BND in BerlinOperation Nachtsprung – Der Umzug der deutschen Spione
DPA/phi
9.12.2018
Deutschlands Agenten haben ein neues Hauptquartier, das 1,2 Millarden Franken kostet: Der Umzug nach Berlin ist der grössten in der Geschichte des Landes – und einer der geheimsten.
Die weisse Präsidenten-Villa auf dem riesigen Gelände der früheren Zentrale des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) im Münchner Vorort Pullach wirkt verlassen. Bruno Kahl nutzt sein Büro im ersten Stock nicht mehr. Der Präsident der Schlapphüte ist schon im Sommer endgültig ins neue Hauptquartier im Zentrum Berlins gezogen.
Bis Ende November sind 4'000 der rund 6'500 Geheimen in den hochmodernen Bau gewechselt. Der Umzug des Auslandsgeheimdienstes hat ein Jahr gedauert, jetzt ist er so gut wie abgeschlossen. Die meisten Agenten kamen aus Pullach, viele auch aus anderen Standorten. Es ist einer der grössten Umzüge in der Geschichte der Bundesrepublik. Und auch wenn die Verlegung des Geheimdienstes lange bekannt war: Es dürfte einer der geheimsten im Lande sein.
NS-Regime und Kalten Krieg hinter sich lassen
Für den BND bedeutet der Wechsel auch einen Weg weg von vergangenen Nazi-Zeiten und der düsteren Umgebung des Kalten Krieges mit klaren Bedrohungsszenarien zwischen Ost und West. Die Arbeit in Pullach war jahrzehntelang so abgeschirmt, dass viele Aussenstehende der Legende glaubten, hinter den Mauern liege eine Irrenanstalt. Selbst ihren Kindern durften die Spione nicht verraten, für wen sie arbeiten.
Gut 70 Jahre hatte der BND-Präsident in Pullach residiert. Das alte Chefbüro liegt im Schlafzimmer jener Villa, die der Hitler-Vertraute und NSDAP-Leiter Martin Bormann (1900-1945) für sich und seine Familie gebaut hatte. Deren Musikzimmer diente lange als BND-Besprechungsraum.
An der mit Holz vertäfelten Wand hängt ein Porträt Friedrichs des Grossen –auch den weltmännischen Preussenkönig hatte Hitler für sich vereinnahmt. Mit israelischen Geheimdienstlern soll hier schon verhandelt worden sein, auch afghanische Taliban seien bereits da gewesen, heisst es. Bestätigt werden solche Details freilich nicht.
«Es darf nix flöten gehen»
Ein paar hundert Meter entfernt von der Präsidentenvilla tragen zehn Packer einer Speditionsfirma an diesem Freitagmorgen Kisten und Container aus den Bürogebäuden. Es ist noch dunkel, als der BND-Umzugsmanager die Sicherheitsphilosophie erklärt: «Es darf nix flöten gehen.»
Der Referatsleiter ist für den Gesamtumzug zuständig. Er wirkt wie der Projektmanager eines normalen Grossunternehmens. Mit einer Besonderheit: Er ist Spezialist fürs Geheime. «Wir haben unseren Job gut gemacht, wenn keiner ihn mitkriegt. Ein Umzug, der langweilig ist, ist der beste», sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht in den Medien lesen will.
Nichts darf den Transport der Akten und Spezialapparate gefährden. Auch der Arbeits- und Analysebetrieb darf nicht unterbrochen werden. Motto: Krisen schlafen nicht. Im November 2018 sind viele der 93 Gebäude auf dem abgeriegelten 68-Hektar-Areal an der Heilmannstrasse in Pullach schon geräumt.
Cyber-Agenten bleiben zurück
Im 265 Quadratmeter grossen Präsidenten-Bungalow, einem einstöckigen 70er-Jahre-Bau, in dem die Präsidenten wohnen konnten, zeigen nur noch ein paar Computermonitore auf dem Besprechungstisch, dass hier wohl bis vor kurzem in kleinster Runde über die Krisen der Welt beraten wurde. Die Betten sind abgezogen, die Küche ist ausgeräumt.
Ursprünglich war das BND-Gelände als «Siedlung Sonnenwinkel» für die Mitarbeiter der Nazi-Partei NSDAP und deren Familien gebaut worden. Abgeschottet von der Aussenwelt arbeiteten hier seit 1956 Tausende BND-Agenten hinter hohen Mauern mit messerscharfem Stacheldraht. Auch nach dem Umzug werden noch rund 1'000 BND-ler in Pullach Dienst tun.
Die Abteilung Technische Aufklärung, kurz «TA», etwa bleibt. Sie ist zuständig für elektronische Überwachung von Telekommunikation, Datenanalyse und Softwareentwicklung – ein wichtiger Teil der Spionage. Die Abteilung analysiert auch Cyber-Bedrohungen und deren Abwehr. Alle auswertenden Abteilungen in Berlin werden weiter mit den in Pullach gewonnenen Informationen arbeiten.
«Sichtachsen im Blick behalten»
An diesem Tag wechseln Akten und Ausrüstung einer mittleren dreistelligen Zahl von Frauen und Männern der Abteilung «GU» – «Gesamtlage und Unterstützung» – nach Berlin. Im Agentenalltag steuern und koordinieren sie die Produktion des Dienstes. Es geht um geheime Analysen, auf deren Grundlage Regierung und Abgeordnete Entscheidungen treffen.
Im Lagezentrum behalten die Mitarbeiter das Weltgeschehen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr im Auge. Etwa 30 BND-Umzugshelfer haben sich gemeldet. Für die Packer des Spediteurs schliessen sie die penibel abgeriegelten Arbeitsräume auf und zu. Beim BND gelten die Geheimschutz-Prinzipien «Need to know» – selbst der Kollege im Nachbarzimmer weiss in der Regel nicht, an welchen Projekten die anderen in der Abteilung arbeiten.
Bei dem Transport durch die verwinkelten Gänge von Pullach sollen die Helfer «bitte genau die Sichtachsen im Blick behalten», gibt der BND-Verantwortliche den Kollegen mit auf den Weg. Im Klartext: Trotz aller Sicherheitschecks sollen die Packer lieber nicht aus den Augen verloren werden. «Wir sind hier etwas sensibel, wenn wir Leute sehen, die wir sonst nicht sehen», sagt einer trocken.
58'000 neue Möbelstücke
Mit acht Umzugskisten muss jeder BND-ler im Schnitt auskommen. In mehreren Tranchen werden allein aus Pullach fast 32'000 Kartons in die neue Zentrale verfrachtet. Aus allen Liegenschaften zusammen sind es rund 100'000 Kartons – aneinander gereiht ergäbe das 55 Kilometer Länge. Hinzu kommen 58'000 neue Möbelstücke, die in den Gebäudekomplex gebracht werden mussten.
Was in Kisten verpackt oder in speziell verplombten Containern verstaut in die Laster gestapelt wird, lässt der Fantasie von James-Bond-Fans breiten Raum. Schlummern in den unscheinbaren Kartons Geheimprotokolle belauschter Telefonate von Wladimir Putin? Oder sind womöglich Hinweise auf Cyberattacken und Bombenanschläge zu finden?
Die Transportaktion ist so geheim, dass für Fotos spezielle Kartons verwendet werden und der Schriftzug auf dem Lkw abgeklebt werden muss. Firmen-Logos dürfen nicht erkennbar sein - geschweige denn die Etiketten mit Laufnummer und Barcode. Wie sensibel viele Akten und Geräte wirklich sind, zeigt das aufwendige Prozedere, mit dem der BND versucht, die Sicherheit zu gewährleisten.
Ein Hauch James Bond (alias Joachim Becker)
Mindestens vier Mal wird jedes Umzugsstück am Ende gescannt worden sein. Alle Einzelteile bekommen ein Etikett mit dem unverwechselbaren, computerlesbaren Strichcode. Die Verantwortlichen in der Umzugsleitstelle atmen erst auf, wenn am Ende im eigens programmierten Waren-Verfolgungs-System nach jedem Scanvorgang hinter den langen Zahlenreihen auf ihren Rechnern alles grün leuchtet.
Dann ist klar: Es ist nix flöten gegangen. Sie sind aber auch ein wenig stolz darauf beim BND, dass ihr Umzug nicht trivial ist. Zwar gehe es in der Masse um Büroarbeitsplätze, so ein Verantwortlicher. Hinzu kämen die grossen Kartenlager des für alle Welt zuständigen Geo-Dienstes und die Bibliothek mit Zehntausenden Geheimakten. Ganz zu schweigen von den Spezialausrüstungen der Labors und Werkstätten.
«Schnucki-Spezialzeug» nennt einer das lässig. Er meint zum Beispiel besondere IT-Ausrüstungen und spezielle Kameras. «Alles, was "Q" so braucht» eben, sagte der Mann. Bond lässt grüssen.
Nchtsprung nach Berlin
«Nachtsprung» sagen sie beim BND dazu, wenn die Lastwagen zwischen Freitag und Sonntag die rund 600 Kilometer von Pullach nach Berlin rollen. Nicht von der Polizei, sondern von BND-eigenem Sicherheitspersonal werden die Laster begleitet – das ist unauffälliger. Sogar ein Werkstattwagen fährt mit, falls es eine Panne gibt.
Pro Wochenende wechselten so im Oktober und November jeweils etwa 400 Arbeitsplätze von Bayern nach Berlin. «Wenn etwas passiert, passiert es so nur für einen Bruchteil der Akten und Geräte», erläutert der Umzugsmanager. Passiert sei bislang nichts, versichert er. Mehr als 15 Jahre ist die Entscheidung für den Umzug her, vor gut 12 Jahren folgte der erste Spatenstich für den Neubau.
In den Jahren darauf gab es Pfusch, verschwundene Baupläne und Probleme mit der Lüftung. Unbekannte sorgten 2015 im schwer gesicherten Bau für einen Millionenschaden, als sie Wasserhähne abmontierten und einen Teil des Gebäudes unter Wasser setzten. Die halbe Republik lachte - auch wenn die Spione noch gar nicht Hausherren waren, sondern die Bauverwaltung des Bundes.
Pleiten, Pech und Häme
Der bis 2013 geplante Wechsel verzögerte sich mehrfach. Doch der ganz grosse Skandal ist bisher ausgeblieben: Bei den Sicherheitsprüfungen konnten Experten keine von fremden Geheimdiensten versteckten Wanzen entdecken. Das wäre der Super-Gau gewesen.
BND-Präsident Kahl spricht von einer Herausforderung, «den Dienstbetrieb am Laufen zu halten, während wir umgezogen sind». Es habe zudem klar sein müssen, «in ein Haus zu kommen, was sicher ist, wo man uns nicht abhört. Das hat Gott sei Dank alles hingehauen», sagt der 56-Jährige erleichtert.
Seit fast genau zwei Jahren ist der Hochbau der Zentrale fertig. Es folgte ein Jahr Abnahme und Sicherheitschecks. Im November 2017 startete der Einzug. Bei 1,086 Milliarden Euro (1,226 Milliarden Franken) liegen die Baukosten, plus knapp 5,5 Millionen Franken für den Ortswechsel. Dazu kommen rund 233 Millionen Franken für die Ausstattung mit Möbeln, die technische Ausrüstung und Dinge wie das Trennungsgeld für Mitarbeiter.
Grösster Behördenneubau der BRD
Um 3 Uhr früh kommt der Umzugs-Lkw an diesem Samstag wie geplant in Berlin-Mitte an. Gegen 7 Uhr beginnt das Entladen - die Prozedur entspricht der in Pullach: Scannen beim Ausladen, Transport in die Büros. 200 Haupt- und Nebenflure gibt es im Gebäude, nicht gerade übersichtlich ist das. Sowieso ist es ein Neubau der Superlative: grösster Behördenneubau in der Geschichte der Bundesrepublik, die Grundfläche des Gebäudes entspricht der Größe von etwa 36 Fußballfeldern.
Erst am Montagmorgen, wenn für die meisten Mitarbeiter der Dienst beginnt, wird sich zeigen, ob alle Kartons ihr Ziel erreicht haben. Wenn nach den letzten Scans die Computerlisten grün leuchten, können die Leute in der Umzugsleitstelle aufatmen: Nix flöten gegangen. Damit sich die Berliner Neulinge in ihrer Riesen-Zentrale nicht verlaufen, werden sie von den Umzugsplanern an die Hand genommen. Schon in Pullach konnten sich die Mitarbeiter in Musterbüros mit der Zukunft vertraut machen.
Meist zu zweit sind Auswerter und Agenten auf 17 Quadratmetern einquartiert. Für jeden gibt es zwei Computer und zwei Telefone: ein System für die geheime interne Kommunikation, abgeschottet vom Internet. Top secret eben. Und ein zweites System für die Kommunikation mit der Aussenwelt.
Venenscanner an der Eingangsschleuse
Weil auch in die neue Zentrale private Mobiltelefone nicht mitgenommen werden dürfen, gibt es vor den Eingangsschleusen Bereiche mit Tausenden kleinen Schliessfächern. Neben 50-seitigen Umzugsleitfäden («Herzlich willkommen in der neuen Zentrale»), eingestuft als «Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch», und Hilfeseiten im Intranet stehen Kurzinfos auf Taschenkarten und menschliche Willkommenspaten bereit.
Der mobile Bürgerdienst eines Berliner Bezirksamts darf sogar für ein paar Termine ins Haus kommen, damit die Berliner Anmeldeformalitäten die Neulinge nicht so sehr nerven. Spannender dürfte für viele BND-Leute die Erfahrung sein, wie sie durch die Biometrieschleusen zum Arbeitsplatz kommen: per Venenscanner.
Bei diesem Identifikationsverfahren wird das Venenmuster einer Hand erfasst und mit einem Referenzmuster verglichen. Weil die Position der Venen ein Leben lang unverändert bleibt und bei jedem Menschen unterschiedlich ist, gilt die Venenerkennung als genauso sicher wie die Iriserkennung im Auge.
Berlin «hat Verhältnis zur Politik verbessert»
Für Bruno Kahl ist der Eingewöhnungsprozess längst vorüber. Als Hauptvorteil des Umzugs nennt er die grössere Nähe zu den Abnehmern der BND-Analysen in Regierung und Parlament. «Das hat das Verhältnis zur Politik schon verbessert.» Seit man sich fast täglich sehen könne, «werden wir auch viel besser verstanden in dem, was wir leisten können und werden wir viel mehr nachgefragt».
Auftraggeber und Aufseher hat Kahl vom Büro im siebten Obergeschoss stets im Blick. Wenn er vom schmalen Balkon schräg nach links schaut, sieht er Kanzleramt und Bundestag. Diese Stellen führen die Aufsicht über den Auslandsgeheimdienst. Der ist in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder von Affären durchgerüttelt worden. Nicht ausgeschlossen, dass auch der eine oder andere mögliche Skandal von Pullach mit nach Berlin gezogen ist.
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