Geheim-Operation Als Lenin Moskau zur neuen Hauptstadt machte

Von Philipp Dahm

12.3.2023

Die Basilius-Kathedrale im Moskauer Kreml um 1900.
Die Basilius-Kathedrale im Moskauer Kreml um 1900.

Heute vor 105 Jahren verlegten Lenin und seine Getreuen die Hauptstadt der noch jungen Sowjetrepublik Russland von St. Petersburg nach Moskau. Der Umzug war so geheim, dass nur höchste Kreise eingeweiht waren.

Von Philipp Dahm

12.3.2023

Am 9. April 1917 verlässt Lenin sein Schweizer Exil, um am 7. November die Oktoberrevolution anzuzetteln: Die Sowjets wollen unter Lenins Führung die Macht in Russland übernehmen.

Doch Lenin hat mächtige Feinde. Da wäre zum einen sein nationaler Widersacher adliger Herkunft: Seit der Februarrevolution und der Abdankung des Zaren ist Alexander Kerenski Minister der provisorischen Regierung. Er flieht nach der Novemberrevolution und organisiert militärischen Widerstand, den die Sowjets erst 1923 brechen werden.

Lenins anderer Widersacher ist Kaiser Wilhelm II.: Die Mittelmächte des Ersten Weltkriegs besetzen eine Front, die von Estland bis ans Schwarze Meer reicht. Schon die Provisorische Regierung plant deshalb im Oktober, die Hauptstadt zu verlegen: St. Petersburg, das damals Petrograd heisst, liegt in Reichweite des deutschen Heeres.

Juliaufstand: Am 17. Juli 1917 schiessen in Petrograd alias St. Petersburg Soldaten der provisorischen Regierung mit Maschinengewehren auf Demostrierende.
Juliaufstand: Am 17. Juli 1917 schiessen in Petrograd alias St. Petersburg Soldaten der provisorischen Regierung mit Maschinengewehren auf Demostrierende.
Gemeinfrei

Doch erst im Frühjahr 1918 kommt wieder Bewegung in die Sache, nachdem deutsche Truppen noch näher an die Stadt herangekommen sind: Am 26. Februar beschliessen die Sowjets unter Lenins Führung, wieder jenen Ort zur Hauptstadt zu machen, der es bis 1712 bereits war: Moskau.

Höchste Geheimhaltung

Am wichtigsten und umgehend auszuführen sei der Umzug der Staatsbank mit ihren Goldreserven. Jedes Ministerium muss überdies eine Mindestanzahl an Beamten nach Moskau schicken. Die Vorbereitungen dazu laufen im Geheimen: Der Umzug könnte nicht nur die Deutschen auf den Plan rufen, sondern auch von der Bevölkerung als ein fatales Signal gedeutet werden.

Ein Bild des offiziellen Regierungsumzugs, der zwischen dem 14. und 16. März 1918 stattfand.
Ein Bild des offiziellen Regierungsumzugs, der zwischen dem 14. und 16. März 1918 stattfand.

Gleichzeitig verhandelt eine Sowjet-Delegation in Brest-Litowsk mit den Achsenmächten über Frieden. Die Lage an der Ostfront ist für Lenins Legionen katastrophal: Allein in den beiden Vorwochen haben die Deutschen 63'000 Russen gefangengenommen.

Der Kreml mit der Grossen Moskwa-Brücke um 1890: Die Sowjets beziehen die Festung 1918 gern, weil sie im Bürgerkrieg Schutz bietet.
Der Kreml mit der Grossen Moskwa-Brücke um 1890: Die Sowjets beziehen die Festung 1918 gern, weil sie im Bürgerkrieg Schutz bietet.
Gemeinfrei

Lenin muss seine Kräfte bündeln. Er kann nicht gleichzeitig die Weisse Armee von Kerenski schlagen, die Revolution umsetzen und die Mittelmächte besiegen. Frieden ist eines der drei essentiellen Versprechen der Sowjets – neben einer Umverteilung des Landes und Mindestlöhnen.

Teurer Frieden

Nur deshalb lässt sich Lenin auf ein Geschäft mit Berlin ein, das Russland ein Drittel seiner Bevölkerung und 90 Prozent seiner Kohle-Produktion kostet: Am 3. März wird der Frieden von Brest-Litowsk unterzeichnet. Theoretisch ist Moskau also nicht mehr in Gefahr, doch in der Praxis gehen die Planungen für den geheimen Umzug weiter.

Das Staatsorgan «Prawda» berichtet erst über den Umzug, als das Exekutivkomitee und die Volkskommissare St. Petersburg bereits verlassen haben. Ein Dekret verfügt, dass zwischen dem 11. und 12. März alle Regierungsinstitutionen die Stadt an der Ostsee verlassen haben müssen. Am 12. März 1918 wird Moskau schliesslich zur neuen, alten Hauptstadt.

Der Vorgang wird am 16. März auf dem 4. Allrussischen Kongress bestätigt. «Im Zuge der aktuellen Krise der Russischen Revolution hat sich die Position von Petrograd als Hauptstadt dramatisch verändert», heisst es im Dekret. «Deshalb hat der Kongress beschlossen, fürs Erste die Hauptstadt der föderativen Sowjetrepubliken von Petrograd nach Moskau zu verlegen, bis sich der oben erwähnte Zustand ändert.»