Niedlich, aber streng im Geruch Sibirische Forscher züchten zahme Füchse

dpa

24.5.2018

Ein gezähmter Fuchs auf dem Gelände einer Fuchs-Farm nahe Akademgorodok in Nowosibirsk. Foto: The Institute of Cytology and Genetics
Ein gezähmter Fuchs auf dem Gelände einer Fuchs-Farm nahe Akademgorodok in Nowosibirsk. Foto: The Institute of Cytology and Genetics
Source: Institute Cytology and Genetics/The Institute of Cytology and Ge

Unglaublich niedlich sind die Füchse, die sibirische Forscher in einem weltweit einmaligen Experiment schaffen. Sie haben geflecktes Fell, sind lebenslang verspielt, wedeln mit dem Schwanz - so wie Hunde das tun. Eine spezielle Fuchs-Eigenheit bleibt jedoch erhalten.

Wie wurde aus dem wilden Wolf ein schwanzwedelnder Couch-Fluffi? Auf wohl einmalige Weise lässt das ein seit gut 60 Jahren in Russland laufendes Experiment erahnen.

Seit den 1950er Jahren werden dort Silberfüchse - eine spezielle Farbvariante des Rotfuchses - auf eine besondere Eigenheit hin gezüchtet: Freundlichkeit dem Menschen gegenüber. «Das Experiment hat unser Verständnis des Zähmungsprozesses erneuert», sagt der US-Forscher Lee Dugatkin, der ein Buch über das Projekt geschrieben hat. «Als unsere Vorfahren begannen, Tiere und Pflanzen zu domestizieren, hat sich alles verändert. Das Fuchs-Experiment lehrt uns, wie.»

Es war der russische Biologe Dmitri Beljajew, der das Experiment vor fast 60 Jahren startete, zur Blütezeit der Sowjetunion. Er wollte prüfen, ob sich Füchse ebenso domestizieren lassen wie einst der Wolf - um auf die biologischen Mechanismen schliessen zu können, die bei der Zähmung wilder Tiere greifen. Anfangs musste Beljajew extrem vorsichtig agieren, denn Genforschung war im Land damals verboten. Beljajews grosses Glück: Er arbeitete in der lukrativen Pelzindustrie und konnte seine Forschung heimlich in Gang bringen.

Ember wedelte heftig mit seinem Schwänzchen

Jahr für Jahr, von Generation zu Generation, wurden und werden die zahmsten Silberfüchse gesucht und weitervermehrt. «Es wird getestet, wie sozial sie sich zu Menschen verhalten», erklärt Dugatkin. Zehn Prozent der sozialsten Tiere werden ausgewählt.»

Im Herzen Sibiriens etablierte Beljajew zusammen mit der Biologin Ludmila Trut dafür eine besondere Fuchs-Farm nahe Akademgorodok, einem Wissenschaftsort aus Sowjetzeiten bei Nowosibirsk. In langen Reihen stehen dort Holzhütten mit Auslaufgehegen für die Tiere. Andere Häuser und Menschen seien weit und breit nicht zu sehen, sagt Dugatkin, der die Farm mehrfach besuchte.

Anfangs änderte sich kaum etwas, die Füchse blieben aggressiv und bleckten angriffslustig knurrend die Zähne, wenn sich ein Mensch näherte. 1963 aber wurde ein Männchen namens Ember geboren, wie Dugatkin in seinem gemeinsam mit der inzwischen 84-jährigen Ludmila Trut verfassten Buch «Füchse zähmen» schreibt. Embers Besonderheit: Er wedelte heftig mit seinem Schwänzchen. «Schwanzwedeln in Reaktion auf den Menschen ist eine für den Hund typische Verhaltensweise, und bis zu diesem Tag waren Hunde auch die einzigen Tiere gewesen, bei denen man dieses Verhalten beobachtet hatte.»

Immer neue Eigenschaften kamen hinzu: Die Tiere leckten die Hände ihrer Betreuer, rollten sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen, behielten ihre Welpen-Verspieltheit länger als ihre wilde Verwandtschaft. «Diese zahmeren Füchse schienen einfach nicht erwachsen werden zu wollen», so Dugatkin. «Sie duldeten sogar, dass Menschen ihnen direkt in die Augen sahen, und sie schienen den Blick zu erwidern.» Bei wilden Tieren und selbst bei Hunden gilt der direkte Blick als Herausforderung, die Aggression nach sich zieht.

