Studie zum Coronavirus Kinder ansteckender als erhofft

uri

2.2.2021

Schüler und Schülerinnen der Klasse 4b der Kantonsschule Wiedikon folgen Ende Januar mit Maske dem Französischunterricht. 
Schüler und Schülerinnen der Klasse 4b der Kantonsschule Wiedikon folgen Ende Januar mit Maske dem Französischunterricht. 
Bild: Keystone

Wie infektiös sind Kinder? Und sollte man Schulen schliessen? Laut einer Genfer Studie könnten Kinder durchaus eine Rolle in der Pandemie spielen. Eine Expertin sieht die Möglichkeiten der Schulen indes noch längst nicht ausgeschöpft. 

Kinder seien keine Treiber der Pandemie – so antworten Bundesrätinnen und Bundesräte sowie Expertinnen und Experten jeweils, wenn an einer Medienkonferenz die Frage nach einer Schulschliessung gestellt wird. Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hält auf seiner Website fest: Kinder unter zwölf Jahren würden meist von Erwachsenen mit dem Coronavirus angesteckt, doch: «Sie selbst übertragen das Virus jedoch selten auf andere Personen.»

Die Diskussion über die Rolle von Kindern in der Corona-Pandemie wird dennoch heiss diskutiert, nicht zuletzt, weil wissenschaftliche Studien teils zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Demnach können Kinder wahre Coronavirus-Schleudern sein – oder auch das genaue Gegenteil. Insofern verwundert es auch nicht, dass etwa das Nachbarland Deutschland einen anderen Weg als die Schweiz einschlägt. Dort bleiben Schulen und auch die meisten Kindergärten noch mindestens bis 14. Februar geschlossen.

Kinder und Jugendliche überdurchschnittlich oft infiziert

Nach einer Antikörper-Studie um die Genfer Forschenden Silvia Stringhini und Idris Guessous könnten die Forderungen nach ähnlichen Massnahmen auch hierzulande wieder Auftrieb erfahren. Laut der in «The Lancet Infectious Diseases» veröffentlichten Untersuchung, aus der der «Tages-Anzeiger» zitiert, hatten sich während der zweiten Corona-Welle im Kanton Genf zwar Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren am häufigsten mit Covid-19 angesteckt, doch direkt darauf folgten Kinder und Jugendliche.



Wie die Untersuchung bei rund 4000 Personen ergab, hatte demnach bei den zwischen 18 und 35 Jahre alten Studienteilnehmern gut jede vierte Person bereits Antikörper auf das Coronavirus im Blut, sich also bereits angesteckt. Die Gruppen der 6- bis 11-Jährigen und der 12- bis 17-Jährigen lag mit einem Antikörper-Nachweis bei rund 23 Prozent jedoch nur sehr knapp dahinter. Deutlich weniger Infektionen gab es lediglich bei den Kleinkindern zwischen 0 und 5 Jahren mit knapp 15 Prozent und den Senioren zwischen 65 und 75 Jahren, von denen nur knapp 10 Prozent Antikörper gebildet hatten.

Dunkelziffer unter Kindern wohl grösser als bei Erwachsenen

Laut Antoine Flahault, Direktor des Institute of Global Health an der Universität Genf und Mitautor der Studie, zeigten die Ergebnisse der Studie damit auch, dass Kinder eine «Rolle spielen bei der Ausbreitung des Virus.» Als ein simpler Grund, warum das häufig nicht auffällt, führen Experten mitunter einen einfachen Sachverhalt an: Weil Kinder und Jugendliche seltener Krankheitssymptome bei einer Covid-19-Infektion zeigen, werden sie entsprechend auch seltener getestet. Es bleibt deshalb zu vermuten, dass bei ihnen auch eine höhere Dunkelziffer als bei Erwachsenen besteht.

Dass es bei Kindern in Sachen Infektiosität nicht viel anders stehen könnte als bei Erwachsenen, legt auch das Ergebnis eines gross angelegten Gurgeltests zu aktiven Ansteckungen in österreischischen Schulen nahe. Die Untersuchung kam im November vergangenen Jahres zu dem Schluss, dass es hinsichtlich der Zahl der Ansteckungen zwischen den Schulkindern und ihren Lehrern keine grossen Unterschiede gab. Auch könnten die Testergebnisse nicht das häufig gehörte Argument stützen, «dass jüngere Kinder weniger Infektionen haben als ältere», erklärte der Sudienkoordinator Michael Wagner.

Gemäss einer weiteren Untersuchung um Anita M. McGahan von der Universität von Toronto zeigte ein internationaler Vergleich von rund 40 Ländern und Regionen zudem, dass Schulschliessungen einen der grössten Effekte auf die Corona-Infektions- und Todeszahlen in den entsprechenden Gebieten hatte. Lediglich Ausgangsbeschränkungen und die Schliessung von Arbeitsstätten erwiesen sich demnach als noch wirkungsvoller.

Expertin: Die Schulen haben es «bisher sehr gut gemacht»

Für die Epidemiologin Susi Kriemler von der Universität Zürich bleibt die Einschätzung, dass Kinder keine Treiber der Pandemie seien, jedoch nach wie vor richtig. Sie argumentiert im Interview mit dem «SRF», dass wenn das Virus infektiöser werde, wie nun bei den eingeschleppten Mutationen, natürlich auch mehr Kinder betroffen seien. Zudem gebe es derzeit keine Beweise, dass es in Schweizer Schulen besonders häufig zu Übertragungen komme.

Kriemler merkte im Gespräch mit SRF zwar an, es ergebe durchaus Sinn, einzelne Schulen zu schliessen, wenn dort ein Corona-Ausbruch registriert werde, um die Ausbreitung dann im Keim zu ersticken. Man müsse deshalb aber nicht das ganze Schulsystem dichtmachen.

Nach ihrer Auffassung hätten die Schulen es «bisher sehr gut gemacht», sagte Kriemler. Eigene Studien würden zeigen, dass man dank der bisherigen Massnahmen keine Häufungen von Ansteckungen in den Klassen habe. Im Zuge des verstärkten Auftretens von ansteckenderen Virus-Mutationen verändere sich momentan aber die Situation. «Wir wissen nicht, was das neue Virus mit den Schulen macht. Deshalb muss man sich jetzt überlegen, ob das Vorgehen angepasst werden muss», sagte sie dem SRF.

Doch auch dann seien Schulschliessungen nicht die ultimative Lösung, glaubt die Expertin. Man habe noch «ganz viel Spielraum, Schule so zu gestalten, dass auch das neue Virus gebremst wird». Beispielsweise könne man «die Klassen verkleinern, beisammen halten, die Schüler gestaffelt anreisen lassen oder Pausenplätze nur klassenweise nutzen». Zuvorderst müsse man alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor man die Schulen schliesse «und die Schüler in eine Situation bringe[n], die sie psychisch und physisch», belaste, sagte Kriemler.

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