Südsudans stille Kriegsopfer Südsudans stille Kriegsopfer - mit HIV infiziert und ohne Hilfe

Von Sam Mednick, AP

25.5.2018

James Seferino (11) mit seinem Vater: Beide sind HIV-positiv. Nur das Baby ist dank der Medikamente nicht infiziert.
James Seferino (11) mit seinem Vater: Beide sind HIV-positiv. Nur das Baby ist dank der Medikamente nicht infiziert.
AP

Im Südsudan tobt ein Bürgerkrieg. Zehntausende sind bereits getötet worden, Millionen mussten fliehen. Aber es gibt noch eine andere Art von Opfern.

James Seferino rutscht auf seinem Stuhl hin und her. «Ich habe Angst», sagt der Elfjährige. «Alles was ich weiss, ist, dass ich sterbe, wenn ich meine Tabletten nicht nehme.» James weiss traurigerweise genau, wovon er spricht. Er ist HIV-positiv und seine Mutter vor mehreren Jahren an Aids gestorben: Sie wusste nicht, wo sie Hilfe bekommen konnte, wie Andrea Seferino, der Vater des Jungen, schildert. Auch er ist mit dem Aidsvirus infiziert.

Das Schicksal der Seferino-Familie ist kein Einzelfall. Im Südsudan tobt seit 2013 ein Bürgerkrieg zwischen Gefolgsleuten von Präsident Salva Kiir und Anhängern seines ehemaligen Stellvertreters Riek Machar. Mittlerweile sind zehntausende Menschen gewaltsam ums Leben gekommen und etwa vier Millionen geflohen. Der Konflikt erzeugt jedoch auch eine andere Art von Opfern: Menschen, die HIV-positiv sind und durch den Krieg daran gehindert werden, lebensrettende antiretrovirale Medikamente zu erhalten.

Die Zahl der Betroffenen könnten höher liegen

Nach Angaben der Organisation Unaids werden derzeit nur 13 Prozent der schätzungsweise 200 000 infizierten Südsudanesen behandelt. Im Vergleich dazu sind es im benachbarten Kongo, einem anderen verarmten afrikanischen Land mit langjähriger Instabilität, immerhin 42 Prozent.

Insgesamt scheint der Anteil infizierter Einwohner mit 2,7 Prozent der südsudanesischen Bevölkerung zwar nicht bemerkenswert hoch für die afrikanische Region südlich der Sahara zu sein: In Staaten wie Swasiland sind es 27 Prozent. Aber die Sorge wächst, dass die Bürgerkriegswirren genaue Statistiken unmöglich machen und die Zahl der Betroffenen höher liegen könnte.

Das befürchten jedenfalls örtliche Hilfsgruppen: Nach ihren Angaben ist die Zahl der Menschen mit positiven HIV-Tests in der jüngsten Vergangenheit gestiegen. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass sich immer mehr Frauen gezwungen sehen, sich und ihre Familien durch bezahlten Sex zu unterstützen. Hinzu kommen Massenvergewaltigungen durch bewaffnete Männer, insbesondere in der Hauptstadt Juba.

Sind beide Seiten im Bürgerkrieg gewaltsamer Übergriffe gegen Frauen beschuldigt worden, klagt Evelyn Letio, Leiterin einer örtlichen Organisation zur Unterstützung von Frauen mit HIV, vor allem die südsudanesischen Streitkräfte an. Sie seien die Vergewaltiger, «sie sind diejenigen mit Waffen», sagt Letio. Wie sie schildert, haben ihr einige der überlebenden Opfer gesagt, dass die Soldaten gewusst hätten, dass die Frauen HIV-positiv waren. Aber das habe sie nicht von den Vergewaltigungen abgehalten: Ihre Hauptsorge sei es anscheinend gewesen, im Krieg getötet zu werden - und nicht vielleicht in zehn Jahren an Aids zu sterben.

«Das ist das erste Mal, dass ich von Opfern höre, die durch die Streitkräfte mit HIV infiziert worden sind», sagte Militärsprecher Lul Ruai Koang der Nachrichtenagentur AP. Bisher seien ihm nur «vereinzelte» Vergewaltigungsvorwürfe gegen Soldaten zu Ohren gekommen.

Die USA unterstützen HIV-Programme im Südsudan mit etwa 20 Millionen Dollar im Jahr und sind damit der grösste ausländische Geldgeber in diesem Bereich. Seit 2006 finanzieren sie auch ein Test- und Behandlungsprogramm für Soldaten. Der Anteil der Infizierten in den Streitkräften liegt weiterhin über dem in der Gesamtbevölkerung. 2012 - das ist das Jahr mit den bislang letzten Statistiken - waren es fünf Prozent. Ziel ist es nun, das Programm möglichst rasch auszuweiten: Bisher erfasst es nur zwei der 22 Bataillone der Armee.

Grosse Scham

Für einen Lichtblick sorgt die Organisation Ärzte ohne Grenzen: Sie hat vor drei Jahren in Jambio die erste mobile Test- und Behandlungsklinik des Südsudans gestartet. Hier, nahe der Grenze zum Kongo, ist HIV besonders stark verbreitet. «Wir haben es geschafft, Menschen zu erreichen, die nicht nach Jambio reisen konnten, aus Furcht oder wegen der Entfernung», sagt Buai Tut, der das Projekt überwacht. Der Bürgerkrieg hat nach seinen Angaben viele Familien zur Flucht in den Busch gezwungen, weiter weg vom Zugang zu medizinischer Betreuung.

Im Rahmen des Projekts sind im Bezirk Jambio bisher fast 15 000 Menschen getestet und mehr als 400 behandelt worden. Aber mindestens 1000 weitere in schwer zugänglichen Gebieten benötigten Hilfe, schätzt Tut.

Südsudans Regierung hat inzwischen Karten eingeführt, die Angaben über das individuelle HIV-Medikament und den Zustand Infizierter enthalten. Das soll es Vertriebenen leichter machen, die Behandlung in anderen Kliniken fortzusetzen. «Wenn Du flüchtest, kannst du sie mitnehmen, und wenn du in ein Flüchtlingslager gehst, dann wissen sie, was du nimmst», sagt Victoria Achut, HIV-Programmmanagerin im südsudanesischen Gesundheitsministerium.

Eine der grössten Herausforderungen ist es nach ihren Worten, das Stigma zu beseitigen, das HIV in diesem Land weiter umgibt. So hat auch die 41-jährige Elizabeth Taban jahrelang verschwiegen, dass sie infiziert ist, durch ihren Ehemann. «Ich wollte nicht, dass man mit dem Finger auf mich zeigt», sagt die Frau, die in Juba lebt. Jetzt hilft sie bei der Aufklärung über die Übertragung des Virus und Behandlungsmöglichkeiten. Es gebe viele, die nicht wüssten, dass sie HIV-positiv seien, oder es wüssten, sich aber nicht gross darum scherten, sagt Taban.

Marlene Freet weiss es, aber kann wenig tun. Wie die 28-Jährige sagt, hat der Krieg die Wirtschaft des Landes so kaputt gemacht, dass sie kaum an die Nahrung herankommen kann, mit der sie ihre HIV-Medizin einnehmen sollte. Manchmal isst die Mutter von sieben Kindern nur einmal am Tag.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite