität Amsterdam Ende 2022 vorgelegt hatte. Anhand von Wetterdaten und Daten von Vogelradaren in der Nordsee prognostizieren Zugvogel-Experten die Wahrscheinlichkeit einer grossen Vogelwanderung zwei Tage im Voraus. Das gibt dem Netzbetreiber Zeit, die Stabilität des Hochspannungsnetzes zu gewährleisten und die Abschaltung der Turbinen einzuleiten.

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