Viele denken, die Füchse wären Hunde 

60 Jahre seien ein «evolutionärer Wimpernschlag», sagt Dugatkin, Evolutionsbiologe an der University of Louisville. Und doch reichte diese Zeit aus, um die eigentlich als Einzelgänger lebenden Füchse immer hundeähnlicher werden zu lassen. «Die gezähmten Füchse sind nicht nur so ruhig wie ein Schosshund», sagt Dugatkin der Deutschen Presse-Agentur. «Inzwischen sehen viele der Füchse auch aus wie Hunde. Sie haben kurze, runde Schnauzen, Ringelschwänze und Schlappohren.» Ganz ohne Training folgten sie menschlichen Gesten und Blicken. «Wilde Füchse können das nicht.»

Noch ein Merkmal setzte sich durch: Viele der Tiere sind gefleckt, manche haben gar einen hellen Stern auf der Stirn, wie Hunde und Pferde. Schon lange rätselten Forscher, warum Züchter von Haustieren auf Merkmale wie Schlappohren, Ringelschwänze und Gesichter nach dem Kindchenschema hätten Wert legen sollen, erklärt Dugatkin. «Bauern, die Rinder hielten, hatten schliesslich keinen Vorteil dadurch, dass ihre Rinder schwarz-weiss gefleckt waren. Und was interessierte es Schweinehalter, ob ihre Tiere Ringelschwänze hatten?»

Beljajew habe zur Erklärung die Theorie der destabilisierenden Selektion entwickelt, schreibt der US-Forscher. Demnach verändert sich bei der Domestikation die Aktivität von Genen, ohne dass Mutationen im Spiel sind. Nicht das Erbgut selbst wird verändert, sondern die Intensität, mit der bestimmte seiner Abschnitte abgelesen und in Moleküle wie Hormone umgesetzt werden. Das erklärte auch, warum die Forscher in so kurzer Zeit zahme Tiere schaffen konnten.

«Sie haben einen strengen Geruch»

Beljajew reichte Artikel bei internationalen Fachjournalen ein. 1969 erschien der erste in englischer Sprache ausserhalb der Sowjetunion veröffentlichte Artikel mit dem Titel «Domestication in Animals», wie es im Buch heisst. Seine Theorie weitete der Russe auf ein weiteres seiner Ansicht nach domestiziertes Lebewesen aus: den Menschen. Auch bei ihm hat demnach der Selektionsdruck zu niedrigeren Stresshormon-Blutspiegeln alles begünstigt, was das weniger aggressive Jugendstadium verlängerte. «Im Grunde sind wir domestizierte - selbstdomestizierte - Primaten», erklärt Dugatkin.

Beljajew starb 1985. Sein Projekt lebte unter Ludmila Truts Führung weiter. In den von politischem und wirtschaftlichem Umbruch geprägten 1990er Jahren kämpfte die Farm ums Überleben. Heute seien die Finanzen stabil, auf der Station lebten rund 500 Tiere, erzählt Dugatkin. «Niedliche, flauschige, entzückende Schlingel» seien ihre Füchse, meint Trut. Seit einiger Zeit vermittelt sie ihre Lieblinge als Haustiere - auch nach Westeuropa und Nordamerika und zum stolzen Preis von rund 5000 US-Dollar (4200 Euro). Dugatkin schätzt die Zahl in den vergangenen fünf Jahren verkaufter Tiere auf einige Dutzend.

Zwar würden die Füchse von den Züchtern nicht ausgebildet und die Käufer müssten selbst dafür sorgen, dass die Tiere stubenrein werden, sagt der US-Forscher. Aber: «Sie sind gut zu trainieren, und die Gefahr für ein Herrchen, von einem domestizierten Fuchs gebissen zu werden, ist nicht grösser, als von einem Hund gebissen zu werden.» Auch Trut ist von den Vorzügen ihrer liebenswerten Zöglinge überzeugt: «Ich hoffe, dass sie als neue Haustierart registriert werden können». Russischen Medien sagte sie, der Fuchs könne so seinen mystischen Charakter als Wesen aus Fabeln und Märchen verlieren und in das reale Leben der Menschen eintreten.

Eine unangenehme Eigenart ihrer wilden Vorfahren haben die Tiere allerdings nicht abgelegt, wie Dugatkin sagt. «Sie haben einen strengen Geruch, ein wenig wie Moschus.»

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